Landvolk ist empört über Dünge-Regeln für knapp ein Drittel der Agrarflächen
Dass die Fläche der besonders nitratbelasteten „roten Gebiete“ im Laufe des Jahres noch einmal deutlich größer werden könnte, war bereits klar, als die Landesregierung im Februar zuletzt die Landes-Düngeverordnung aktualisiert hat. Damals fielen etwa 21 Prozent der Agrarflächen unter das besondere Regime, welches das Grundwasser vor Nitrat-Einträgen aus der Landwirtschaft schützen soll – ein verhältnismäßig kleines Areal im Vergleich zu den vorherigen Ausweisungen.
Der neue Entwurf der Landesdüngeverordnung, der nun am Montag vom Kabinett für die Verbandsbeteiligung freigegeben wurde, vergrößert die betroffene Fläche auf knapp 32 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Gebiete. Als das Land Niedersachsen 2019 erstmals diese Nitratkulisse vorgestellt hat, bemaß sie noch 39 Prozent der Agrarflächen – diese Zahl ist aus statistischen Gründen allerdings nicht mit den späteren Prozentangaben direkt vergleichbar. Im Mai 2021 machten die „roten Gebiete“ dann noch 24,5 Prozent der Agrarflächen aus.
Die wichtigste, aber auch umstrittenste Regelung für die Agrarbetriebe in den betroffenen Regionen ist die Vorgabe, fortan 20 Prozent unter dem eigentlichen Bedarf der Pflanzen zu düngen. Landwirte kritisieren seit langem, dass diese Maßnahme nicht fachlich begründet sei und die angebauten Pflanzen folglich nur eine geringere Qualität erlangen würden. Der Boden werde so allmählich ausgezehrt.
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Warum sich die Fläche der „roten Gebiete“ noch einmal deutlich vergrößern wird
Der Erweiterung der Gebietskulisse liegt eine neue EU-Vorgabe zugrunde, die im August 2022 auf Bundesebene eingeführt und vom Land Niedersachsen nun in einem zweistufigen Verfahren ins hiesige Regelwerk überführt wurde. Dabei geht es darum, dass natürliche Nitratabbauprozesse, die sich unter bestimmten Umständen in Grundwasserkörpern vollziehen können, bei der Bestimmung der Nitratbelastung berücksichtigt werden müssen.
So hat man schon vor längerer Zeit festgestellt, dass der gemessene Nitratwert im Grundwasser nicht zwingend dem tatsächlichen Nitrateintrag entsprechen muss – sondern niedriger ausfällt. Dazu kommt es, wenn innerhalb des Grundwasserkörpers eine sogenannte Denitrifikation stattgefunden hat. Dabei bauen Mikroorganismen in mehreren Teilschritten das Nitrat zuerst zu Nitrit, dann Stickstoffmonoxid, Lachgas und schließlich zu molekularem Stickstoff ab.
Diese Prozesse im Grundwasserkörper sind allerdings endlich, weil sie auf das Vorhandensein bestimmter Rohstoffe angewiesen sind. Wenn die Abbauprozesse einmal nicht mehr vonstattengehen, steigt die Nitratbelastung bei gleichbleibender Zufuhr von oben plötzlich deutlich an. Die neue Düngeverordnung soll diese Zukunftsbetrachtung einschließen.
Landwirte kritisieren neues Regelwerk scharf
Beim niedersächsischen Landesbauernverband äußert man unterdessen „scharfe Kritik“ an diesem neuen Regelwerk. „Die Ausweitung der ‚roten Gebiete‘ in Niedersachsen bedeutet eine massive Ungleichbehandlung der hiesigen Landwirte gegenüber den europäischen Berufskollegen“, empört sich Landvolk-Präsident Holger Hennies. Eine rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung der natürlichen Nitratabbauprozesse im Grundwasser sehe er durch die EU-Nitratrichtlinie nicht gegeben. Vielmehr sei dieses Vorgehen vonseiten der EU-Kommission im Zusammenhang mit dem erst kürzlich eingestellten EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland von der Brüsseler Behörde erzwungen worden.
In der Tat lässt sich kaum rekonstruieren, wie die Denitrifikation ihren Weg in die Bundesdüngeverordnung respektive die dazugehörige „Allgemeine Verwaltungsvorschrift“ gefunden hat. Niedersachsens Landesregierung verweist allerdings darauf, dass die Berücksichtigung der Nitratabbauprozesse eine Voraussetzung für die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens gewesen sei.
Landvolk-Präsident Hennies kündigte am Montag an, den Entwurf der Landesregierung für eine Änderung der Düngeverordnung gründlich zu prüfen. Zudem werde im Juli ein neues Fachgutachten fertiggestellt, das der Verband in Auftrag gegeben hat. Hennies schließt auch eine Klage gegen die Düngeverordnung nicht aus, bezeichnet die gerichtliche Prüfung gar als „unausweichlich“, weil er davon ausgehe, dass die Landesregierung auch im Zuge der Verbandsbeteiligung nicht einlenken werde.
Dieser Artikel erschien am 04.07.2023 in der Ausgabe #122.
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