17. März 2022 · Wirtschaft

Krise in der Logistik-Branche: Polen will seine Lkw-Fahrer zurück haben

20 Prozent der in Deutschland beschäftigten Berufskraftfahrer kommen aus dem Ausland. Ein großer Teil davon aus Polen. Foto: GettyImages

Den niedersächsischen Logistikunternehmen rennt die Zeit davon. „Es droht eine Insolvenzwelle. Was Corona nicht geschafft hat, könnten die Spritpreise schaffen“, warnt Mathias Krage. Der Präsident des Gesamtverbands Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) fordert von der Landes- und Bundespolitik dringend Unterstützung für die systemrelevante Verkehrsbranche, in der auch der Busmittelstand, die Taxi- und die Mietwagenunternehmen von ähnlichen Problemen betroffen sind. Bei den Logistikern kommen allerdings noch zwei andere Effekte hinzu: Zum einen stehen die deutschen Betriebe in Konkurrenz mit Anbietern aus Nachbarländern, wo der Liter Diesel im Schnitt 30 Cent günstiger ist. Zum anderen droht auch noch eine Abwanderung von polnischen Lastwagenfahrern, die nun dringend in der Heimat benötigt werden.

Die Zahl der Berufskraftfahrer in Deutschland geht seit Jahren zurück. 2020 waren hier aber immerhin noch 564.000 Menschen angestellt – darunter 24,3 Prozent Ausländer. Die Nicht-EU-Staaten spielen dabei fast keine Rolle, dafür aber Polen. Rund 34.000 der in Deutschland angestellten Lastwagenfahrer haben einen polnischen Pass, seit 2015 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt, und nun könnte sich diese Entwicklung ebenso schnell in die andere Richtung umkehren. „Polen hat ein bilaterales Übereinkommen mit der Ukraine gehabt, deswegen sind in Polen viele Fahrer aus der Ukraine beschäftigt gewesen. Die fehlen jetzt, weshalb polnische Unternehmer versuchen, die Berufskraftfahrer aus Deutschland zurückzuholen“, erläutert Uwe Garbe, GVN-Landesgeschäftsführer für Spedition und Logistik.

"Die polnischen Unternehmen haben andere Vergütungsmodelle.“

Ob die Bemühungen der polnischen Betriebe erfolgreich sein werden, wird sich zeigen. In Deutschland herrscht zwar durch den Mindestlohn bedingt ein höheres Gehaltsniveau für Kraftfahrer. „Aber die polnischen Unternehmen haben andere Vergütungsmodelle“, weiß Garbe. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsministerium warnte bereits im Februar 2020, dass Geld in der Branche nicht alles ist. Im Gutachten heißt es dazu: „Transportunternehmen können die Arbeitsbedingungen ihrer Fahrer nur unvollständig kontrollieren. Auf der Strecke werden sie insbesondere durch die relative Knappheit von Park- und Übernachtungsmöglichkeiten und die Prozesse bei den Güterterminals beeinträchtigt.“ Dass insbesondere die ausländischen Lastwagenfahrer viele Tage von ihren Familien getrennt sind, ist ein weiterer Faktor.

An dem Gutachten waren 15 Uni-Professoren aus dem deutschsprachigen Raum beteiligt. Grundsätzlich vertrete der Beirat zwar die Auffassung, „dass eine Branche ihre wirtschaftlichen Probleme selbst angehen muss“. Die Wissenschaftler sahen aber dennoch wenigstens temporären Hilfebedarf. Denn: „Ohne verkehrspolitische Flankierung sind Anpassungsprozesse mit weitreichenden negativen Folgen zu befürchten.“ Die verkehrspolitische Hilfe für die Logistikbranche hielt sich seitdem allerdings in Grenzen. Stattdessen brachten die Corona-Pandemie sowie die weltweiten Lieferengpässe ganz neue Problemlagen hinzu.

