Hat Niedersachsen ein koloniales Erbe? Eine neue Ausstellung im Historischen Museum Hannover beschäftigt sich derzeit mit der Verstrickung des früheren Königreichs Hannover mit dem Kolonialismus der Briten. Denn schließlich saßen Hannovers Könige eine Zeit lang parallel auch auf dem britischen Thron – zu einer Zeit, als das Königreich noch ein Weltreich war. „Wir können diesen Teil der Geschichte nicht ausblenden“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die extra zur Ausstellungseröffnung in der vergangenen Woche nach Hannover gekommen war. Doch die Ausstellung, bei der die prunkvollen goldenen Kutschen der hannöverschen Royals einmal in anderem Lichte dargestellt werden, ist nur ein kleiner Baustein größerer Aufarbeitungsbemühungen.

Die sogenannte Provenienzforschung, die sich mit der Herkunft von Kunst- und Kulturgütern beschäftigt, hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies spiegelte sich auch im niedersächsischen Landtag wider. Auf Antrag der Grünen hat sich das Parlament in der laufenden Legislaturperiode wiederholt mit der Thematik befasst, im September des vergangenen Jahres hat der Landtag eine Entschließung angenommen. In dieser heißt es etwa: „Die koloniale Vergangenheit Deutschlands gilt es aufzuarbeiten und in der Erinnerungskultur zu verankern. Das gilt auch für Niedersachsen.“

Dieser Dolch aus der Sammlung des Oldenburger Landesmuseums wurde in Bukoba (Tansania) gefunden. | Foto: Landesmuseum Oldenburg

Im Fokus stehen dabei Niedersachsens Museen und deren umfangreiche Sammlungen. „In Museen werden verschiedenste Exponate wie Alltags-, Ritual- und Kunstgegenstände, aber auch menschliche Überreste bewahrt, die widerrechtlich erworben wurden oder aus ethischen Gründen nicht ausgestellt werden sollten“, heißt es dazu weiter im Beschluss des Landtags. Die Sammlungen von sechs Häusern wurden zur weiteren Aufarbeitung zum sogenannten „Paese“-Verbundprojekt zusammengeschlossen. „Paese“ steht dabei für „Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen“. Beteiligt sind das Städtische Museum Braunschweig, die Georg-August-Universität Göttingen, das Landesmuseum Hannover, das Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, das Evangelisch-lutherische Missionswerk in Niedersachsen sowie das Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg.

Diese Elefantenkopf-Pfeife aus Kamerun wird in Braunschweig ausgestellt. | Foto: Städtisches Museum Braunschweig

In letzterem steht im Mittelpunkt eines Forschungsvorhabens derzeit ein besonderes Objekt, das 1962 erworben wurde. Es soll aus dem Königreich Benin stammen und sich dabei um ein sogenanntes Ikegobo handeln, einen hölzernen Altar, wie das niedersächsische Wissenschaftsministerium dem Politikjournal Rundblick erklärte. Ziel der Provenienzforschung soll es allerdings nicht bloß sein, Kulturgüter wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückzuführen. Laut Landtags-Entschließung gehe es auch darum, eine „kritische Auseinandersetzung in Deutschland und Niedersachsen unter aktiver Einbindung der Herkunftsgesellschaft“ zu erwirken.

Im Fall des vermeintlichen Holzaltars aus Benin ist man gerade dabei, die Vergangenheit auszuleuchten. Laut Wissenschaftsministerium weiß man bereits, dass das Kulturgut aus Benin wohl im Zuge einer Strafexpedition im Jahre 1897 erbeutet worden sein könnte. 1962 sei es gezielt aus dem Kunsthandel angekauft worden. „Die Geschichte davor liegt zurzeit noch im Dunkeln“, sagte Ministeriumssprecherin Heinke Traeger. Im Forschungsprojekt wolle man nun die Provenienzkette ermitteln, also den Weg des Objektes nachzeichnen, und stehe in Kontakt zum Projekt „Digital Benin“ des Hamburger Museums am Rothenbaum.

Mit knapp 1.500 Objekten aus Kamerun bildet die Sammlung in Hannover den größten Bestand aus einem afrikanischen Land. Dazu gehört auch dieser Thron. | Foto: Landesmuseum Hannover

„Die beabsichtigte Rückführung der Kunstwerke aus dem früheren Königreich Benin im heutigen Nigeria ist zu Recht das aktuell am stärksten beachtete Thema im Bereich des Komplexes ‚Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten‘“, sagt Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU). Dem Königreich Benin, erklärt er, sei 1897 großes Unrecht widerfahren, als die Briten das letzte eigenständige Staatswesen im Afrika des ausgehenden 19. Jahrhunderts unterworfen, den König vertrieben, die Hauptstadt zerstört und die Kulturgüter in aller Welt verkauft haben.



„Diese Objekte haben nicht nur einen sehr hohen künstlerischen Wert – sie machen in ihrer Gesamtheit die Identität des Landes aus, weil in ihnen die gesamte Geschichte und hoch entwickelte Kultur dieses afrikanischen Staats gespeichert sind“, sagt Thümler. Mit der britisch-hannöverschen Personalunion hat die Plünderung Benins derweil nicht direkt etwas zu tun, die Könige Hannovers saßen nur bis 1837 auf dem britischen Thron. Doch die Verästelungen der kolonialen Vergangenheit sind vielfältig und sollen nun entflochten werden.