(rb) Eines der klarsten Erkenntnisse aus den letzten Landtagswahlen vor einer Woche war fraglos die Bedeutung der Spitzenkandidaten für die Wahlentscheidung. Die Wählerschaft will sich ganz offenkundig an Personen orientieren, nicht an Parteien oder gar an deren Programmen. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass selbst Ministerpräsidentin Malu Dreyer als Siegerin vom Platz gehen konnte, obwohl sie gerade so eben das SPD-Ergebnis der vorherigen Wahl halten konnte. Auch die Tatsache, dass ihre CDU-Kontrahentin Julia Klöckner so lange die Umfragewerte anführte, hatte weniger mit deren Parteizugehörigkeit, sondern mit ihrer Persönlichkeit zu tun. Das gilt im Übrigen auch für die AfD, die ganz ohne Programm ausgekommen ist, aber mit Frauke Petry eine Protagonistin hat, die Menschen für sich einzunehmen versteht, auch wenn sie persönlich in keinem der drei Länder zur Wahl stand. Bei den Grünen galt seit Jahr und Tag der Personenkult als verpönt, bis sie von Winfried Kretschmann eines besseren belehrt wurden. Dass „Kretsche“ im Ländle gewonnen hat und weniger die Grü-nen als Partei, wird dort mittlerweile nicht mehr bestritten, wenn auch widerwillig.
Bei der niedersächsischen CDU wird diese Entwicklung nur bedingt zur Kenntnis genommen. Nach wie vor für Freund und Feind unverständlich, ziert sich die Partei, sich mit Personen zu befassen, sondern setzt auf die Attraktivität eines Parteiprogramms, das derzeit parteiintern entwickelt wird, von der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen wird, denn die wirklichen „Knaller“ sind bislang eher nicht erkennbar. Wenn hier nicht bald ein personelles Angebot kommt, könnte die Partei wichtige Zeit auf dem Weg zur Landtagswahl verplempert haben – obwohl die Spitzenkandidatur von Kultusminister a.D. Bernd Althusmann schon die Spatzen von den Dächern pfeifen.
Während die Landes-CDU, seit geraumer Zeit ohne echte Führung, überwiegend mit sich selbst und ihren Programmdebatten beschäftigt ist, wächst auf der kommunalen Ebene eine neue Generation von dynamischen Persönlichkeiten heran, ohne dass dies von der Landespartei gebührend zur Kenntnis genommen wird. Das gilt für den bereits erfolgreichen Oberbürgermeister in Goslar, Oliver Junk, der dort die Herzen der Bürgerschaft im Sturm eroberte, obwohl er ein Zugereister war. Jetzt hat sich in Celle mit Dr. Jörg Nigge ein junger Kandidat auf den Weg gemacht, das Celler Rathaus für die Union zurückzugewinnen, dem dafür beste Chancen prognostiziert werden.
Zur Erinnerung: Celle, das war die Stadt in der Heide, die seit Menschengedenken als CDU-Hochburg galt, über die der legendäre CDU-Landesvorsitzende Wilfried Hasselmann seine Hand hielt und die für jedwedes sozialdemokratische Ansinnen als uneinnehmbar galt. Das unrühmliche Ende dieses Dauerzustands war zwei Kontrahenten innerhalb der Celler CDU zu verdanken, die ihre persönlichen Animositäten in einer Weise öffentlich austrugen, die die Partei dort komplett spaltete. In diese offene Flanke war vor sieben Jahren der SPD-Kandidat Dirk-Ulrich Mende hineingestoßen und machte das Undenkbare wahr. Seither ist Mende Celles Oberbürgermeister, wenn auch ohne Mehrheit im Stadtrat.
Anders als Junk in Goslar ist Nigge in Celle aufgewachsen, auch wenn er in Hamburg Karriere gemacht hat – zunächst bei der Bundeswehr, bei der er es bis zum Offizier im Generalstab gebracht hat, dann im Hamburger Senat, wo er sich mit einigen Sonderaufgaben profilieren konnte. Es war letztlich der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust, der Nigges Kandidatur für Celle eingefädelt hat. Mit der Landesspitze der CDU hatte der promovierte 41-jährige Wirtschaftswissenschaftler erstaunlicherweise bislang keinen Kontakt, wie zu hören ist. Dabei könnte es ihm gelingen, nicht nur das Celler Rathaus für die Union zurückzuobern, sondern auch die zerstrittenen Parteifraktionierungen wieder zu versöhnen, was allein schon aller Ehren wert wäre. Wie Junk in Goslar setzt auch Nigge – anders als die Landes-CDU – nicht auf Konfrontation, sondern geht pragmatisch und zielorientiert an das angestrebte Amt heran. Sollte er mit diesem konzilianten Stil in Celle gewinnen, könnte dies auch Vorbild für den Spitzenkandidaten zur Landtagswahl werden. Wenn die Partei das denn will. azDieser Artikel erschien in Ausgabe #56.