25. Juni 2020 · Bildung

Kultusminister muss nach großem Ärger über neue Erlasse klein beigeben

Zwei Erlasse des Kultusministeriums haben bei Schulen, Opposition und Gewerkschaften am Donnerstag großen Ärger ausgelöst und dazu geführt, dass Kultusminister Grant Hendrik Tonne die Entscheidungen teilweise rückgängig machen musste. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg sprach von einem „Schlag ins Gesicht der gerade besonders geforderten und engagierten Schulen in Niedersachsen“. Per Erlass werde mal eben bei der Ausstattung der Schulen der Rotstift angesetzt. Auch die Landtags-FDP und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) übten scharfe Kritik an dem Erlass. Am Nachmittag ruderte das Kultusministerium dann teilweise zurück. Experten rätseln, was das Ministerium dazu bewogen haben mag, mitten in der für die Schulen belastenden Corona-Zeit an zwei heiklen Stellen Änderungen vornehmen zu wollen. Für den FDP-Politiker Björn Försterling ging es Kultusminister Grant Hendrik Tonne um bessere Zahlen bei der Unterrichtsversorgung. „Die vom Minister vor vier Wochen noch positiv dargestellte Prognose zur Unterrichtsversorgung war ein Luftschloss, das sich jetzt auflöst“, schimpfte der FDP-Bildungspolitiker. „Gerade die Lehrkräfte in  den Grund-, Haupt- und Realschulen sind inzwischen so etwas wie die Schlachthof-Mitarbeiter der Bildungspolitik, wo Herr Tonne genauso wie Herr Tönnies spart.“

Bestandsschutz für Klassen sollte entfallen

An zwei Stellschrauben wollte das Kultusministerium zum neuen Schuljahr drehen. So sollten die Schulen zum einen Klassen neu bilden, wenn die Mindestgrößen unterschritten werden. „Der Bestandsschutz von eingerichteten Klassen aus dem vorhergehenden Schuljahrgang entfällt somit in diesem Schuljahr“, hieß es am 23. Juni in der Nachricht des Ministeriums an die Schulen. Zuvor konnten Klassen nur alle zwei Jahre neu eingeteilt werden. „Wer angesichts der jetzigen Situation des Abstandhaltens die Schulklassen vergrößert, statt sie zu verkleinern, hat den Ernst der Lage nicht verstanden“, meinte die Grünen-Politikerin Hamburg. Für die Kinder bedeute dies nach all dem Ungewohnten auch noch eine Rückkehr in einen neuen Klassenverband mit neuen Bezugspersonen. https://www.youtube.com/watch?v=2bJbh-VoJeI Auch GEW-Chefin Laura Pooth sieht in dieser Entscheidung den Verlust an sozialem Zusammenhalt. „Schulklassen werden durcheinandergewürfelt, was fatal ist. Gerade in Corona-Zeiten ist dieses Handeln höchst unvernünftig“, sagte Pooth. Am Nachmittag hieß es aus dem Kultusministerium, auf die ursprünglich geplanten Maßnahmen zur Klassenneubildung werde verzichtet. Man reagiere damit auf „eindeutige Rückmeldungen aus den Schulen, die sich für Konstanz der Klassen nach den Sommerferien eingesetzt“ hätten. „Das Feedback aus den Schulen, die sich mit Blick auf die besondere Lage das Primat der Pädagogik wünschen, lässt mich zu einer Neubewertung kommen. Der Wunsch nach Verlässlichkeit in den Klassengemeinschaften ist verständlich“, erklärte der Minister per Pressemitteilung.

Poolstunden sollten verringert werden

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Verringerung der sogenannten Poolstunden. „Für den 6. Schuljahrgang wird (..) der Faktor für die Ermittlung der Stundenzahl von 2 auf 1,5 verändert“, hieß es in der Mitteilung des Ministeriums. Mit Poolstunden können Schulen eigene Schwerpunkte setzen, zum Beispiel gerade in Corona-Zeiten in einem Klassenrat die aktuelle Situation besprechen oder bestimmte Fächer hervorheben. https://www.youtube.com/watch?v=zccdwilJX3Y In der Pressemitteilung des Ministeriums hieß es später, es würden in den fünften bis zehnten Klassen 7000 Poolstunden „verlagert“, damit sind nicht mehr allein die sechsten Klassen betroffen. Damit soll etwa ein Fünftel der insgesamt 37.000 Poolstunden wegfallen, stattdessen soll Pflichtunterricht stattfinden. „Auch mit der Umschichtung der Poolstunden werde ich keinen Beliebtheitspreis gewinnen, das ist mir sehr bewusst“, erklärte Tonne. In der Abwägung finde er es aber notwendig, einen Teil dieser Stunden „vorübergehend zur Absicherung der Stundentafel einzusetzen, um Wissenslücken zu schließen oder zu verhindern, dass neue aufreißen.“ Derweil bleibt weiter unklar, wie es im neuen Schuljahr konkret weitergehen soll. Im letzten Absatz seiner dreiseitigen Pressemitteilung kündigt Tonne an, man plane neben dem normalen Regelbetrieb das neue Schuljahr mit weiteren Abstufungen und Szenarien. Das Gesamtkonzept zum Schulstart lege man den Schulen vor den Sommerferien vor. Für Julia Hamburg wäre die richtige Reihenfolge gewesen: Erst das Konzept – dann die Personalplanung. „Das Chaos im Kultusministerium muss endlich ein Ende haben“, forderte die Grünen-Fraktionsvorsitzende.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #120.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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