
Der Digitalausbau in Niedersachsen gewinnt an Tempo. „Wir erleben in den vergangenen anderthalb Jahren eine wahnsinnig starke Marktdynamik“, sagte Peer Beyersdorff, Geschäftsführer des Breitbandzentrums Niedersachsen-Bremen (BZNB), beim Breitbandgipfel 2021 in Osterholz. Neben den großen Playern wie Telekom, Vodafone oder HTP sorgen inzwischen auch Energieversorger, Stadtwerke und regionale Unternehmen wie Lünecom, Emslandtel, Nordischnet und Grafschafter Breitband für schnelles Internet. Laut Beyersdorff haben derzeit 60 Prozent aller Gebäude in Niedersachsen einen Gigabit-Anschluss (1000 Mbit pro Sekunde). Nach Abschluss aller aktuellen Ausbauvorhaben werden es 75 Prozent sein. Bei den Anschlüssen mit mindestens 100 Mbit/s liegt die Versorgungsquote momentan bei 73 Prozent, demnächst werden es 85 Prozent sein.

Der Chef des digitalen Kompetenzzentrums ist mit der Entwicklung zufrieden. „Das ist ein Riesen-Fortschritt im Vergleich zu den vergangenen Jahren“, sagt Beyersdorff. Spitzenreiter bei der Gigabit-Versorgung der privaten Haushalte sind die Stadt Oldenburg (nach Ausbau: 96 Prozent), der Landkreis Vechta (94 Prozent), Peine und Uelzen (je 93 Prozent). Auch bei den Schulen geht es voran. Von den 3161 Schulen im Land werden nach Abschluss aller Ausbauvorhaben bald 96 Prozent mit einer Gigabit-Leitung versorgt sein. „Wir hätten nicht gedacht, dass wir so weit kommen. Das war eine Mega-Anstrengung“, sagt der BZNB-Geschäftsführer. Bei den 293 Krankenhaus-Standorten wird die Versorgungsquote demnächst bei 92 Prozent liegen.
Seit April 2021 gibt es in Deutschland die sogenannte „Graue Flecken“-Förderung, die Gebiet mit einer Internetversorgung von weniger als 100 Mbit/s schneller machen soll. Doch obwohl der Fördersatz bei mindestens 50 Prozent liegt, ist das Interesse in Niedersachsen sehr verhalten. Erst sechs Landkreise und zwei kreisfreie Städte haben ein Markterkundungsverfahren gestartet, das Voraussetzung für die Aufnahme ins Förderprogramm ist. „Viele warten, weil sie nicht wissen, wie die Richtlinie ab 2023 aussieht“, erklärt Beyersdorff die „erhebliche Skepsis“ unter den Kommunen. Unter Umständen könne sich das Warten sogar auszahlen, weil die neue Bundesregierung bei der Breitband- und Glasfaser-Förderung eventuell einige Stellschrauben im Sinne der Städte und Gemeinden dreht.
„Die Kommunen müssen sich entscheiden: Wollen sie den Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach“, bringt es der BZNB-Chef auf den Punkt und fordert von der neuen Regierung ein schnelles Signal, wie es bei der Förderung weitergehen soll. „Meine große Sorge ist, dass wir bei den schwer erschließbaren Einzellagen zu einem Internet zweiter Klasse kommen, weil wir dort möglicherweise kein Glasfaser mehr fördern können“, sagt Stefan Muhle, Staatssekretär für Digitalisierung im niedersächsischen Wirtschaftsministerium. 3700 dieser Einzellagen gibt es laut BZNB in Niedersachsen.


