Kommission deckt Vertuschung bei Missbrauch in Kirchengemeinde auf
Die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der evangelischen König-Christus-Gemeinde in Oesede (Georgsmarienhütte im Kreis Osnabrück) hat am Dienstag ihren Abschlussbericht vorgestellt. Öffentlich bekannt war seit 2021, dass ein Diakon in den Jahren 1973 und 1974 ein damals junges Mädchen sexuell missbraucht haben soll. Aufgabe der Aufarbeitungskommission war es nun, unter anderem zu klären, ob es noch weitere Fälle gegeben hat, die der besagte Diakon mutmaßlich begangen hat. Untersucht wurde zudem, ob weitere Fälle hätten verhindert werden können und ob die Kirche vierzig Jahre später nach dem Bekanntwerden der Anschuldigungen angemessen reagiert hat.
Nach einem umfangreichen Aktenstudium, einer Vielzahl von Zeitzeugengesprächen sowie Eingang anonymer Hinweise kommt Wolfgang Rosenbusch, früherer Vorsitzender Richter am Landgericht Hannover, nun zu dem Ergebnis, dass es neben Lisa Meyer, wie sich die erste Betroffene anonymisiert nennt, mindestens noch sieben weitere Opfer von jeweils einer Vielfalt sexualisierter Gewalttaten gegeben haben muss. Bei diesen Betroffenen im kirchlichen Zusammenhang habe es sich durchweg um Mädchen gehandelt. Nach der Entlassung des Diakons sei dieser allerdings noch ehrenamtlich in einem Sportverein in Georgsmarienhütte tätig gewesen, wo er mindestens drei Jungen missbraucht haben soll.
Vertuschung statt Aufarbeitung
Mindestens drei der Missbrauchsfälle im Kontext der Kirche seien den Verantwortlichen damals schon bekannt gewesen, berichtete Rosenbusch. Der damalige Pastor habe die Fälle allerdings leichtfertig abgetan, Mütter zum Schweigen aufgefordert und den Diakon anschließend noch auf Jugendfreizeiten fahren lassen. Besonders erschüttert zeigte sich Rosenbusch von dem Umstand, dass keiner der bekannten Fälle dokumentiert worden sei – weder in der Personalakte noch in Protokollen des Kirchenvorstands oder wenigstens im Kündigungsschreiben, das der Diakon 1976 erhalten hat.
Stattdessen hätten sowohl die haupt- als auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kirchengemeinde das Verhalten des Diakons pathologisiert, ihm zu einer psychoanalytischen und psychotherapeutischen Behandlung geraten. Die Verantwortlichen hätten „die Entscheidung über den Fall externalisiert“, also auf andere abgeschoben, während sie den Beschuldigten weiter mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten ließen, kritisierte Rosenbusch.
Zudem habe die Gemeindeleitung damals gezielt Informationen vertuscht. So fehlten komplette Protokolle von Kirchenvorstandssitzungen oder Passagen in den ansonsten ausführlichen Inhaltsprotokollen wurden bewusst knappgehalten. Auch wurden „die Kinder als Opfer überhaupt nicht wahrgenommen, sondern lediglich als Informanten behandelt“, sagte Rosenbusch. Das Nichthandeln und die Vertuschung von damals habe letztlich dazu geführt, dass sechs Betroffene nicht geschützt worden seien, obwohl man es hätten tun können.
Schlechtes Zeugnis für die Landeskirche
Für die Betroffene Lisa Meyer sei es dann 2010, als sie sich erstmals bei der Landeskirche gemeldet hatte, nicht besser geworden. Prof. Christa Paul, die gemeinsam mit Richter Rosenbusch den Aufarbeitungsbericht erarbeitet hat, wirft den damaligen Akteuren Nachlässigkeit, Überforderung und mangelnde Sensibilität vor. Dabei habe sich die Landeskirche, ausweislich eigener Publikationen, zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren mit der Thematik rund um institutionellen Missbrauch beschäftigt gehabt, wie Prof. Paul darstellte.
Gerade aufgrund dieses Wissensstands hätte die Landeskirche aber bereits 2010 eine Aufarbeitung der Vorkommnisse in der Gemeinde Oesede vorantreiben müssen. Der damalige Verweis auf die juristische Verjährung sei „grundsätzlich anfechtbar“, sagt die Professorin für Soziale Arbeit aus Hamburg. Damit würde die lebenslange Belastung der Betroffenen ignoriert und Taten vertuscht. Hätte man früher nachgeforscht, wären wichtige Zeugen noch am Leben gewesen. Prof. Paul kritisiert, dass die Ansprechstelle der Landeskirche in den Jahren zwischen ihrer Einrichtung 2012 und der personellen Aufstockung 2021 unterbesetzt gewesen sei und eine angemessene fachliche Begleitung der Betroffenen nicht habe stattfinden können. Der Mangel sei dem Kirchenamt bekannt gewesen, stellte Prof. Paul fest.
Die Betroffene Lisa Meyer habe im Zusammenhang mit der Reaktion der Kirchenleitung von Enttäuschungen berichtet, aus denen Misstrauen erwachsen sei. Bei der Vorstellung des Abschlussberichtes kritisierte Meyer, die Kirche habe ungefragt persönliche Daten und Schriftverkehr an die Aufarbeitungskommission weitergegeben. Zudem beschwerte sie sich darüber, dass sie bei der Pressekonferenz nicht sprechen durfte, obwohl Landesbischof Ralf Meister einen Redeanteil hatte. Dabei kündigte Meister eine Pressekonferenz in etwa zwei Wochen an, auf der Kirchenamt, Fachstelle und Bischof zu den Handlungsempfehlungen der Kommission stellungnehmen wollen.
Dieser Artikel erschien am 28.02.2024 in der Ausgabe #038.
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