Kommunale Verkehrsunternehmen warnen vor zu viel Tempo 30 im städtischen Verkehr

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay stößt mit seinem Vorstoß für mehr Tempo 30 in der Landeshauptstadt auf Bedenken – auch von unerwarteter Seite. Zusammen mit Stadtbaurat Thomas Vielhaber hatte der Grünen-Politiker die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf zwei Hauptverkehrsstraßen im erweiterten Innenstadtbereich auf nahezu gesamter Länge eingeschränkt. Möglich wurde dies durch die jüngste Novelle der Straßenverkehrsordnung, die die Verbindung naheliegender Tempo-30-Abschnitte erlaubt. „Ich hätte mir durchaus noch mehr Gestaltungsspielraum für die Kommunen gewünscht, aber die Novelle der Straßenverkehrsordnung gibt uns schon deutlich mehr Möglichkeiten als zuvor“, sagte Onay und kündigte weitere temporeduzierende Maßnahmen an. Bei der hiesigen Wirtschaft schrillten daraufhin die Alarmglocken. IHK-Verkehrsexperte Mirko-Daniel Hoppe befürchtet, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Walderseestraße und dem Altenbekener Damm „zum politischen Fanal für die flächendeckende Abregulierung des Tempos auf den Hauptverkehrsadern in Hannover“ werden könnten. Tempo 30 sei zwar sinnvoll für den Lärmschutz und eine bessere Aufenthaltsqualität, könne aber kein generelles Konzept für wichtige Verkehrsachsen sein. „Die Bedeutung der Hauptverkehrsadern für den Wirtschaftsstandort Hannover scheint in der politischen Motivation der Stadt keine Rolle mehr zu spielen“, beklagte Hoppe.

Vor zu viel Tempo 30 warnen auch die kommunalen ÖPNV-Unternehmen. „Für Bus und Bahn sollte Tempo 50 im Hauptstreckennetz die Regel sein, sofern es nicht gelingt, eigene Fahrwege für den ÖPNV zu realisieren. Geschwindigkeitsreduzierungen können hohe Mehraufwendungen nach sich ziehen, nicht nur längere Fahrzeiten“, sagte Ulf Keller, Landesgeschäftsführer des Verbands der Verkehrsunternehmen (VDV). Der VDV warnt eindringlich vor den Folgen flächendeckender Temporeduzierungen. „Der öffentliche Verkehr muss besser werden – nicht langsamer und teurer“, heißt es in einem Positionspapier des Verbands. Eine Beispielrechnung des VDV für Hannover zeigt: Bei einer stadtweiten Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 würde die mittlere Beförderungsgeschwindigkeit im Bus um 3,3 Stundenkilometer sinken, was den Einsatz von zwei zusätzlichen Bussen pro Linie erfordern würde. Bei den Straßenbahnen sänke die Geschwindigkeit um 1,4 Stundenkilometer, sodass nahezu jede Linie einen zusätzlichen Straßenbahnzug benötigen würde. „Ein höherer Zeitaufwand für Fahrgäste steht den erwünschten Verkehrsverlagerungen weg vom Auto entgegen“, warnt der VDV.
Eine Studie des Instituts für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg (TUH) kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Für einen Kilometer in einem Streckenabschnitt mit Tempo 30 benötige ein Bus gegenüber Tempo 50 etwa eine halbe bis eine Minute mehr Fahrzeit. Wenn bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in dem Streckenabschnitt vorhanden sind oder eine Rechts-vor-links-Regelung vorliegt, könne sich die Fahrzeit sogar um bis zu eineinhalb Minuten pro Kilometer erhöhen. Die Autoren David Huber und Veronique Kring warnen: „Bereits eine geringe Fahrzeitverlängerung von zwei bis drei Minuten kann dazu führen, dass kein regelmäßiger Takt mit der gleichen Anzahl an Fahrzeugen möglich ist. Die Folge: Es müssen zusätzliche Fahrzeuge angeschafft werden. Hierdurch entstehen sprunghaft höhere Kosten, vor allem für die Fahrzeuganschaffung, die Instandhaltung und das Fahrpersonal.“ Eine weitere Folge sei das Verpassen von Anschlüssen: „Durch eine längere Fahrzeit können unter Umständen Anschlüsse nicht mehr erreicht werden, insbesondere, wenn auf einem Linienweg mehrere Anschlusspunkte liegen.“ Die Studie verweist jedoch auch auf positive Effekte: Abgesehen von der Fahrzeitverlängerung biete Tempo 30 als innerstädtische Regelgeschwindigkeit auch Vorteile für den ÖPNV. Durch eine Reduktion der Streuung der Fahrgeschwindigkeiten und damit einer Verstetigung des Verkehrsflusses könne der ÖPNV an Fahrkomfort gewinnen und seine Pünktlichkeit steigern. Entscheidend sei am Ende die enge Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Verkehrsunternehmen.
Dieser Artikel erschien am 18.02.2025 in der Ausgabe #032.
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