Mädge: Ohne Wohnungsgesellschaft und eigene Klinik sind die Kommunen zahnlos
Der scheidende Präsident des Niedersächsischen Städtetages (NST), Lüneburgs früherer Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD), hat kurz vor dem Ausscheiden aus seinem Amt noch einmal eine Art politisches Vermächtnis vorgetragen. In einer Abschiedsveranstaltung des NST erklärte der 71-Jährige am Montag, er habe die vor vielen Jahren gestartete Privatisierungswelle immer für einen Fehler gehalten.
„Es gab damals Leute, die dachten, mit dem Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften und Krankenhäusern könne man die Finanzen sanieren. Schon damals hielt ich das für einen Fehler. Wo wollen die Kommunen jetzt die Leute unterbringen und die Gesundheitsvorsorge leisten? Wer sich von diesen Leistungen verabschiedet, ist dann nicht mehr für die Bürger da“, sagte Mädge. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Förderprogramme für energieeffizientes Bauen zu stoppen. „Damit können 20.000 eigentlich geplante Häuser dieses Jahr nicht gebaut werden. Die Entscheidung sollte schnellstens korrigiert werden“, forderte Mädge.
„Es kann nicht sein, dass ein Bürger zur Ratssitzung kommt – und dort sitzt dann nur der Bürgermeister am Tisch, weil alle anderen Ratsmitglieder nur per Video dabei sein wollen. Das ist dann keine kommunale Selbstverwaltung mehr.“
Mädge war 30 Jahre lang OB in Lüneburg, seit 1998 war er im Wechsel mit Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) durchweg entweder Präsident oder Vizepräsident des NST. In der Städteversammlung am Mittwoch wird Klingebiel neuer Präsident, sein Vize dürfte dann der Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) werden. In der feierlichen Verabschiedung fand Mädge kritische Worte mit Blick auf die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen im Landtag. „Seit zwei bis drei Jahren habe ich das Gefühl, dass wir als Kommunen oft gegen eine Wand laufen. Man hört nicht mehr auf unseren Rat.“ Zur Begründung erwähnte er die Gesetzesinitiative von SPD und CDU, dauerhaft Video-Zuschaltungen von Ratsmitgliedern zu Ratssitzungen zuzulassen, auch wenn es keine Pandemie gibt. Die Kommunalverbände lehnen das mehrheitlich ab. „Es kann nicht sein, dass ein Bürger zur Ratssitzung kommt – und dort sitzt dann nur der Bürgermeister am Tisch, weil alle anderen Ratsmitglieder nur per Video dabei sein wollen. Das ist dann keine kommunale Selbstverwaltung mehr“, sagte Mädge. Man solle diese Bedenken der Kommunalverbände ernst nehmen – „denn wenn am Ende ein Ratsbeschluss rechtswidrig ist wegen Streits um technische Mängel der Video-Zuschaltung, sind es doch die Bürgermeister, die dafür vor Gericht den Kopf hinhalten müssen.“
Busemann über Mädge: „streitbar, unbequem, aber nie unangenehm“
In einer Feierstunde des NST war Mädge zuvor gewürdigt worden. Landtagsvizepräsident Bernd Busemann (CDU) nannte ihn „streitbar, unbequem, aber nie unangenehm“. Ohne Typen wie Mädge, die auch mal eine Richtung vorgeben, könne „die kommunale Selbstverwaltung einpacken“. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erklärte, für jede Landesregierung seit Mitte der neunziger Jahre sei Mädge „ein harter Knochen“ gewesen, er habe als Verhandler die Bandbreite „vom Säuseln bis zur knallharten Drohung“ beherrscht. „Er kennt das Florett ebenso wie ,Knüppel aus dem Sack‘“, ergänzte Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag. „Es war seine Taktik, erst alle abzubürsten und dann einzelnes wieder aufzubauen“, meinte Marco Trips vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Dabei hätten sein Verband und der Landkreistag „assistieren dürfen“.
Sein Vize und Nachfolger Frank Klingebiel meinte, man habe die Verhandlungstaktik immer Mädge überlassen, der habe das Geschäft wie kein zweiter beherrscht. Klingebiel hob die Überparteilichkeit des Städtetages hervor. Wer an der Spitze eines Kommunalverbandes stehe, dürfe sein Parteibuch getrost „in die Ecke werfen“, denn es zähle dann nur die Interessenvertretung für die Kommunen, keine Parteiloyalität mehr. Mädge selbst gestand, er habe „immer gern nachts verhandelt. Dann habe man gut merken können, wer so lange durchhält“. Sein Rüstzeug habe er bei der Bundeswehr gelernt, dort sei es bei Taktik und Lageanalyse immer auch darum gegangen, die andere Seite zu verstehen – und sich dann klar zu entscheiden. „Es hilft nie weiter, den Kopf eine Woche lang in den Sand zu stecken“. Eine Kandidatur für Bundestag oder Landtag habe er immer abgelehnt, da die Parlamente „zu wenig Gestaltungsspielraum“ böten und man etwa im Bundestag „für drei Wochen in einen Raum eingesperrt“ werde. Da sei ihm der Kontakt zu den Leuten doch immer wichtiger gewesen, sagte der 71-Jährige, der erklärte, 1979 wegen Helmut Schmidt und seiner Haltung zur Nato-Nachrüstung in die SPD eingetreten zu sein – nicht wie viele andere, die eben über die Ablehnung der Nachrüstung politisiert worden seien.
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