Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) war am Montagabend Ehrengast des „Wirtschaftsrats der CDU“ (WR), der sein 60-jähriges Bestehen feierte. Für den Sozialdemokraten war das der Besuch in der Höhle des Löwen, denn die Vertreter des Wirtschaftsrates zählen zu den schärfsten Kritikern der aktuellen rot-grünen Wirtschaftspolitik.

Die Bundesvorsitzende des WR, Astrid Hamker, holte denn auch in ihrer Begrüßungsrede zu einer heftigen Schelte aus: Rot-Grün setze in Niedersachsen „die völlig falschen Prioritäten“ – was die Kürzungen beim Breitbandausbau angeht, die schleppende Digitalisierung der Verwaltung und die fehlenden Investitionen in die Häfen. Auch die Energiepolitik samt Kernkraftausstieg sei grundverkehrt: „Man hat den Eindruck, es wird in Hannover eher verwaltet als gestaltet. Am Kabinettstisch ist die SPD der Gefangene des grünen Koalitionspartners.“
In der Versammlung von rund 150 Teilnehmern gab es dafür starken Applaus. Lies reagierte freundlich und warb um Verständnis. Die Zeiten seien sehr schwierig, seit der Corona-Krise sei die Gesellschaft „empfindlicher und kritischer im Umgang miteinander geworden“. Die demokratischen Kräfte müssten zusammenhalten und um die beste Lösung ringen. Die Verantwortlichen in der Regierung müssten „auch die Opposition einbinden“. Ein Leitsatz von Ludwig Erhard sei gewesen, dass es besser sei „die Wirtschaft gesund zu beten statt sie tot zu reden“.
Auch für seinen Beitrag erhielt Lies Applaus – sogar seine Rechtfertigung der Kürzungen beim Breitbandausbau („wir müssen auch die Unternehmen in die Pflicht nehmen“) erntete in der Versammlung keinerlei Widerspruch. CDU-Landeschef Sebastian Lechner hätte mit scharfen Angriffen auf Lies in dieser Versammlung kräftigen Beifall ernten können – doch er verzichtete darauf, seinen Heimvorteil zu nutzen. Mehrfach sprach er Lies als den „lieben Olaf“ an und stimmte zu, dass die demokratischen Parteien zusammenarbeiten müssten. „Lass‘ uns 2024 auf der Bundesebene eine Staatsreform hinkriegen.“

Lechner fügte hinzu, dass das Bürgergeld in der aktuellen Form abgeschafft werden müsse, da es im Einzelfall über den Bezügen derer liegen könne, die ein Arbeitseinkommen haben. Nötig sei zudem eine Unternehmensreform mit Steuersenkung anstelle der vielen komplizierten Förderprogramme. Auch dafür kam starker Applaus. Am Ende seiner Rede indes ging Lechner Lies dann doch noch an: Die Kürzung der Breitband-Förderung führe dazu, dass Bayern und Baden-Württemberg „die 220 Millionen Euro an Bundesförderung nehmen, die Niedersachsen nicht nutzen will“. Das müsse Rot-Grün ändern: „Ich bitte Dich, Olaf: Nehmt die Entscheidung zurück, bis Dezember habt ihr noch Zeit dazu.“