15. Juni 2020 · 
Soziales

Krankenkassen: Viele Kliniken wurden voreilig für mögliche Corona-Fälle leergeräumt

Die Krankenkassen haben der Landesregierung schwere Versäumnisse in der Corona-Krise vorgeworfen. Das hat der Sprecher der Landesvereinigung der Ersatzkassen (VdEK), Jörg Niemann, am Montag in der Landtags-Enquetekommission zur Gesundheitsversorgung vorgetragen. „Die Leerstände in psychiatrischen Kliniken und in kleinen Krankenhäusern, die vom Sozialministerium zu Beginn der Krise angeordnet wurden, waren unnötig. Es wurde ein maximaler Leerstand in allen Einrichtungen angestrebt – und in der Folge sind viele notwendige Behandlungen unterblieben“, betonte Niemann. Auch Frank Preugschat von der AOK Niedersachsen erklärte, die Koordination der Klinikversorgung in solchen Pandemie-Fällen sei verbesserungsbedürftig.
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Niemann zog eine ernüchternde Bilanz der Klinik-Planung des Landes in der Anfangsphase der Corona-Krise: „Was in der ersten Zeit an Betten freigehalten wurde, ist zu keinem Zeitpunkt wirklich gebraucht worden.“ Das liege sicher daran, dass Deutschland Glück gehabt habe und die Neuinfektionen in Grenzen geblieben waren. Darauf wies in der Sitzung auch Uwe Schwarz (SPD) hin. Einige Anreiz- und Steuerungsimpulse sind nach Niemanns Worten jedoch falsch gesetzt worden. Da die Verweildauer in den Kliniken hierzulande im Schnitt nur sieben Tage betrage, wäre es aus seiner Sicht durchaus machbar gewesen, in vielen Krankenhäusern die üblichen Behandlungen weiterhin zu ermöglichen und dann im Bedarfsfall kurzfristig die Wiederbelegung von Betten zu verhindern und kurzfristig Kapazitäten für die Corona-Behandlung zu schaffen.
Der maximale Leerstand aller Kliniken als ursprüngliches Konzept war sehr teuer und auch nicht erforderlich.
Erst am 14. April, also einen Monat nach Beginn der Krise, habe die Landesregierung ein Landeskonzept vorgelegt und eine Einstufung der Kliniken vorgenommen – es seien Corona-Referenzkrankenhäuser definiert worden. Dies wäre nach Einschätzung des VdEK schon zu Beginn besser gewesen. Aber in dieser Zeit habe eine landesweite Beurteilung der Frage, wie man die Leistungsfähigkeit der Klinken beschreibt und daran gemessen Aufgaben verteilt, leider gefehlt. Es habe zunächst „nur eine dezentrale Steuerung“ gegeben. „Der maximale Leerstand aller Kliniken als ursprüngliches Konzept war sehr teuer und auch nicht erforderlich.“
Kleine Kliniken helfen in normalen Zeiten wenig, in Zeiten einer Pandemie wie jetzt aber gar nicht.
Differenziert ging Niemann auf die Debatte ein, ob die rund 170 Kliniken in Niedersachsen angesichts der Corona-Krise noch leistungsfähig und stark genug sind. Bevor die Pandemie begann, hatte der VdEK wiederholt kritisiert, viele kleine Krankenhäuser seien mit schwierigen Behandlungen überfordert und hätten gar nicht das qualifizierte Personal, beispielsweise Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten angemessen zu versorgen. Das belegten wissenschaftliche Untersuchungen. Jetzt erklärte Niemann, dass 53 Prozent aller niedersächsischen Kliniken weniger als 200 Betten hätten, also gemeinhin „klein“ genannt werden können. Diese hätten schon vor der Pandemie aber nur 13,7 Prozent der Intensivkapazitäten bereitstellen können. „Kleine Kliniken helfen in normalen Zeiten wenig, in Zeiten einer Pandemie wie jetzt aber gar nicht“, hob der VdEK-Leiter hinzu. Es müsse möglich sein, von einer Normalstation sofort zu einer vollständig leistungsfähigen intensivmedizinischen Einrichtung verlegt zu werden – dazu aber seien Kliniken nötig, die eine gute technische und personelle Ausstattung haben. Der VdEK spricht sich daher für den Aufbau von „Schwerpunktkliniken mit umfassender Expertise“ aus. In der Sitzung der Enquetekommission rügte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Jan Arning, die Verlegung von Patienten von Krankenhäusern in Reha-Kliniken habe „offenbar nicht überall gut geklappt“, es gebe hier kritische Hinweise. Bei der Bereitstellung von Corona-Intensivbetten hätten sich, so andere Stimmen, die privaten Kliniken offenbar (anders als die kommunalen Betreiber) zu sehr zurückgehalten. Zu beiden Hinweisen erklärte AOK-Geschäftsführer Preugschat, er könne dies nicht bestätigen. Der frühere hannoversche Gesundheitsdezernent Erwin Jordan sprach über Mutmaßungen, von den 170 landesweiten Kliniken hätten 70 sich verweigert, als es um die Bereitstellung von Intensivkapazitäten für Covid19-Patienten gegangen sei. Die Gründe dafür wolle er gern mal wissen, betonte Jordan. Auch diese Information konnte der Repräsentant der AOK nicht bestätigen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #112.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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