12. Jan. 2021 · 
Inneres

Linksextremistischer Anschlag verdeutlicht die Defizite bei der Arbeit der Ermittler

    Das Entsetzen war quer über die Parteigrenzen groß, als am Wochenende zehn Transportfahrzeuge der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig in Flammen aufgingen. Die Polizei fand im Internet ein Bekennerschreiben, das auf linksextremistische Hintergründe hinweist. Die Stellungnahme von Innenminister Boris Pistorius (SPD) ließ an Deutlichkeit nichts vermissen: „Wir stellen in Niedersachsen eine starke Radikalisierung der Szene fest, die sich zu einer terroristischen Struktur entwickelt.“ Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil just Ende vergangenen Jahres in einer wissenschaftlichen Untersuchung für den Landespräventionsrat gravierende Mängel benannt worden waren (der Rundblick berichtete darüber am 20. Dezember 2020). Die Autoren der Studie stellten fest, dass das Phänomen des Linksextremismus nicht ausreichend erfasst werde. Es fehlten genügend empirische Studien über die Ursachen, die Menschen zu diesen Vereinigungen und Organisationen führten. Festgestellt wurde überdies, dass ein nicht geringer Teil derer, die sich mit extremistischen Erscheinungsformen beschäftigten, den Linksextremismus als solchen gar nicht als Problem anerkennen wollen. Die Aufklärungsrate bei linksextremistischen Aktivitäten – früher vor allem Anschläge auf Castor-Transporte und Aktivitäten gegen die Kernenergie, heute besonders die gewalttätige Auseinandersetzung mit angeblichem „Faschismus“ – gehe zurück.

  Wir stellen in Niedersachsen eine starke Radikalisierung der Szene fest, die sich zu einer terroristischen Struktur entwickelt.  

    Aus dem Bekennerschreiben geht hervor, dass die Akteure des Anschlags in Braunschweig behaupteten, sie hätten „das mörderische Abschiebesystem angegriffen“. Tatsächlich unterstützt die Landesaufnahmebehörde die Kommunen in Einzelfällen, wenn abgelehnte Asylbewerber zurückgeführt werden müssen. Auch bei der Landesaufnahmebehörde in Hannover-Langenhagen waren am Wochenende Brandsätze gefunden worden, die aber nicht gezündet hatten. Der frühere Innenminister und jetzige Fraktionsvize der CDU, Uwe Schünemann, beklagte eine Vernachlässigung des Problembereichs „Linksextremismus“ in der Landespolitik. Schünemann hatte in den letzten Tagen des neuen Jahres den Innenminister in einem Brief gebeten, die Anstrengungen auf diesem Gebiet zu verstärken. „Es muss frühzeitig verhindert werden, dass sich im Windschatten von Rechtsextremismus und islamistischem Terrorismus der Linksextremismus ungestört und ungehemmt in unserer Gesellschaft ausbreiten kann“, heißt es in dem Schreiben. Der CDU-Politiker sprach sich für Sonderermittlungsgruppen in den Polizeidirektionen aus, die sich diesem Phänomen widmen. Die Präventionsarbeit müsse verstärkt werden – und es müsse für Menschen, die sich in der linksradikalen Szene bewegen, Aussteigerprogramme geben (ähnlich wie sie im Rechtsextremismus mittlerweile üblich sind). Was den Verfassungsschutz angeht, trifft Schünemann die folgende Aussage: „Die Bekämpfung des Linksextremismus muss von den Führungskräften ebenso wertgeschätzt werden wie bei anderen Formen des Extremismus.“

    Wichtig ist für den CDU-Politiker auch die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes, die gegenwärtig gerade im Landtag beraten wird. Im Entwurf von Pistorius ist vorgesehen, die Vorschriften für das Auskunftsersuchen zu verändern. Bisher können Bürger, die ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind, unentgeltlich Auskunft über die über sie gespeicherten Daten verlangen – und nach Beobachtungen von Kritikern kann das zu einer Überfrachtung der Behörde mit Anfragen führen. Mit der Änderung wird jetzt bezweckt, dass diesem Auskunftswunsch ein konkreter Sachverhalt zugrunde liegen muss, ein „besonderes Interesse“ an der Information muss deutlich gemacht werden. Für Schünemann wäre diese Änderung ein Schritt, den Verfassungsschutz von bürokratischen Aufgaben zu entlasten.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #005.
Sina Gartz
AutorSina Gartz

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