Landtag XXL? Fraktionen peilen „kleine Lösung“ an
Der Bericht des Politikjournals Rundblick über eine womöglich bevorstehende Ausweitung der Landtagsmandate nach der nächsten Landtagswahl 2022 hat viele besorgte Reaktionen ausgelöst. Aus der SPD/CDU-Koalition hieß es, das Problem sei nicht so drastisch wie beispielsweise im Bundestag, da die niedersächsischen Regeln nicht den vollständigen Ausgleich der Überhang- durch Ausgleichmandate verlangen. Dennoch droht auch im Landtag eine Mandatsvermehrung.
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Landtag XXL: Parlament droht massiv zu wachsen
Grundsätzlich soll das Parlament laut Gesetz 135 Abgeordnete haben. Zunächst ist aber gewählt, wer einen der 87 Wahlkreise erobert hat. Wenn beispielsweise die CDU mehr Wahlkreismandate errungen hat, als ihr laut Zweitstimmenergebnis zustehen, dann sind die zusätzlichen Wahlkreismandate sogenannte Überhangmandate. Sie werden durch Ausgleichsmandate für die anderen Fraktionen aufgefangen, damit das Stimmenverhältnis laut Zweitstimmenergebnis wieder stimmt.
Das klappt noch ohne viele Ausgleichsmandate, wenn die stärksten Parteien, also SPD und CDU, über 30 Prozent oder nahe 40 Prozent liegen (wie es bisher stets der Fall war). Gegenwärtig rangiert die CDU in den Umfragen, umgerechnet auf die Landtagswahl, aber zwischen 26 und 28 Prozent. Die SPD wäre dahinter mit 23 bis 24,5 Prozent, dahinter die Grünen mit 23,5 Prozent. Die AfD könnte auf 10, die FDP auf 7 Prozent kommen. In dieser Projektion könnten die Grünen fünf der 87 Wahlkreise erobern, zwischen SPD und CDU wäre das Verhältnis recht ausgewogen (42 zu 40) – und die Gesamtzahl der Mandate würde wohl um 14 Sitze auf 149 ansteigen. Das wäre noch verkraftbar.
Zentgraf wirbt für Verkleinerung des Parlaments
Das Problem einer erheblichen Mandatsausweitung würde aber eintreten, wenn eine der beiden großen Parteien ziemlich viele Wahlkreise gewönne – etwa die CDU mit bis zu 73 der 87 Direktmandate, wie es vor wenigen Wochen noch vorausgesagt worden war. In diesem Fall hätte die CDU wegen ihrer gleichzeitigen Zweitstimmenschwäche viel mehr Überhangmandate, das Parlament könnte auf 210 Sitze wachsen. Die Notwendigkeit weiterer Büro- und Tagungsräume wäre wohl gegeben. Wie soll darauf nun reagiert werden?
Der Präsident des Bundes der Steuerzahler (BdSt), Bernhard Zentgraf, wirbt für eine Verkleinerung des Parlaments von derzeit gesetzlich 135 auf 99 Sitze. Es solle statt 87 nur noch 61 Wahlkreise geben, statt 48 sollten 38 Abgeordnete über die Listen in das Parlament einziehen. Die Gefahr einer „Aufblähung“ des Parlamentes müsse vermieden werden, sagt er. Das gelte, sagt Zentgraf, noch dringlicher für den Bundestag, der dringend eine Wahlrechtsreform brauche. „Hierzu sollten die niedersächsischen Landesvorsitzenden von SPD und CDU, Stephan Weil und Bernd Althusmann, zügig in Berlin aktiv werden“, fordert der BdSt-Präsident im Gespräch mit dem Rundblick.
Wahlkreisgrenzen verschieben? SPD-Abgeordneter warnt davor
Die Berechnungen könnten eine Debatte beflügeln, die bisher im Verborgenen geführt wird – aber spätestens in einem Jahr zu gesetzlichen Änderungen geführt haben muss, da dann die Vorbereitungen für die Landtagswahl 2022 beginnen sollen. Zwei der 87 Wahlkreise weichen gegenwärtig in der Zahl der Wahlberechtigten um mehr als 25 Prozent vom Durchschnitt ab – was untersagt ist. Lüneburg hat zu viele Einwohner, Einbeck zu wenige. Angleichungen sind möglich, indem einige Gemeinden aus einem Wahlkreis abgezogen und einem benachbarten zugeordnet werden. Da in Südniedersachsen viele Wahlkreise dicht am unteren Level liegen und spätestens bei der übernächsten Wahl auch um mehr als 25 Prozent unter den Durchschnitt sinken dürften, wird auch erwogen, dort einen Wahlkreis zu streichen – und dafür im Nordwesten einen neuen zu schaffen. Das würde aber größere Umgliederungen nach sich ziehen. Die Koalition, heißt es, scheue eine solche Regelung, da das zu viel Unruhe produzieren würde. Eine „kleine Lösung“ werde bevorzugt. Sollte der Landtag keine Änderung beschließen, droht eine juristische Anfechtung des Landtagswahlergebnisses 2022 wegen der Ungleichheit der Wahlchancen Erfolg zu haben.
Gegen eine Verschiebung von Gemeinden vom einen zum anderen Wahlkreis gibt es allerdings warnende Stimmen wie die des SPD-Abgeordneten Uli Watermann (Hameln-Pyrmont). Er hat jüngst deutlich die Nachteile beschrieben, wenn sich Wahlkreise – wie derzeit Nienburg/Schaumburg – über Teile von drei Landkreisen erstrecken. Die Abgeordneten müssten dann mit drei verschiedenen Landräten verhandeln, der Koordinationsaufwand sei riesig, die politische Arbeit leide darunter. Aus der SPD wurde vorgeschlagen, zu 100 Wahlkreisen zurückzukehren, diese zu 50 zusammenzulegen und je Wahlkreis zwei Abgeordnete zu benennen – einen Mann und eine Frau. Dann, heißt es, könnten auch Wahlkreis- und Landkreisgrenzen einfacher zur Deckung gebracht werden. Das Problem ist nur: In diesem Fall wäre die Gefahr einer enormen Vergrößerung des Landtags noch viel größer.