14. Feb. 2017 · 
Soziales

Klinikneubau-Gegner siegen im Wettrennen um Bürgerentscheid

Sollen in Emden, Aurich und Norden drei alte Krankenhäuser geschlossen werden, damit eine neue zentrale Klinik in Emden-Georgsheil gebaut werden kann? Diese Frage ist in der ostfriesischen Region seit Jahren heftig umstritten – und seit gestern sieht es nun ganz so aus, als wenn die Gegner der Reform einen Punktsieg errungen haben. Sie haben offenbar genügend Unterschriften für ein Bürgerbegehren zusammengetragen und diese bereits beim Kreis Aurich und bei der Stadt Emden eingereicht. Damit hat eine andere Bürgerinitiative, die Unterschriften für den Neubau gesammelt hatte, offenbar das Nachsehen, ihre Listen dürften eingestampft werden. Denn im niedersächsischen Kommunalwahlrecht gibt es keine Regel, wie man mit zwei widerstreitenden Bürgerinitiativen umzugehen hat – daher liegt das „Windhund-Verfahren“ nahe: Wer zuerst kommt, malt zuerst. Der Streit um die Klinikreform im Raum Emden/Aurich kocht schon seit mehreren Jahren, er warf auch seine Schatten auf den Kommunalwahlkampf, und manche führen die schweren Verluste der SPD in der Stadt Emden auch darauf zurück. Die drei alten Klinken haben je rund 300 Betten, sind in den sechziger Jahren entstanden und schreiben momentan Verluste, für 2015 dürften sich diese im Kreis Aurich noch um zehn Millionen Euro erhöhen. Kritiker meinen, die alten Häuser könnten kein modernes, integriertes Angebot mehr leisten, sie seien auch für junge Ärzte nicht mehr attraktiv. Dass Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten in allen drei Häusern gleich gut behandelt werden können, wird bezweifelt. Detlev Krüger, der für die Bürgerinitiative zugunsten des Neubaus spricht, sieht große Vorteile in einem zentralen, rund 250 Millionen Euro teuren Neubau: Das Haus sei mit 800 Betten groß genug für moderne Instrumente und eine ausreichende Spezialisierung. Gleichzeitig solle an den Standorten der alten Kliniken jeweils eine Rundum-Notfallaufnahme gewährleistet werden. Ingeborg Hartmann-Seibt, SPD-Fraktionssprecherin im Rat der Stadt Aurich und eine der Initiatoren der Bürgerinitiative gegen den Neubau, argumentiert anders: Aurich sei ein Mittelzentrum, habe schon keinen Bahnhof mehr und dürfe nun nicht auch noch das Krankenhaus verlieren. In der Stadt Norden habe man zudem mit der Gebietsreform 1977 versprochen, die Klinik zu erhalten. Der Grund für die Verluste der alten Häuser liege im Missmanagement – und schon 2013 habe es ein Gutachten gegeben, das Ansätze für eine Sanierung aufzeigte. Aus politischen Gründen aber seien die Vorschläge nicht umgesetzt worden. Die geplante Zentralklinik in Emden-Georgsheil sei gerade für ältere Leute schlecht erreichbar, die Verkehrsverhältnisse seien nicht gut. Schon vor zwei Jahren sammelten die Gegner fleißig Unterschriften, doch weil sie keinen ausreichenden Kostendeckungsvorschlag unterbreitet hätten, ließ der Kreisausschuss in Aurich das nicht zu. Im vergangenen Herbst aber hat der Landtag das Gesetz geändert, nun wird von den Antragstellern eines Bürgerbegehrens kein Finanzierungsplan mehr verlangt – umgehend begannen mehrere Initiativen in Aurich und Emden erneut mit Sammlungen. Gleichzeitig entstand aber auch eine Initiative der Befürworter, die – so Initiator Detlev Krüger – „vor allem zur Versachlichung der Diskussion beitragen“ wolle. Da für den Erfolg eines Bürgerentscheids vor allem wichtig ist, wie die Frage formuliert wird, begann zwischen beiden Gruppen ein Wettrennen. Vorgestern hatte die Gruppe um Ingeborg Hartmann-Seibt in Aurich 14.216 Unterschriften abgegeben und in Emden mehr als 5000 – das sind zusammen rund 3000 mehr als nötig. Nun wird in den nächsten Wochen in allen Einwohnermeldeämtern der Region geprüft, ob die Unterzeichner schon seit drei Monaten dort leben, mindestens 16 Jahre alt und wahlberechtigt sind. Ist die ausreichende Zahl dann erreicht, so könnte im Mai oder Juni ein Bürgerentscheid stattfinden – und zwar zu der von den Gegnern formulierten Frage, ob man dafür sei, die bestehenden Kliniken zu erhalten. Die Frage der Befürworter wäre gewesen, ob man zur Sicherung der Gesundheitsversorgung einen Neubau befürworte – sofern die Notfallversorgung an den alten Standorten bleibe. Ist es nun richtig, dass nur die schnellere Bürgerinitiative ihre Frage durchsetzt – und die Unterschriften der Neubau-Befürworter, auch das waren schon mehrere tausend, damit dann verfallen? Zweifel daran hat der Kommunalexperte Robert Thiele, ehemaliger Ministerialdirigent und jetzt Berater von Städtetag und Städte- und Gemeindebund. „Die Frage, wie man mit zwei konkurrierenden Bürgerbegehren umgeht, wurde im Gesetz nicht geregelt. Nun sind alle ratlos“, sagte Thiele dem Rundblick. Bayern und Hessen seien da in ihren Gesetzen schon weiter und würden dann beide Begehren zulassen – wobei die Bürger zusätzlich ankreuzen müssten, welches Votum im Zweifel das Verbindliche sein solle. „Das Windhund-Verfahren aber beruht auf Zufälligkeit und ist unbefriedigend.“
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #30.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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