Seit den Weihnachtsfeiertagen hält das Hochwasser die Landespolitik in Atem. Bundesweit ragt Niedersachsen hier heraus – da in weiten Teilen des Landes die Flüsse über ihre bisherigen Ufer getreten sind und die ehrenamtlichen Feuerwehrkräfte versuchen, über Schutzmaßnahmen die Wohngebiete vor den Fluten zu schützen. Das Hochwasser kam diesmal nicht überraschend heftig (wie 2021 im Ahrtal), sondern es wurde durch den Dauerregen seit Mitte Dezember angekündigt. Hier der Versuch einer ersten politischen Bewertung:
Wo waren die Politiker? Ministerpräsident Stephan Weil hat schon zu Heiligabend die ersten Hochwassergebiete besucht, Innenministerin Daniela Behrens dann einen Tag später. Seither sind beide ständig in dem Gebiet unterwegs, ein Mangel an Vor-Ort-Besuchen kann man ihnen nicht vorwerfen. Eher kann die Frage relevant werden, ob zu viele derartige Termine die Rettungseinsätze irgendwann belasten könnten, gerade Hochwasser-Termine von Behrens mit Pressebegleitung häuften sich. Konkrete Hilfszusagen hatten die Politiker nicht im Gepäck, dafür ist es wohl auch noch zu früh. Weil hat schon angedeutet, es könne wie 2017 wieder ein Sofort-Nothilfe-Programm geben. 2017 standen dafür vom Land zehn Millionen Euro bereit.

Woher kam das Hilfsmaterial? In einigen Orten, etwa in der Stadt Oldenburg oder im Kreis Celle, sind neuartige mobile Deiche aufgebaut worden – teilweise aus robustem Kunststoff, teilweise gefüllt mit Behältern, in die Wasser gespült wurde. Viel von diesem Material wurde allerdings aus anderen Bundesländern beschafft, da derartige Gerätschaften in Niedersachsen nur begrenzt vorhanden waren. Das führt zu der Frage, ob die Logistik im neugeschaffenen Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz ausreichend ist. DRK, andere Rettungsdienste und der Landkreistag üben seit Jahren massive Kritik an der viel zu langsamen und schwerfälligen Finanzierung für die Modernisierung und Verstärkung des Katastrophenschutzes in Niedersachsen.
Wie schnell reagiert die Politik auf Kritik? Ein typischer Fehler von Politikern in Hochwasserkrisen ist der, auf Hinweise und Ratschläge nicht oder nicht rechtzeitig zu reagieren. Es gibt zwei Beispiele dafür, dass dies beim diesjährigen Weihnachtshochwasser in Niedersachsen nicht geschehen ist. Kanzler Scholz kündigte seinen Silvester-Besuch just an dem Tag an, als die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ laut danach fragte, wo denn der Kanzler in dieser für viele Niedersachsen beängstigenden Zeit bleibe. Nach seinem ersten Vor-Ort-Termin, bei dem Scholz Halbschuhe trug, kam öffentliche Kritik an seiner Kleidung. Beim zweiten Besuch trug er dann Gummistiefel. Zweites Beispiel: Der Landes-Katastrophenstab forderte Unterstützungskräfte von Bundeswehr und Bundespolizei just wenige Stunden nach einer Pressekonferenz am 29. Dezember an, in der Journalisten nach der Bundeswehr-Unterstützung gefragt hatten. Die Antwort von Landesbranddirektor Dieter Rohrberg in der Pressekonferenz hatte noch gelautet, bisher brauche man solche Hilfe von außen noch nicht, denn es fehle Material, es fehlten keine Leute.
Was hat das Land aus vergangenen Katastrophen gelernt? 2017 hatte es ein Hochwasser gegeben, das vor allem die Landkreise Hildesheim und Goslar heimgesucht hatte. Daraufhin hatte der Landtag ein Hochwasser-Sondervermögen von 27 Millionen Euro geschaffen. Jetzt musste Umweltminister Christian Meyer aber einräumen, dass davon bisher nur „wenig abgeflossen“ sei, obwohl das gesamte Geld für Projekte schon verplant sei. Was die Innerste anbelangt, die durch den Kreis Hildesheim fließt und für die ein 15-Millionen-Euro-Projekt zum Hochwasserschutz vorgesehen war, liege das Problem nun in der Kostensteigerung – wegen massiver Verteuerung lässt sich der Plan so nicht umsetzen, mehr Geld im Sondervermögen ist aber nicht vorhanden. Meyer räumte ein, dass es „acht bis zehn Jahre“ dauern könne, ein komplexes Hochwasserschutz-System baulich umzusetzen. Mit dem neuen Klimaschutzgesetz, das etwa der Deich-Erhöhung künftig einen Vorrang gegenüber anderen Interessen einräume, sei aber eine Beschleunigung zu erwarten. Das wirft die Frage auf, ob die Plan-Umsetzung in Niedersachsen zu kompliziert und langwierig ist.

Kritische Fragen der CDU: Oppositionsführer Sebastian Lechner (CDU) meint, eine 10-Millionen-Soforthilfe reiche nicht aus, 100 Millionen für die Entschädigung von Kommunen (für Feuerwehreinsätze) und für die Beseitigung von Flutschäden seien nötig – dafür müsse ein Nachtragshaushaltsplan aufgelegt werden. Die CDU fordert auch Aufklärung darüber, ob die nötige Erhöhung und Befestigung von Deichen – etwa entlang der Elbe – von den niedersächsischen Behörden nicht konsequent genug vorangetrieben wurde. So bestehe der Verdacht, man habe die Deichsicherheit vernachlässigt und Bäume auf den Deichen aus Naturschutzgründen nicht beseitigt. Im benachbarten Sachsen-Anhalt sei man hier vermutlich rigoroser in Sachen Hochwasserschutz vorgegangen.
Warum gibt es keine Elementar-Versicherung? Müsste es nicht längst für alle Hauseigentümer in Hochwasserzonen eine Elementar-Pflichtversicherung geben, die in solchen Katastrophenfällen eintritt und die Schäden begleicht? Weil sagte, alle Ministerpräsidenten seien sich in dieser Frage einig. Leider passiere aber noch nichts. Weil sieht die Verantwortung bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der verschiedene Modelle prüfe: eine Pflichtversicherung für alle Hausbesitzer oder ein Modell, das es allen Hausbesitzern erlaube, sich per Erklärung von einer solchen Pflicht zu befreien. Die Ampel-Koalition ist hier aber uneinig.