Die kommunale Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ hat in Deutschland bereits 100 Unterstützer. Auch elf Städte aus Niedersachsen haben die gemeinsame Erklärung unterschrieben, nach der Tempo 30 zukünftig auch auf Hauptverkehrsstraßen möglich sein soll. Und zwar ohne Einschränkungen überall dort, wo es die Kommunen selbst für nötig halten. Doch im niedersächsischen Verkehrsministerium werden die Bemühungen in diese Richtung hart ausgebremst. Das Landesmodellprojekt „Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen“, das 2016 noch mit einer rot-grünen Landtagsmehrheit beschlossen wurde, kommt einfach nicht voran. Laut Wirtschaftsministerium steckt die Vorher-Nachher-Untersuchung im Bürokratiestau fest.

Das Interesse an dem Modellprojekt war groß. Insgesamt 43 Städte und Gemeinden aus Niedersachsen hatten sich laut Verkehrsministerium für die Teilnahme beworben, unter denen am Ende sechs Kommunen von einem Runden Tisch ausgewählt wurden: Osnabrück, Göttingen, Garbsen, Seevetal, Edewecht und Friedland. Das Ziel der Untersuchung: Wie wirkt sich Tempo 30 auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen aus? Wie verändern sich der Ausstoß von CO2 und Schadstoffen? Wie verändert sich der Verkehrsfluss durch die niedrigere Höchstgeschwindigkeit? Und welche Auswirkungen hat das auf den Fuß-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr? Kommt es vielleicht sogar zu Verlagerungseffekten?
„Der Zwischenbericht liegt derzeit lediglich als Entwurf im Wirtschaftsministerium vor und wird mit der Gutachterin abgestimmt. Daher können daraus noch keine Ergebnisse bekannt gegeben werden.“
Der Ist-Zustand bei Tempo 50 sollte eigentlich schon im ersten Quartal 2020 untersucht werden. „Vor dem Hintergrund, dass es sich bei diesem Projekt um einen Vorher-Nachher-Vergleich handelt, wäre die Erhebung von Daten nicht repräsentativ gewesen“, begründet das Ministerium den verspäteten Projektstart auf Anfrage von Detlev Schulz-Hendel, dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion. Verständlicherweise wurde die sechs Monate andauernde Datenerhebung erst Ende Mai bis Anfang Juli gestartet. „Die letzten Messungen im Rahmen der Ist-Stands-Erhebung wurden durch die Gutachterin im Februar 2021 beendet“, berichtet das Verkehrsministerium. Und im September habe dann die „sehr umfangreiche“ Datenauswertung durch das Gutachterbüro IVU Umwelt GmbH aus Freiburg vorgelegen. „Der Zwischenbericht liegt derzeit lediglich als Entwurf im Wirtschaftsministerium vor und wird mit der Gutachterin abgestimmt. Daher können daraus noch keine Ergebnisse bekannt gegeben werden“, hieß es nun Ende März: „Es ist jedoch beabsichtigt, den Zwischenbericht dem Runden Tisch zur Verfügung zu stellen, sobald er finalisiert wurde.“ An diesem Runden Tisch sitzen neben den Ministerien für Verkehr, Umwelt und Inneres auch Vertreter von kommunalen Spitzenverbänden, Polizei, Landesverkehrswacht, Landesverkehrsbehörde, diverse Verkehrsclubs und Fahrradverbände sowie das Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim. Zum weiteren Vorgehen sagt das Verkehrsministerium: „Die Erprobungsphase beginnt nach Abschluss der Ist-Stands-Erhebung voraussichtlich im zweiten Quartal dieses Jahres.“

Die Kommunen sind darüber offenbar noch nicht informiert worden. „Wir hängen in der Luft. Wir haben seit November 2021 nichts mehr gehört und warten auf den Start. Die Schilder stehen bei uns schon seit 2020, die sind im Moment verhüllt“, sagt Seevetals Bürgermeisterin Emily Weede (CDU) aus dem Heimatwahlkreis von Verkehrsminister Bernd Althusmann. Die 43.000-Einwohner-Gemeinde südlich von Hamburg hat die Glüsinger Straße für das Projekt angemeldet, die die Ortskerne von Glüsingen und Meckelfeld verbindet. „Das ist eine klassische Durchgangsstraße, auf der Tempo 30 normalerweise nicht möglich ist. Deswegen waren wir auch froh, dass wir an dem Modellprojekt teilnehmen dürfen“, sagt Weede.

Stellenweise sieht auch sie den Bedarf für Tempolimits auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen – aber nicht überall. „Wir haben schon auf vielen, vielen Straßen Tempo 30“, sagt die Bürgermeisterin. Aber gerade in einer dörflich geprägten Region wie Seevetal hält es die CDU-Politikerin für abwegig, die zulässige Höchstgeschwindigkeit überall von 50 auf 30 herabzusetzen, wie es zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe fordert. Weede: „Das würde zurecht zu ganz erheblichen Bürgerprotesten führen.“