20. Mai 2019 · 
Bildung

„Kultur statt Kies“: Petition kämpft für das bedrohte Römerlager bei Hannover

Seit vier Jahren schon steht fest, dass südlich von Hannover in Wilkenburg, einem Stadtteil von Hemmingen, eine ganz besondere archäologische Stätte vorhanden ist – unter 35 Hektar Ackerfläche liegt dort ein „Marschlager“, in dem einst drei Legionen, also 20.000 römische Soldaten und ihre Hilfskräfte, campiert haben müssen. Das Ereignis soll zehn Jahre nach Christi Geburt stattgefunden haben, und die heute dort tätigen Archäologen sind sich sicher, dass sie bei weiteren Nachforschungen womöglich auf bahnbrechende Erkenntnisse stoßen könnten. Hat sich hier der spätere römische Kaiser Tiberius aufgehalten? Gibt es Verbindungen zur Varus-Schlacht, die erst im Teutoburger Wald und später dann in Kalkriese bei Osnabrück verortet wurde? „Die vielen hochwertigen Funde, auch Edelmetalle, legen die Vermutung nah, dass Tiberius hier gewesen sein könnte“, sagen Kristina Osmers und Werner Dicke aus Hildesheim.

Die vielen hochwertigen Funde, auch Edelmetalle, legen die Vermutung nah, dass Tiberius hier gewesen sein könnte.


Die Pädagogin und der Hobby-Historiker haben eine Online-Petition gestartet, wie sie seit wenigen Jahren im Landtag möglich ist. Die Resonanz war überwältigend: 5967 Bürger schlossen sich der Eingabe an, die meisten von ihnen aus der näheren Umgebung – aber auch andere, die nicht dulden wollen, dass die einzigartige Fundstätte womöglich von der Bildfläche verschwindet. Das Zementwerk Holcim will dort Kies abbauen, das gültige Landesraumordnungsprogramm erlaubt dies auch. Die zuständige Region Hannover hatte den Kiesabbau Ende 2016 sogar empfohlen, damit aber ein Sturm der Entrüstung ausgelöst. Entschieden ist bisher nichts. Jetzt fordert die Petition, dass die wirtschaftliche Ausbeute verhindert werden und das Gebiet näher erforscht werden soll. Heute gibt es dazu im Landtag eine große Anhörung. Der Experte vom Landesamt für Denkmalpflege, Friedrich-Wilhelm Wulf, nennt die Fläche „ein in mehreren Punkten herausragendes Denkmal“. Es sei das einzige römische Marschlager in Niedersachsen, noch dazu das, was „am weitesten nordöstlich liegt“. Ob die heutige Anhörung im Landtag dazu führt, dass das seit Jahren in dieser Frage schweigsame Wissenschaftsministerium seine Zurückhaltung aufgibt? Die Region hatte vor, das Ja zum Kiesabbau an die Bedingung zu knüpfen, die Fläche zunächst intensiv archäologisch untersuchen zu lassen – auf Kosten des Abbauunternehmens. Damit wäre dem im Raumordnungsprogramm ausgedrückten Anspruch Genüge getan, gleichzeitig könnte der Abbau so aber viel zu teuer und damit für Holcim unrentabel werden. Im großen Archäologen-Freundeskreis, unter anderem der sehr aktiven „Römer-AG Leine“, wächst indes die Sorge, die Firma könne trotzdem auf Kiesabbau bestehen – und eine dann beschleunigte Forschung auf dem Gelände könne zu oberflächlich geschehen und wichtige Hinweise ausblenden. Die Hoffnung richtet sich auch auf neue Methoden, die neueste Technik einsetzen und auf aufwendige Grabungen verzichten. Bisher liegt das Gebiet auf einem Acker, beim Umpflügen sind Kleingeldmünzen, Schuhnägel, Pferdegeschirranhänger und versilberte Pinzetten gefunden worden, gezielte Ausgrabungen förderten 2500 Stücke zutage, von besonderem Wert ist ein kleiner Wolfskopf aus Bleibronze. Die „Römer-AG Leine“ mit ihren vielen ehrenamtlichen Kräften zeigt bereits, wie engagiert man Geschichtsforschung betreiben kann. Dort ist schon überlegt worden, wie man den Ort mit Aussichtsplattformen und ähnlichen Angeboten so gestalten kann, dass sich archäologische Arbeit und Tourismus verknüpfen lassen – ein Weg, der wohl nur beim Verzicht auf den Kiesabbau möglich wäre. Osmers und Dicke hoffen bei näheren Untersuchungen auch auf mehr Klarheit über die größeren Zusammenhänge: Waren die Römer damals in dieser Gegend viel aktiver als bisher vermutet? Als 1868 bei Erdarbeiten in Hildesheim ein umfangreicher Schatz mit Tafelsilber aus der Zeit des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt gefunden wurde, mutmaßten die Historiker, die Römer könnten fester verwurzelt sein als bislang angenommen wurde. Weitere Ausgrabungen in den Folgejahren verdichteten diese Hypothese. Das Römerlager in Wilkenburg könnte, würde es intensiv erforscht, womöglich noch viel mehr Hinweise geben. Die Grünen im Landtag fordern bereits vehement, die Archäologie müsse Vorrang vor dem Kiesabbau haben. Regionale Politiker von SPD und CDU äußerten sich ähnlich.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #094.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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