9. Dez. 2022 · 
Inneres

Kommunen sauer: Der Bund hat uns bei der Digitalisierung nicht weiter beachtet

Foto: GettyImages/Thomas Söllner

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) des Bundes sieht zwar seit fünf Jahren vor, dass von Anfang 2023 an die Bürger 575 Verwaltungsdienstleistungen online abwickeln können sollen – und zwar bundesweit und in allen Behörden. Doch der Starttermin klappt nicht, die technische Umsetzung ist nicht gewährleistet. Vermutlich werden nur wenige niedersächsische Kommunen im nennenswerten Umfang ihre Behördenangelegenheiten per Computer anbieten können. Auch das Innenministerium in Hannover hat schon eingeräumt, dass dies auf Personalmangel bei der Software-Entwicklung in den Kommunen zurückzuführen sei. Nun hat der Fachmann des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), Stefan Domanske, in einem analytischen Text die Fehler und Versäumnisse aufgelistet – und sieht dabei die Verantwortung bei Bund und Ländern. Die Hauptursachen sieht er in fehlenden überregionalen Vorbereitungen. Sein Fazit: „Die Kommunen fanden sich in der Position wieder, in der OZG-Umsetzung zwar mit gemeint, aber nicht mit gedacht worden zu sein.“

"Man verblieb auf der Ebene schicker Online-Formulare, welche lediglich auf eigenen Fachportalen betrieben werden sollten oder konnten."

Domanske berichtet, dass die kommunalen Spitzenverbände vehement gefordert hatten, das Mammut-Vorhaben der Digitalisierung der Verwaltung mit Schnittstellen, Standards und Strukturen der Verknüpfung zu begleiten. Dies habe aber vor allem die „Berliner Strategen“, also die Verantwortlichen in der Bundesregierung, „nicht beeindruckt“. Geliefert worden seien ein agiles Projektmanagement und Digitallabore. Damit seien dann „schicke und klickbare Oberflächen“ entstanden, diese aber hätten keine Funktion gehabt. Ihre Weiterentwicklung zu technisch nachnutzbaren Online-Formularen, die man wegen der offenen Schnittstellen schnell zu landesspezifischen Servicekonten hätte ausformen können, habe nicht stattgefunden. Der NLT-Fachmann meint: „Man verblieb auf der Ebene schicker Online-Formulare, welche lediglich auf eigenen Fachportalen betrieben werden sollten oder konnten.“ Die Frage, ob man diese noch woanders nutzen kann, sei höchst kompliziert geregelt worden, in einem „Vertragsgebilde aus FitStore und govdigital“, das aus kommunaler Sicht nur schwer zu durchschauen und vergaberechtlich wohl nicht unproblematisch sei. Diese Ausgangslage, schreibt Domanske, habe dann im Frühjahr 2022 auch den Normenkontrollrat auf den Plan gerufen. In seinem Bericht über den Stand der Digitalisierung der Verwaltung habe das Gremium festgestellt, dass der OZG-Auftrag, 575 Verwaltungsleistungen digital abwickeln zu können, nicht wie vorgeschrieben bis Ende 2022 zu erfüllen sein werde. Dann habe man einen „OZG-Booster“ beschlossen, nämlich den Plan, wenigstens 35 Leistungen bis Jahresende beschleunigt reif für die Digitalisierung zu machen.

NLT-Fachmann kritisiert EfA-Bereiche

Ein besonderes Problem stellen aus Domanskes Sicht die sogenannten „EfA“-Bereiche dar. EfA steht für „Einer für Alle“ und legt fest, dass die Bundesländer Bereiche bearbeiten sollen, die dann später von allen anderen übernommen werden. Das ist in Niedersachsen die Gesundheitsverwaltung. Der NLT-Fachmann spricht in diesem Zusammenhang von einem „Paradoxon“. Die Kommunen, die die von den Bundesländern entwickelten EfA-Leistungen übernehmen sollen, würden „zu Abnehmern von Online-Servicediensten der IT-Dienstleister der Länder degradiert“. So würden die Länder Konjunkturmittel des Bundes für Dienstleister ausgeben, die bisher wenig Erfahrung mit der Kommunalverwaltung haben. Das Ergebnis sei ein „EfA-Paradoxon“, denn die jährlichen Wartungs- und Betriebskosten für diese Position fielen in den Kommunen sogar höher aus als üblich – obwohl der Sinn von „EfA“ doch gewesen sei, die Kosten durch eine möglichst große Vereinheitlichung zu verringern. Da die Kosten für die EfA-Angebote schwer kalkulierbar seien, hätten die Kommunen in ihren Haushalten kaum Mittel für diesen Betrieb vorgesehen – und Bund wie Land hätten signalisiert, auch nicht vorübergehend diese EfA-Dienste bezahlen zu wollen. Der NLT-Fachexperte ist angesichts dieser Probleme höchst skeptisch: „Sollte sich daran bis zum Jahresende nicht noch etwas ändern, dann darf man ab Januar 2023 vor der Großbaustelle OZG eine halbfertige, nur in Teilen nutzbare Bauruine bestaunen – Fortsetzung unklar.“

IT-Beauftragter der Landesregierung widerspricht

Der IT-Beauftragte der Landesregierung, Horst Baier, hält die Kritik des NLT für nicht überzeugend. Es werde am Ende des ersten Quartals 2023 noch viele weitere Dienstleistungen geben, die von den Kommunen angeboten werden. Die Voraussetzung sei allerdings, dass die Kommunen mit den Anbietern von Dienstleistungen Verträge abschließen. Auch die problemlose technische Anbindung müsse gewährleistet sein. „Die Kommunen müssen ihre Hausaufgaben machen“, sagt Baier. Die Bürger könnten ihren Teil für die Nutzung digitaler Behördengänge schon jetzt leisten, indem sie sich ein Servicekonto anlegen – das sei im Internet problemlos möglich.

Dieser Artikel erschien am 11.12.2022 in Ausgabe #221.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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