Landflucht führt zur Diskussion um die Stadtplanung der Zukunft
Seit mehreren Jahren zieht es immer mehr Menschen in die Städte, von einer Landflucht ist die Rede. Dieser Umstand und der zusätzliche Zuzug von Flüchtlingen führt auch bei Architekten in Niedersachsen zu einer Diskussion darüber, wie die Städte mit dieser Wanderungsbewegung umgehen können. In einem Punkt sind sich alle einig: Es muss gebaut werden. Dafür sollte es nach Ansicht von Experten weniger Hürden geben. „Die Kommunen sollten zum Beispiel überlegen, ob bei der Stellplatzverordnung etwas zurückgedreht werden kann. Ein weiteres Thema seien die Energievorgaben“, sagt Wolfgang Schneider, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, im Gespräch mit dem Rundblick. Eine Fülle von Vorschriften stehe dem bezahlbaren Wohnraum entgegen. „Da muss die eine oder andere Schraube etwas gelockert werden“, meint Schneider. Das solle aber nicht bedeuten, dass alle Errungenschaften, wie zum Beispiel das barrierefreie Bauen, rückgängig gemacht werden sollten. Auch Uwe Brederlau vom Institut für Städtebau und Entwurfsmethodik der TU Braunschweig sieht es inzwischen als sehr schwierig an, preiswerten Wohnungsbau zu errichten. „Die Anforderungen sind energetisch überzogen“, meint Brederlau.
[caption id="attachment_14435" align="aligncenter" width="780"] Auch in den Städten kann nicht überall verdichtet werden: Der Maschsee mitten in Hannover - Foto: MB.[/caption]
Die Experten sind sich darüber einig, dass die Städte um eine Verdichtung nicht herumkommen werden. „Man kann eine Innenverdichtung bis zu einem bestimmten Maß vorantreiben, aber damit wird man vermutlich den Gesamtbedürfnissen nicht gerecht werden“, meint Brederlau. „Wenn der Zuzug weiterhin so anhält, gibt es gar keine andere Möglichkeit, also auch in den Randbereich zu gehen und diesen urban zu betrachten.“ Das Bauen in Innenstädten und Randbereichen sieht er als Balanceakt in der Stadtentwicklung. Die Städte könnten aber froh sein, dass sie gefordert seien und die Innenentwicklung vorantreiben könnten. „Das machen auch Städte wie Hannover und Braunschweig gerade“, so Brederlau. Er plädiert dafür, für die Zukunft anpassbare Wohnungen zu bauen – also nicht die typische Standard-Drei-Zimmer-Wohnung, in der die Zimmer nach dem Bild der Kleinfamilie nach Größe sortiert sind. Ein gutes Beispiel seien die Gründerzeitwohnungen: Sie seien relativ groß, und die Räume seien sehr ähnlich zugeschnitten. Deshalb seien sie auch immer noch begehrt.
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Nach Ansicht von Architektenkammer-Präsident Schneider werden die Städte höhere Häuser ertragen müssen, zum Beispiel auch Hannover. „Wir müssen der wachsenden Stadt gerecht werden. Es gibt sehr viel Potenzial, das genutzt werden muss.“ Chancen seien dabei auch der Ausbau von Dachflächen und das Schließen von Baulücken. Jörg Schröder, Geschäftsführender Leiter des Instituts für Entwerfen und Städtebau an der Universität Hannover, hält eine gewisse Verdichtung von städtischen Kernen für sinnvoll. „Mehr Dichte heißt aber nicht automatisch sofort mehr Nachhaltigkeit. Man muss an die großen Kreislaufsysteme denken – von Energie über Wasser bis Abfall. Deshalb geht es darum, möglichst clever neue Häuser in diese Kreisläufe einzubauen“, mahnt Schröder. Zunächst müssten jetzt zum Beispiel Brachen oder leer stehende Gebäude im städtischen Bereich entwickelt werden, bevor man neue Natur verbrauche.
Eine wichtige Rolle spielt in der Stadtplanung inzwischen die Bürgerbeteiligung. Jörg Schröder sieht in dem Bürgerinteresse eine „riesige Chance, dieses Engagement viel zielgerichteter in die Projekte einzubauen“. Dadurch werde es zwar nicht einfacher, aber das könne man in der Stadtplanung produktiv nutzen. Auch Schneider plädiert dafür, die Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen und keine Pseudobeteiligung zu inszenieren. „Dazu bedarf es immer einer fachlichen Moderation durch unabhängige Externe. Und es braucht politische Unterstützung“, erklärt Schneider. Die „Demokratisierung der Prozesse“ habe aber nun einmal auch zur Folge, dass das Durchsetzen von wichtigen städtebaulichen Prozessen mehr Zeit brauche.
Bei allen Diskussionen um die Zukunft der Städte erinnern aber sämtliche Experten auch daran, darüber nicht den ländlichen Raum zu vergessen. „Die große Mehrheit der Menschen lebt in Niedersachsen auf dem Land, sagt Wolfgang Schneider. „Schöne Ortsbilder und gute Architektur können dazu beitragen, die Aufenthaltsqualität auch dort zu verbessern. Die Bedeutung von Baukultur kann deshalb kaum überschätzt werden.“ Und auch Jörg Schröder meint, man dürfe nicht die Diskussion darüber vergessen, wie es auf dem Land weitergeht. „Man darf nicht ausschließlich über den Kern der Großstädte zu sprechen. Damit allein können wir die Zukunftsfrage nicht lösen.“ (MB.)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #212.