Meister: Grenzen schaden nicht der offenen Gesellschaft
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat sich dazu bekannt, dass es in Deutschland auch Grenzen geben muss. In seiner Ansprache beim Neujahrsempfang der evangelisch-lutherischen Landeskirche in der Stiftskirche des Klosters Loccum sprach Meister von nationalen, sprachlichen, kulturellen, religiösen oder sozialen Beschränkungen. „Wir brauchen eine nüchterne und sachkundige Debatte über Grenzen. Diese dürfen wir nicht einigen wenigen Milieus oder politischen Instrumentalisierungen überlassen. Welche Grenzen brauchen wir, wie durchlässig sind sie, welche Grenzen haben wir überwunden? Diese Fragen werden wir in den nächsten Jahren nicht mehr los. Und sie werden nicht allein mit der Definition einer ,Obergrenze‘ beantwortet.“
Die evangelische Landeskirche hatte am vergangenen Sonnabend traditionell Politiker und Verbandsvertreter zum Neujahrsempfang am Dreikönigstag nach Loccum eingeladen. Neben Meister hielt Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eine Rede, abschließend dann auch der Abt des Klosters Loccum und frühere Landesbischof Horst Hirschler.
Meister leitete seine Rede, die sich sehr stark mit der Bedeutung von Grenzziehungen beschäftigte, mit einem Zitat seiner 18-jährigen Tochter ein, die die deutsche Schule für Christen und Muslime in der Nähe von Bethlehem besucht hatte. Das Mädchen habe sich gewundert, warum jeder sofort eine feste Position eingenommen habe und diese sofort unverrückbar als die richtige beschrieben habe. Das führe ihn dazu, die beiden Seiten der Grenzen näher zu beleuchten. Einerseits seien diese „als Schutzfrage unserer Kultur“ wichtig. Das verbreitete Vorurteil, das Befürworten von Grenzziehungen schade der offenen Gesellschaft, sei „Unfug“. „Offene Gesellschaft heißt nicht grenzenlose Gesellschaft. Unsere Gesellschaft hat viele sinnvolle Grenzziehungen.“ Da die Gesellschaft sich der Humanität und Gerechtigkeit verpflichtet sehe, beinhalte das auch Grenzen und Sicherheiten.
Meister warnt aber davor, die eigenen Grenzen und Positionen absolut zu setzen und die Fehlbarkeit der eigenen Haltung auszublenden. „Wer seine institutionelle Geschichte sakrosankt setzt, ohne aus eigenen Fehlern zu lernen, leistet keinen Beitrag zur Verteidigung unserer offenen Gesellschaft.“ Außerdem müsse klar sein, dass mit nationalen Grenzziehungen allein „kein Weltproblem, wirklich kein einziges, gelöst werden kann“.
Weil für „Vermittlung von Sicherheit“
Ministerpräsident Stephan Weil streifte das Thema in seiner Rede auch. Obwohl die Menschen hierzulande in Sicherheit und Wohlstand leben, der früheren Generationen unfassbar erschienen wäre, seien viele von ihnen beunruhigt. Es wachse „die Ungewissheit über die Zukunft früherer Gewissheiten“, und die Digitalisierung sei ja immerhin „im wahrsten Sinne des Wortes eine Kulturrevolution“. Gegen diese Verunsicherung helfe nur „die Vermittlung von Sicherheit“, betonte Weil. Dazu gehöre unbedingt die Pflege einer Gemeinschaft – und gesellschaftlicher Zusammenhalt mache stark und auch sicher.
Weil erklärte, trotz der Kritik der jüdischen Gemeinden und aus der katholischen Kirche könne der Reformationstag – 31. Oktober – „ein guter vorstellbarer Anlass für einen gesetzlichen Feiertag“, nämlich im Sinne eines Zusammenwirkens und Dialogs der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Meister betonte, der Reformationstag diene nicht der Verehrung von Martin Luther, der im hohen Alter auch antisemitische Äußerungen von sich gab. Der Reformationstag könne „zur Stärkung des Zusammenwirkens der verschiedenen demokratischen Institutionen als ein Feiertag politisch in Frage“ kommen. Altbischof Hirschler meinte, 2017 sei der Reformationstag zum 500. Jubiläum „lustig, tragisch und wirklichkeitsnah“ begangen worden. „Es wäre ein Jammer, wenn wir das jetzt verspielten nach diesem Jahr 2017“. Immerhin sei die Kirche in der Lage, „auch mit den ärgerlichen Texten von Luther richtig umzugehen“.