Künftig droht das Führerhaus vieler Lastwagen leer zu bleiben. | Foto: GettyImages/djedzura

Die Folgen der Ukraine-Invasion könnte für manchen Mittelständler jetzt der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. „Es zählt jeder Tag. Wir sehen schon echte Probleme“, sagt Garbe und drängt die Politik zum Handeln. Da die Logistiker beim Diesel vorsteuerbefreit sind, bringe ihnen eine Mehrwertsteuersenkung überhaupt nichts. Stattdessen müsse die Branche schnellstmöglich bei der Energiesteuer entlastet werden. „Am besten gestern.“

Laut Garbe machen die Treibstoffkosten etwa 30 bis 40 Prozent der Gesamtausgaben eines Logistikbetriebs aus. Dementsprechend dramatisch wirkt sich ein Preisanstieg von aktuell 50 Prozent aus. Selbst wenn in den laufenden Verträgen entsprechende Gleitpreisklauseln verankert wurden, kommen sie erst mit deutlicher Verzögerung zum Tragen, sodass eine plötzliche Kostenexplosion erst mit Verspätung ausgeglichen wird. „Die Unternehmen haben jetzt aber noch nicht einmal die Zahlen für Februar, das ist ein Riesenproblem“, sagt Garbe. Zudem müssen neue Tankladungen sofort bezahlt werden. „Viele Betriebe haben jetzt einfach Liquiditätsprobleme“, berichtet der GVN-Landesgeschäftsführer. „Wir hoffen jetzt einfach auf das Verständnis der Auftraggeber und appellieren an sie“, sagt er und ergänzt: „Man muss jetzt auch über einen Rettungsschirm nachdenken, um den Unternehmen zu helfen, die unverschuldet in Existenznöte geraten.“

„Der Dieselpreis ist das eine, die Nebenprodukte sind das andere.“

„Der Dieselpreis ist das eine, die Nebenprodukte sind das andere“, sagt Garbe und verweist insbesondere auf das Abgasreinigungsmittel Adblue. Der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik befürchtet Preissteigerungen von bis zu 170 Prozent. Die ersten Versorger hätten bereits entsprechende Verteuerungen angekündigt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Für die Herstellung von Adblue wird im ersten Schritt Erdgas benötigt. Sollte Russland seine Gaslieferungen einstellen, könnte sogar ein Versorgungsengpass drohen. „Im Moment wird überall auf Sicht gefahren“, sagt der GVN-Landesgeschäftsführer: „Den Unternehmen laufen auf allen Ebenen die Kosten davon.“ Preissteigerungen gebe es auch bei Reifen und Neufahrzeugen – sofern diese überhaupt lieferbar sind. Die Betriebe würden davon ausgehen, dass die Preise für neue Lastwagen im zweistelligen Prozentbereich anziehen werden.

„Das mittelständische Transport- und Logistikgewerbe befindet sich aktuell im Existenzkampf und ist mit Herausforderungen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß konfrontiert.“

Dass die Transportbranche die höheren Ausgaben an die Auftraggeber und Kunden weitergeben wird, ist klar. „Das sind ja alles nachvollziehbare Kostensteigerungen, da macht sich niemand die Taschen voll“, betont Garbe. „Das mittelständische Transport- und Logistikgewerbe befindet sich aktuell im Existenzkampf und ist mit Herausforderungen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß konfrontiert“, sagt auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Der Verband fordert einen sofortigen Krisengipfel unter Leitung des Bundeswirtschaftsministeriums, eine temporäre Entlastung bei den Preisen für Diesel und Gas, verkürzte Zahlungsziele durch die Auftraggeber sowie eine monatlich oder idealerweise wöchentliche Aktualisierung des Preisindizes durch das Statistische Bundesamt. Garbe kann sich diesen Forderungen nur anschließen und er fügt hinzu: „Niedersachsen ist als Flächenland besonders betroffen.“


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Dieser Artikel erschien am 18.3.2022 in Ausgabe #052.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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