Eigenwirtschaftliche Ausbau hat Vorrang“, sagt Muhle. Dieser Punkt finde sich so auch im Koalitionsvertrag. Er vermisst aber eine klarere Zielrichtung, um den eigenwirtschaftlichen und den geförderten Ausbau zu koordinieren. „Wenn der Bagger in die Stadt kommt, dann müssen alle Adressen erledigt werden“, betont Muhle und fordert: „Der Ausbau muss in einem Schwung passieren.“ In Niedersachsen haben sich Land, Kommunen, Verbände und Unternehmen deswegen im „Gigapakt“ zusammengeschlossen – ein Erfolgsmodell aus Sicht des Staatsekretärs: „Es geht nur gemeinsam und dann stimmen auch die Ergebnisse.“ Nachbesserungsbedarf sieht er beim Digitalausbau in folgenden Punkten: „Uns passt nicht, wie häufig heute Neubaugebiete schlichtweg nicht erschlossen werden und die Kommunen darauf sitzen bleiben.“
Auch bei den Gewerbe- und Mischgebiete gebe es noch Verbesserungsbedarf. Zudem sagt Muhle: „Der eigenwirtschaftliche Ausbau muss auch gesteuert werden. Da müssen wir uns besser gegenseitig in die Karten gucken.“ Den Mobilfunkausbau sieht er grundsätzlich positiv. Muhle ärgert sich aber darüber, dass das wahre Ausmaß der Netzabdeckung kaum feststellbar ist: „Es grenzt schon fast an Staatsversagen, dass wir keine einheitlichen Daten haben beziehungsweise Daten, die man miteinander verbinden kann.“
Laut Bundesnetzagentur gibt es in 2,5 Prozent der niedersächsischen Landesfläche keinen Mobilfunkempfang. Gemäß den Daten des BZNB sind aber nur 1,4 Prozent von Niedersachsen nicht mit LTE (4G) versorgt. „Das ist eine Fläche so groß wie der Landkreis Osterholz“, sagt BZNB-Chef Beyersdorff. Große unversorgte Gebiete gibt es in Lüneburger Heide, im Wendland und im südlichen Niedersachsen. Thomas Fannasch von der Deutschen Telekom berichtet allerdings von immer mehr Funklöchern auch in dicht besiedelten Gebieten. „Wir kommen nicht mehr reicht in die Bebauungen“, sagt der Mobilfunk-Regionsleiter und fordert von den Gemeinden mehr Liegenschaften für Funkmasten.
„Es ist immer das Thema: Not in my backyard. Wir brauchen hier Konsens und Standortangebote von den Kommunen“, bestätigt auch Thomas Zwemke von der Vodafone GmbH. Warum ist der Neubau von Funkmasten so wichtig? „Der Hunger nach Datenrate wird immer größer, der Wunsch nach Versorgung wird immer größer“, sagt Fannasch. Für jeden neuen Standard müsse das Mobilfunknetz wieder neu nachverdichtet werden. Zwemke macht das anschaulich: In der zweiten Generation hätten die Netzbetreiber noch mit 1000 Funkmaststandorten für ganz Deutschland gerechnet, inzwischen habe Vodafone allein in Niedersachsen 2000 Masten aufgestellt. Bundesweit gibt es über 81.000 Antennenstandorte.
„Es wird immer wieder Verdichtungen geben, um den Anforderungen gerecht zu werden“, sagt er. Eine 100-prozentige Netzabdeckung sei daher unrealistisch. „Wenn wir in der Fläche bei 95 Prozent landen, das wäre richtig gut für Niedersachsen“, so Zwemke. Doch die Netzbetreiber würden durch komplizierte Genehmigungsverfahren ausgebremst. „Ich mag das gar nicht aufzählen, was wir alles beantragen müssen“, sagt er. Insbesondere beim Naturschutz gebe es zu viele Auflagen. Zudem könne bei der Antragsstellung noch viel automatisiert werden. „Es gibt aber auch Landkreise, die sind tatsächlich der Lage, zwei Woche nach Vorlage aller Unterlagen eine Baugenehmigung zu erteilen“, berichtet der Vodafone-Regionsleiter und nennt konkret den Landkreis Friesland.

Zu den schärfsten Kritikern der bisherigen Digitalisierungsbemühungen zählt Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds (NSGB). „Ich glaube, dass wir in Deutschland und auch in Niedersachsen doch sehr weit zurück sind beim Breitbandausbau“, sagt Trips mit Blick auf andere Nationen. Dass man in Deutschland mittlerweile auf FTTH („Fiber To The Home“) setzt – also den Anschluss von Glasfaserleitungen direkt in die Wohnung und nicht mehr nur bis zum Verteilerkasten, hält Trips schon mal für den richtigen Weg.
Die größten Probleme sind und bleiben laut dem NSGB-Präsidenten aber die Bürokratie und die „Förderitis“. Trips: „Wenn ich im Koalitionsvertrag lese: ‚Wir sorgen für Tempo beim Infrastrukturausbau durch schlanke Antrags- und Genehmigungsverfahren‘ – dann möchte man lachen oder weinen. Solche Formulierungen sind noch nie umgesetzt worden. Das scheint mir immer eher ins Gegenteil zu rutschen.“ Die Kommunikation zwischen Bund, Ländern, Kommunen und privatwirtschaftlichen Akteuren ist für Trips noch stark verbesserungsbedürftig. „Es ist schade, dass wir uns da gegenseitig Konkurrenz machen. So eine richtige Lösung, gegen die Realität anzukommen, sehe ich aber auch nicht.“
Der NSGB-Präsident kritisiert auch, dass viele Straßen den Gemeinden nach dem Leitungsausbau in schlechtem Zustand übergeben werden. Zudem gibt es noch zu viele graue Flecken: „Die weniger attraktiven Lagen werden nicht ausgebaut.“ Hier sieht auch Trips allerdings keinen Weg vorbei an einer Förderung. Positiv bewertet er, dass beim Digitalausbau viele Akteure auf dem Markt zu finden sind. Zudem gebe es Fortschritte beim Online-Zugang zu Verwaltungsleistungen. Insgesamt ist Trips deswegen vorsichtig optimistisch: „Ich glaube, dass Jahr 2022 wird das Jahr der beginnenden Digitalisierung im kommunalen Bereich sein.“