4. Jan. 2016 · 
Archiv

Kommentar: Farbenspiele 2018

(rb) Wenn nächsten Sonntag Landtagswahl in Niedersachsen wäre… dann wäre jetzt Januar 2018. Die spätestens seit den Äußerungen von Torsten Albig sogar in Kreisen der SPD quasi öffentlich und apodiktisch als „unschlagbar“ titulierte Angela Merkel wäre wahrscheinlich im Herbst zuvor wieder zur Bundeskanzlerin gewählt worden. In Niedersachsen liefe gerade die ganz heiße Phase, in der sich der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil zur Wiederwahl stellt. Jetzt gibt es einen altklugen Spruch, demzufolge die Ziffern des Wahlergebnisses vor dem Komma von der Bundespolitik bestimmt werden, die Ziffern danach von der Landespolitik. Und so sieht derzeit alles danach aus, dass auch in dieser nahen Zukunft die Union wieder stärkste Kraft in Niedersachsen wird. Zu stark ist die Merkel-CDU. Zu sehr scheint die SPD im 20-Prozent-Turm gefangen. Und die schleichende Demontage des Vorsitzenden Sigmar Gabriel gibt nicht viel Anlass zur Hoffnung, diesem Gemäuer auf absehbare Zeit zu entkommen. Soweit, so langweilig? Nein, denn die letzte Landtagswahl hat einmal mehr gezeigt, dass Altkluges nur bedingt zur Prognose von Wahlergebnissen taugt, vor allem aber auf die Frage über die spätere Machtverteilung keine Antwort bietet. Die CDU rangierte Anfang 2013 bundesweit irgendwo um die 40 Prozent, holte bei der Landtagswahl aber nur 36 Prozent. Die SPD hingegen lag bundesweit bei etwa 27 Prozent, fuhr hier aber am Ende über 32 Prozent ein. Wer heute in der Staatskanzlei in Hannover regiert, ist bekannt. In der damaligen Wahlnacht konnte Spitzenkandidat Stephan Weil sein Glück kaum fassen. Und wie sehr dieser Krimi bis heute nachwirkt, zeigt sich, wenn Unionisten zu später Stunde beim Bier noch immer darüber klagen, damals zwar nicht so richtig abgewählt worden zu sein, aber dennoch die Macht verloren zu haben. Für die einen liegt dieser Termin 2018 also noch in entspannter weiter Zukunft. Den anderen kann es nicht schnell genug gehen, den von ihnen zu einer Art „Betriebsunfall“ stilisierten rotgrünen Wahlsieg von 2013 zu korrigieren. Wie wird es also an diesem Januar-Sonntag im Jahr 2018 ausgehen? Die SPD kann erst einmal auf einen Ministerpräsidenten setzen, der zusehends an Format im Amt gewinnt. Den von der Opposition mit einer gewissen Impertinenz immer wieder vorgetragenen, zahlreichen kleinen Stockfehler der Regierung Weil werden außerhalb des Landtagsorbits offenbar wenig Beachtung geschenkt. Dort kommt die immer wieder betonte Bodenständigkeit des Ministerpräsidenten richtig gut an – und das ist das, was am Ende zählt. Dazu kommt, dass es Kultusministerin Frauke Heiligenstadt vorerst geschafft hat, relative Ruhe in das sonst so streitbeladene Feld der Schulpolitik zu bringen. Innenminister Boris Pistorius verkörpert in der aktuellen Migrations- und Sicherheitspolitischen Lage ein glaubwürdiges Bild einer wehrhaften Demokratie. Und Verkehrsminister Olaf Lies hat einen echten Coup gelandet, als er den Konflikt um die Y-Trasse nun wohl wirklich lösen konnte. Ein Kuriosum bleibt, dass die CDU mit David McAllister noch immer einen der bekanntesten und beliebtesten Politiker im Lande in ihren Reihen weiß – auch, wenn dieser wohl endgültig der Landespolitik den Rücken zu gekehrt hat. Das ist Risiko und Chance für die Union. Mit einem starken Spitzenkandidaten und dem Merkel-Wind im Rücken könnte die CDU wieder ein starkes Ergebnis einspielen. Diesen Kandidaten zu finden, ist die Herausforderung. Zwar nimmt die Personalie gerüchteweise Konturen an. Noch schallt aber aus der Parteizentrale in der Hindenburgstraße nur das „Sorgfalt vor Eile“-Mantra. Nach der Kommunalwahl im September sei es noch immer früh genug. Die nächste spannende Frage ist jedoch das Abschneiden der Kleinen. Wer holt wieviel? Und noch entscheidender: Wer kommt rein? So könnten es am Ende tatsächlich sechs Fraktionen in den Landtag schaffen. Die Grünen können sich zumindest derzeit wohl wieder auf ein satt zweistelliges Ergebnis freuen. Den guten Umfragewerten haben die Krisen um Agrarminister Christian Meyer und Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz nicht geschadet. Meyer, aber genauso Umweltminister Stefan Wenzel machen das, wofür sie ihre eher städtische, grüne Klientel gewählt hat: grüne Umwelt- und Agrarpolitik. Das wird goutiert. Dass die Chancen für eine Fortsetzung von Rot-Grün umso größer werden, je weniger Parteien ins Parlament kommen, ist einfache Mathematik. Darauf zu bauen, wäre aber töricht. Denn die FDP scheint sich weiter zu berappeln und betreibt im Übrigen eine sehr ordentliche Oppositionspolitik. Von der außerparlamentarischen Linken hört man derzeit zwar in Niedersachsen nicht viel. Man kratzt in Umfragen, getragen vom Bundestrend, aber dennoch an den fünf Prozent. Und dann ist da noch die bundesweit auf Rechtspopulismus getrimmte AfD. Zwar spielt sie hierzulande noch kaum eine Rolle; bundesweite Umfragen sehen sie aber deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde. Und wer weiß, wie weit sie mit ihren krassen Rechtsauslegern im Windschatten der Flüchtlingskrise kommt? Mit den Schmuddelkindern von der AfD wird zwar keiner ernsthaft spielen wollen. Ein Einzug ins Landesparlament würde aber die komplexer gewordene Arithmetik der Sitzverteilung weiter durcheinanderwirbeln. Wenn also die etablierten Zwei-Parteien-Bündnisse unwahrscheinlich werden, gibt es immer noch die große Koalition. Vorausgesetzt, dass die Union tatsächlich wieder stärkste Kraft wird, werden sich aber die Sozialdemokraten äußerst schwer tun, die lieb gewonnene Staatskanzlei wieder zu räumen. Als Alternativen bleiben dann zum einen noch die schwer zu konstruierenden Dreier-Koalitionen – ob nun Ampel oder das von der SPD ungeliebte bis gefürchtete Linksbündnis. Zum anderen muss man bei einer fast 40-Prozentigen CDU und zweistelligen Grünen immer auch die schwarzgrüne Option im Hinterkopf haben. Diese wurde zwar bisher in einem Flächenland nur in Hessen erprobt, scheint dort aber durchaus zu funktionieren. Es wird spannend in Niedersachsen. Und fest steht, dass es fahrlässig von Stephan Weil wäre, allein auf Rot-Grün zu setzen. Vieles scheint möglich oder muss durch die normative Kraft des Faktischen möglich werden – politische Lockerungsübungen an der einen oder anderen Stelle einmal vorausgesetzt. Für die wären aber noch zwei Jahre Zeit, denn noch ist ja nicht am nächsten Sonntag Landtagswahl in Niedersachsen. drz
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #1.
admin
Autoradmin

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail