
Nach einem ersten Spitzengespräch zwischen Vertretern des Innenministeriums, der Kommunalverbände und der Hilfsorganisationen hat Minister Boris Pistorius eigene Anstrengungen des Landes für mehr Unterkünfte für Flüchtlinge angekündigt. Im Raum stand die Erklärung der Landesregierung, im kommenden halben Jahr einen Zustrom von 70.000 weiteren Flüchtlingen zu erwarten – vor allem solchen aus der Ukraine. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp acht Monaten haben rund 105.000 Menschen aus der Ukraine in Niedersachsen Zuflucht gefunden. Die Kommunen befinden sich nach den Worten von Städtetag-Hauptgeschäftsführer Jan Arning in einer äußerst angespannten Situation. „Es gibt mehrere Bürgermeister, die jetzt erklären, an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu geraten und keinen Platz mehr für weitere Flüchtlinge zu haben.“ Einzelne seien schon dazu übergegangen, Aufenthaltsplätze in Turnhallen zu schaffen.
Pistorius berichtete darüber, dass das Land mit einer erhöhten Erstaufnahme von Flüchtlingen helfen wolle. Die Menschen könnten dann dort zunächst verbleiben, sodass eine schnelle Verteilung auf die Kommunen nicht zwingend sei und die Kommunen dadurch zeitlich etwas entlastet würden. Im März habe das Innenministerium begonnen, die derzeit 2200 Plätze in Landesaufnahmestellen auf rund 6800 aufzustocken. Dazu zählten auch das zentrale Drehkreuz in Laatzen (Region Hannover) mit rund 900 Plätzen und zwei Kasernen in Bad Bodenteich (Kreis Uelzen) und Fürstenau (Kreis Osnabrück). Diese Kapazitäten sollten dann noch einmal erhöht werden um 1960 Plätze, dazu sollten auch Wohncontainer in den Liegenschaften der Landesaufnahmebehörde genutzt werden. Im November wolle man so auf Landes-Plätze in einer Größenordnung von rund 9300 gelangen. Außerdem bleibe das Land auf der Suche nach weiteren Unterkünften, ins Blickfeld sind dabei auch die Kasernen in Cuxhaven und Delmenhorst geraten. Ministerpräsident Stephan Weil habe dem Bundeskanzler geschrieben, die Kapazitäten im alten Lager des Bundes in Bad Fallingbostel-Oerbke dem Land zur Verfügung zu stellen. Dort sind derzeit 1600 Flüchtlinge untergebracht, nach bisherigen Plänen soll das Lager aber 2023 schließen – in Spitzenzeiten waren dort 6000 Menschen einquartiert.

Der Präsident des Städtetages, Frank Klingebiel, verwies auf notwendige Anstrengungen auf Bundesebene und europaweit. Es müsse einiges getan werden, im Kontakt mit EU-Nachbarländern für eine bessere Verteilung der Flüchtlinge aus der Ukraine zu gelangen – denn diese Gruppe sei die mit Abstand größte derer, die zu uns kommen. Die Kommunen pochen außerdem auf eine dauerhafte Absenkung von Standards, die gerade die Aufnahme von ukrainischen Kindern in Kindergärten und Schulen erschweren. Nur bis Jahresende gilt bisher die Regel, dass auch bis zu 28 Kinder je Kindergartengruppe betreut werden dürfen. Eine Vergrößerung der Schulklassen ist bisher noch nicht vorgesehen. Gerade in der Landeshauptstadt gibt es einzelne Schulen, die über einen sehr starken Zustrom von Schülern aus der Ukraine berichten. Die Kommunen pochen zudem auf Ausnahmen von strengen Ausschreibungs- und Vergaberegeln, etwa bei der Suche nach Betreibern für Flüchtlingsunterkünfte oder bei der Anmietung von Liegenschaften für Flüchtlinge. In dem Gespräch mit den Vertretern des Landes und der Hilfsorganisationen sprachen die Kommunalvertreter auch die Möglichkeit an, den Katastrophenfall auszurufen. Das würde die Voraussetzung schaffen, freie Unterkünfte zur Unterbringung von Flüchtlingen zu beschlagnahmen. Sowohl das Innenministerium wie die Hilfsorganisationen sollen auf diesen Vorschlag aber zurückhaltend reagiert haben.