Jessica Kaußen und Lars Leopold führen die Linken-Liste an
Bei der Kür der Spitzenkandidaten zur Landtagswahl hat es bei der Linkspartei am Wochenende eine Überraschung gegeben. Nicht die zuvor als Favoritin gehandelte Einzelhandelskauffrau Franziska Junker (59) aus der Samtgemeinde Hesel (Kreis Leer) setzte sich durch, sondern ihre Gegenkandidatin Jessica Kaußen aus Laatzen (Region Hannover). Hinter Junker hatte sich zuvor nicht nur eine Mehrheit von Verbänden aus dem Nordwesten Niedersachsens versammelt, auch bei den einflussreichen „Bewegungslinken“ hatte es Sympathien für sie gegeben. Doch in der Delegiertenversammlung traten dann bei der Vorstellung beider Bewerber deutliche Unterschiede zutage.
Junker konzentrierte sich auf ihre Gewerkschaftsarbeit, die Nähe zu den Problemen der Hafenarbeiter und musste auf Nachfragen eingestehen, die bisherigen gesetzlichen Vorgaben zur Inklusion nicht zu kennen – „Ich werde mich damit beschäftigen und es verändern, sobald wir in den Landtag kommen“, versprach sie. Kaußen hingegen trat schwungvoll und sympathisch auf, kritisierte die SPD für „viele nicht eingehaltene Versprechen, etwa zum sozialen Wohnungsbau oder zur kommunalen Entschuldung“ und forderte die Linke zum entschlossenen Kampf auf: „Nicht in fünf oder zehn Jahren, sondern jetzt will ich die Linke in den Landtag führen.“
Jessica Kaußen: Von der Außenseiterin zur Spitzenkandidatin
Im Vorfeld hatten viele auch in der Linkspartei nicht mit einem Sieg von Kaußen gerechnet, obwohl sie seit Jahren in der Partei sehr aktiv ist und seit Jahren auch die Fraktion der Linken in der hannoverschen Regionsversammlung führt – also im größten kommunalen Gremium Niedersachsens. Aber die Maschinenbauingenieurin und alleinerziehende Mutter einer achtjährigen Tochter gehört dem Flügel „Forum demokratischer Sozialismus“ (FDS) an, der seit vielen Jahren in Niedersachsen in der klaren Minderheit war. Die Richtung der „Bewegungslinken“, die die Partei stärker auf die Vernetzung der sozialen Strömungen (Gewerkschaften und Klimagruppen) als auf Machtpolitik ausrichten will, sieht das FDS ausgesprochen skeptisch. Außerdem zählt Kaußen nicht zu den Anhängern des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Landesvorsitzenden Diether Dehm, der über viele Jahre ein bedeutender Machtfaktor in dem Landesverband war.
Dehm hat sich inzwischen zurückgezogen, die beiden Landesvorsitzenden Heidi Reichinnek (Osnabrück) und Lars Leopold (Hildesheim) werden aber der von ihm geprägten Richtung zugeordnet. Reichinnek gehört seit vergangenem Herbst dem Bundestag an, sie hat zudem ihren Hut für die Wahl der Linken-Bundesvorsitzenden in den Ring geworfen, der Parteitag ist Ende Juni in Erfurt. Wie es heißt, hatten Reichinnek und Leopold von Anfang an auf Kaußens Seite gestanden. Die Gruppierung FDS, für die die neue Spitzenkandidatin steht, ist vor allem in den neuen Ländern dominant, sie ist sehr pragmatisch ausgerichtet und steht Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen betont aufgeschlossen gegenüber.
80 Prozent stimmen für Co-Spitzenkandidat Lars Leopold
Co-Spitzenkandidat von Kaußen wird auf Listenplatz 2 der Landesvorsitzende Leopold, ein 44-jähriger Kaufmann aus Hildesheim. Er setzte sich mit 80 Prozent klar gegen den Osnabrücker Lars Büttner (32) durch, der in der Partei sehr umstritten ist und in der Vorstellung erklärte, die Linke würde „viel zu sehr die Kernthemen verlassen und deshalb nicht gewählt werden“. Auf Rang drei wurde Franziska Junker gewählt. Bei Platz vier kann es dann zu einem Kräftemessen in der Partei. Linken-Urgestein Hans-Henning Adler (72) aus Oldenburg trat für die Richtung an, für die auch die Landesvorsitzenden und die neue Spitzenkandidatin stehen, während der Göttinger Thomas Goes (42) für die „Bewegungslinken“ auftrat. Im ersten Wahlgang, an dem noch ein dritter Bewerber beteiligt war, lag Adler um zwei Stimmen hinter Goes. Eine Stichwahl wurde nötig, die Adler für sich entschied. Auf Rang sechs konnte Landesgeschäftsführer Christoph Podstawa, einer vom linken Flügel, gegen den FDS-Bewerber Felix Mönkemeyer obsiegen.
Zu Beginn des Delegiertentages hatte die Linken-Bundestagsfraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali das russische Vorgehen in der Ukraine zwar als „Putins verbrecherischen Angriffskrieg“ bezeichnet und gefordert, dieser dürfe „nicht gewinnen“. Man könne aber „Russland nicht mit militärischen Mitteln in die Knie zwingen“. Wenn man gegenwärtig über diplomatische Lösungen rede, werde man „gleich in die Nähe von Putin gerückt“.
Dieser Artikel erschien am 13.06.2022 in der Ausgabe #109.
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