Zum fünften Mal hat Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch im Landtag eine Regierungserklärung zur aktuellen Politik in der Corona-Krise vorgetragen. Anschließend entwickelte sich in der folgenden Debatte ein heftiger Streit über die Frage, ob die wesentliche Neuerung in der Verordnung, die bald in Kraft treten soll, überhaupt gerechtfertigt ist. Erstmals plant Niedersachsen eine Vorgabe dafür, wie viele Menschen sich in privaten Räumen treffen können – es sollen maximal 25 sein. Sobald es um Gärten oder Terrassen handelt, also freie Flächen im Privatbesitz, soll die Höchstzahl auf 50 festgelegt werden.


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Weil: Feiern in privaten Räumen nur mit 25 Leuten


Eine Verschärfung ist dann geplant, wenn die Infektionen in der entsprechenden Kommune stark ansteigen sollten. Weil sagte, es gebe Hinweise auf Scheunenpartys oder Feiern von Großfamilien, bei denen „auch in größerer Zahl kein Abstand gehalten, kein Maske getragen und keine Hygieneregeln beachtet wurden“. Bei sehr vielen Teilnehmern sei das Ansteckungsrisiko wesentlich größer. Wer nun trotzdem feiern wolle, solle auf Gaststätten ausweichen – dort sollen Feiern künftig auch ohne besonderen Anlass zulässig sein, die Obergrenze für Besucher soll bei 100 statt bisher 50 Personen liegen. Abstands- und Hygieneregeln würden in Restaurants auf jeden Fall beachtet.

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Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner sagte, der Eingriff in die in Artikel 13 des Grundgesetzes garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung sei so weitgehend, dass eine starke Rechtsgrundlage dafür nötig sei. Die Landesregierung berufe sich aber lediglich auf eine Generalklausel im Bundesinfektionsschutzgesetz, aus der wiederum eine Generalklausel in der Regierungsverordnung abgeleitet werde. Nötig wäre aus Birkners Sicht mindestens ein Landesgesetz, aber die Regierung weigere sich ja, die Corona-Politik auf Basis von Landesgesetzen mit der entsprechenden parlamentarischen Beratung festzulegen.

Leider beschränke sich die Regierungsarbeit seit März in diesem Bereich auf Regierungsverordnungen, das öffentliche Ringen um die Einzelvorschriften im Parlament bleibe aus. Das sei ein Beitrag zur Entmachtung des Landtags. Dieser Mangel bewirke, dass das Kabinett nicht ausreichend um Vertrauen für die Grundrechtsbeschränkungen werbe. Wie in allen anderen Verordnungen fehle auch in der aktuellen eine schlüssige Begründung für die geplanten Schritte. Das werde noch schlimmer, wenn man bedenke, dass die Regierung lokal bei einer Verschärfung der Infektionslage auch Ausgangssperren und Gruppenquarantänen für möglich und geboten halte.

„Kein rechtsfreier Raum“

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder betonte, die Privatwohnung sei zwar besonders geschützt, aber „kein rechtsfreier Raum“. Ihr CDU-Kollege Dirk Toepffer unterstützte die Position: Die im Grundgesetz garantierte „Unverletzlichkeit der Wohnung“ sei darauf ausgerichtet, dass der Staat, vertreten durch die Polizei, die Wohnung nicht ohne triftigen Grund betreten darf. Das bedeute aber nicht, in der Wohnung Dinge tun zu dürfen, die außerhalb verboten sind. Da das Virus aber vor privaten Räumen nicht halt mache und sich Hinweise auf private Feiern als Infektionsherde häuften, sei der Eingriff gerechtfertigt. Toepffer reagierte auf Birkners Generalkritik allerdings zweigleisig.

Einerseits hielt er ihm vor, seine Argumentation führe er schon seit Monaten „einseitig akademisch und staatsrechtlich“, er sei darin gefangen und klammere die eigentliche Frage der richtigen Reaktion auf die Pandemie aus. Anderseits räumte der CDU-Fraktionschef jedoch ein, dass die bisherige Politik der dauernd erneuerten Regierungsverordnungen nicht monatelang fortgesetzt werden dürfe. Irgendwann sei der Landtag dann auch als Gesetzgeber gefordert. Toepffer sieht das auch mit Blick auf weitere Grundrechtsbeschränkungen – der Religionsfreiheit etwa, wenn es um Auflagen für Gottesdienste gehe, oder der Reisefreiheit, wenn man irgendwann die Fahrten in die Niederlande beschränken müsse – denn im Nachbarland sind die Corona-Infektionen stark gestiegen.

Schlüssigkeit der Verordnung fehle

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg monierte, die neue Corona-Verordnung leide wie ihre Vorgänger an der fehlenden Schlüssigkeit. So sollten zwar private Feiern mit mehr als 25 Personen verboten werden, aber in Fitness-Studios könnten 60 Menschen und mehr in geschlossenen Räumen Sport treiben. In Hochschulen solle die Maskenpflicht entfallen, während in Kirchen Abstände gehalten und Masken getragen werden müssten. Der AfD-Politiker Stephan Bothe meinte, die Begründung für die Corona-Verordnung fehle auch deshalb, weil sie „nicht mehr zu begründen“ sei. Tatsächlich zeigten die weniger schweren Krankheitsverläufe, dass Corona nicht schlimmer sei als eine normale Grippe.

Ministerpräsident Stephan Weil hatte zu Beginn der Debatte angekündigt, es könnten voraussichtlich sehr schnell Corona-Schnelltests zur Verfügung stehen, „das wäre ein echter Fortschritt“. Mit der Kassenärztlichen Vereinigung bereite man gerade den Aufbau von Impfzentren vor. Jeder Geimpfte müsse vermutlich nach vier bis sechs Wochen ein weiteres Mal geimpft werden – und das könne wegen des riesigen Bedarfs auch zu Verzögerungen führen.