Darum geht es: Die niedersächsischen Grünen wählen im Oktober einen neuen Vorstand. Kritiker schießen sich inzwischen auf den aktuellen Vorsitzenden Stefan Körner ein. Brauchen die Grünen einen anderen Vorsitzenden? Ein Kommentar von Martin Brüning:

Bei den Grünen in Niedersachsen bricht sich die Unzufriedenheit Bahn. Unterschwellig läuft die Debatte bereits seit Monaten, sechseinhalb Wochen vor dem Parteitag in Celle hat sie nun auch die Öffentlichkeit erreicht. Es geht um Stefan Körner, einen der beiden Parteivorsitzenden. Er sei zu farblos für den Job, könne politisch nicht gut genug zuspitzen, bemängeln Kritiker. Wer Körner beobachtet hat, stellt in der Tat fest, dass die kernige politische Rede nicht sein Metier ist. Bei öffentlichen Auftritten wirkt er immer etwas unsicher, er steht nicht gerne im Mittelpunkt. Körners Stärken liegen woanders. Viele loben ihn für seine angenehme, ehrliche Art und seinen ausgleichenden Charakter. Er gilt als Kümmerer in der Partei, der sich nicht um den Auftritt vor Mikrofon und Kamera reißt, dafür aber in die Kreisverbände fährt, um Kontakt zur Basis vor Ort zu halten und bei Problemen mit anzupacken. Aber: Reicht das, um Ende Oktober auf dem Parteitag in Celle gewählt zu werden, wenn vielleicht ein Gegenkandidat antritt, der es versteht, die knapp 200 Delegierten mit einer flammenden Rede mitzureißen?

Körner ist ein Pechvogel. Ihm fällt nun auf die Füße, was die Landtagsfraktion bisher verpfuscht hat.

Die Spitze der Partei hat in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit nur selten eine Rolle gespielt, die Fraktion war das politische Kraftzentrum. Körner ist ein Pechvogel. Ihm fällt nun auf die Füße, was die Landtagsfraktion bisher verpfuscht hat. Denn Körners Kritiker wollen nichts anderes versuchen, als mit einem neuen Parteivorsitzenden die Schwäche der Fraktion auszugleichen. Die Grünen, die einst in schwarz-gelben Zeiten von David McAllister durchaus anerkennend als „Premium-Opposition“ geadelt wurden, haben auch ein Jahr nach der Wahl ihre Rolle immer noch nicht richtig gefunden. Gäbe es, was angesichts der Größe der Oppositionsfraktionen eher graue Theorie ist, die Rolle eines Oppositionsführers zu definieren, so würde sie wohl noch eher auf den FDP-Fraktionsvorsitzenden Stefan Birkner zutreffen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anja Piel, die mehr das Verbindende schätzt und den politischen Gegner nur ungern allzu hart attackiert, hat es bisher nicht geschafft, Themen zu setzen und der Fraktion das nötige Profil zu geben. Auch Stefan Wenzel, in Oppositionszeiten hochangesehener Fraktionsvorsitzender der Grünen, hatte den Kampfmodus im Ministeramt abgelegt und ihn bis jetzt nicht wieder angenommen. Das Spitzenduo Piel/Wenzel hat im Wahlkampf 2017 nicht eine Sekunde lang gezündet, das Fünfer-Spitzenteam, dem die übrigen drei Grünen-Minister und keiner der Parteivorsitzenden angehörte, ebenso wenig. Für die Grünen sind Piel und Wenzel nicht nur geschätzte, sondern auch wertvolle Politiker. Aber nach einem Jahr in der Opposition muss man konstatieren: Der einen liegt die Rolle an der Spitze nicht, und dem anderen liegt sie nicht mehr.

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Die niedersächsischen Grünen haben sich vor der Wahl wieder einmal selbst geschwächt. Die Idee, jeden dritten Listenplatz einem Neueinsteiger zu geben, mag einst einen gutgemeinten Hintergrund gehabt haben. In Zeiten, in denen Unternehmen sich darum bemühen, Talente zu halten und „brain drain“ möglichst zu verhindern, ist die Idee aber veraltet und kontraproduktiv. Die Neuen in der Fraktion sind noch zu frisch im Geschäft, um schon Verantwortung zu übernehmen. Wer könnte die Grünen im Landtag wieder zu einer Premium-Opposition machen? Es fällt einem nur der Parlamentarische Geschäftsführer Helge Limburg aus Holzminden ein, dem das zuzutrauen wäre, vielleicht mit der Bildungspolitikerin Julia Hamburg aus Goslar an seiner Seite. Haben die Grünen die Kraft, die Debatte über den Wahlausgang, die politischen Folgen und die daraus resultierende Verantwortung ehrlich miteinander zu führen?

 


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Der angebliche Machtkampf um den Landesvorsitz bleibt derweil nur ein Nebenkriegsschauplatz. Egal, wie das Rennen ausgeht, es wird das grundsätzliche Problem der Grünen nicht lösen. Das liegt etwa einen Kilometer südlich von der Landesgeschäftsstelle, im niedersächsischen Landtag. Die Partei wird keinesfalls, mit welchem Vorsitzenden auch immer, die aktuelle Schwäche der Fraktion ausgleichen können.

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