14. Feb. 2018 · 
Inneres

Landtagspräsidentin Andretta – wie eine Professorin in einem Forschungsseminar

Die meisten Landtagspräsidenten, die Niedersachsen erlebt hat, gaben ihrem Amt eine eigentümliche Note. Da war Horst Milde, der Oldenburger, der in den neunziger Jahren immer bemüht war, die Würde und Bedeutung des hohen Hauses an der Seite des machtbewussten Ministerpräsidenten Gerhard Schröder zu betonen. Dann kam Rolf Wernstedt, der ehemalige Kultusminister und Hochschullehrer. Zu seiner Zeit wurden in Abend- und Gedenkveranstaltungen philosophische Reden gehalten, der Präsident wollte dem Amt mehr Anspruch und Tiefenwirkung verleihen. Das gelang ihm auch. Jürgen Gansäuer knüpfte daran an, förderte vielfältig die Beschäftigung mit der Geschichte Niedersachsens. Es wurde seine Leidenschaft, die er nach Amtszeitende immer stärker fortsetzte und vertiefte, bis heute. Ihm folgte Hermann Dinkla, dem die Europapolitik besonders am Herzen lag. Sein Nachfolger Bernd Busemann hatte das Ziel, in der Reihe „Parlamentsleben“ bekannte Persönlichkeiten ins Parlament zu holen – und so die Basis derer, die sich für Landtagsarbeit interessieren, zu verbreitern. [caption id="attachment_30671" align="aligncenter" width="780"] Gabriele Andretta stellte in ihrem Büro ihr Arbeitsprogramm vor - Foto: isc[/caption] Nun ist mit Gabriele Andretta erstmalig eine Frau in der Position des ersten aller Niedersachsen, und die Neugier war groß, wie sie wohl ihre neue Aufgabe anpacken würde. Die SPD-Politikern tut es in der ihr eigenen Art. Während der leutselige Busemann eine launige Rede gehalten und zum längeren Dialog aufgefordert hätte, wirkt Andretta bei der gestrigen Vorstellung ihres Arbeitsprogramms im geräumigen Büro wie eine Dozentin. Ein bisschen kühl und kalkuliert, auf jeden Fall aber sehr rational. Sie wird mit ihren Ankündigungen konkret, legt ein ausgefeiltes Arbeitsprogramm vor und lässt auf Nachfragen keinen Zweifel daran, sich jeden Punkt genau überlegt zu haben. Ein wenig klingt es dann wie ein wissenschaftliches Seminarprogramm oder die Untergliederung eines Forschungsauftrags, aber das passt auch gut zu Andretta, die nach bald 20 Jahren als Abgeordnete immer eine Nähe zur Wissenschaftspolitik hatte, Abläufe hinterfragt und nach den Grundlagen der Entscheidungen gesucht hat. Den Geist des wissenschaftlichen Disputs, so scheint es, erfüllt sie noch immer. Dass die öffentlichen Veranstaltungen zur unverbindlichen Plauderei über Gott und die Welt werden, droht bei ihr sicher nicht. Dass Debatten vor lauter Rücksichtnahme „weichgespült“ erscheinen, wohl auch nicht. Eher muss man bei Andretta auch mit gezielten Provokationen rechnen – und die können die politische Arbeit ja nur beleben.

Andretta sucht das Gespräch mit Jugendlichen

Das erste Jahr, 2018, steht für sie unter der Überschrift „Starke Frauen“. Erinnert wird an den 100. Jahrestag des allgemeinen Wahlrechts (auch für Frauen), ein Poesie-Wettstreit zum Thema „Frauen an die Macht“ wird geboten, ein Stummfilm-Abend mit dem Streifen „Die Suffragette“ von 1913 und eine Diskussion über die Frage, ob es auch hierzulande ein „Parité“-Gesetz geben soll. Damit ist gemeint, dass den Parteien vorgeschrieben werden könnte, auf ihren Landeslisten abwechselnd eine Frau und einen Mann zu setzen. Andretta sagt, sie ist dafür – wohlwissend, dass die rot-schwarze Koalition dieses Thema nicht auf der Agenda hat. Andretta ist auch dafür, den internationalen Frauentag am 8. März zum Feiertag in Niedersachsen zu erheben. Dass im Koalitionsvertrag ausdrücklich von einem neuen „kirchlichen/gesetzlichen“ Feiertag die Rede ist, stört die Landtagspräsidentin nicht weiter. Sie freut sich über jede freie und unbefangene Debatte darüber. Zwar hatte Andretta nicht auf das Präsidentenamt hingearbeitet, wie sie betont. Lange sah es so aus, als wenn der CDU weiter diese Position zustünde, bis die SPD diesmal ziemlich überraschend stärkste Fraktion im Parlament wurde und sie quasi automatisch nach vorn rückte. Aber Andretta hat gleichwohl ein Konzept, wie sie ihr hohes Amt gut ausfüllen kann. 2019 solle für sie unter dem Motto „Jugend und Demokratie“ stehen, dabei will sie versuchen, verstärkt mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen – auch mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung. Für 2020 hat sich Andretta dann „Demokratie in der digitalen Gesellschaft“ vorgenommen. In den neunziger Jahren, sagt sie, sei noch die Utopie des „herrschaftsfreien Diskurses“ verbreitet worden – alle könnten teilhaben, Hierarchien zählten nicht mehr. Heute sehe man die Schattenseite: Es komme im Netz zu Pöbeleien und Gewaltverherrlichungen, Leute bewegten sich nur noch unter Gleichgesinnten, die Meinungsfreiheit werde erdrückt. Wie Politik da reagieren könnte, will Andretta in mehreren Veranstaltungen ergründen. 2021 dann will sie sich mit den vielfältigen Kulturen und ihren unterschiedlichen Demokratievorstellungen beschäftigen. Die Frage soll dann sein, wie die Politik beim Aufeinanderprallen ganz verschiedener Ansprüche und Erwartungen gut funktionieren kann. Ist das nicht alles vielleicht ein bisschen viel für den Landtag, sind die Ansprüche nicht zu hoch geschraubt? Andretta hält es mit Georg Christoph Lichtenberg, der einst – wie sie heute – in Göttingen gelebt hat. Sein Motto lautete: „Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen.“ (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #31.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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