Es ist derzeit vermutlich das Horrorszenario für viele Eltern: Das eigene Kind wird positiv auf das Corona-Virus getestet. Angst, Sorgen und Ratlosigkeit dürften die ersten Reaktionen sein: Was ist nun zu tun? Wie schlimm ist die Krankheit für Kinder? Wie hilft man nun dem eigenen Kind am besten? Doch statt hilfreicher Ratschläge haben einige Eltern in den vergangenen Monaten eher bedrohliche Briefe von ihren Gesundheitsämtern erhalten. Bundesweit haben die Quarantäne-Anordnungen von kommunalen Gesundheitsbehörden jüngst für Irritationen gesorgt. Manche Briefe waren derart harsch formuliert, dass sich Eltern vom Staat regelrecht eingeschüchtert gefühlt haben. In den Fokus geriet auch die Region Hannover in Niedersachsen.

Die Initiative „Familien in der Krise“ hat daraufhin beanstandet, dass Gesundheitsämter mit der Quarantäne zusätzlich die häusliche Isolation der betroffenen Kinder anordneten: Haben sich Kinder mit dem Corona-Virus infiziert oder galten sie auch nur als Verdachtsfall, sollten sie also nicht nur zuhause bleiben – sondern zuhause auch noch von allen anderen Familienangehörigen getrennt werden. Sina Denecke, Sprecherin der niedersächsischen Gruppe von „Familien in der Krise“ berichtet gegenüber dem Politikjournal Rundblick von Eltern, die die Initiative kontaktiert und um Rat gefragt hatten. Diese seien mitunter schockiert und verunsichert gewesen, schildert Denecke.


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In Niedersachsen ist speziell die Region Hannover negativ aufgefallen. In den Behördenschreiben, für die im Briefkopf der Regionspräsident, also Hauke Jagau (SPD) verantwortlich zeichnet, wurden die Eltern darauf hingewiesen, was die sogenannte „häusliche Absonderung“ bedeute: etwa, dass das Kind zu allen im Haushalt lebenden Personen „möglichst eine räumliche und zeitliche Trennung“ einhalten solle. In dem Schreiben wurde weiter ausgeführt, wie sich das konkret darstellen ließe – etwa „indem Sie und Ihr Kind sich in unterschiedlichen Räumen aufhalten, keine gemeinsamen Tätigkeiten ausführen und insbesondere Ihre Mahlzeiten nacheinander oder räumlich getrennt voneinander einnehmen.“

Zum Wohl der Allgemeinheit sollte also Eltern untersagt werden, ihre Kinder in den Arm zu nehmen, sie ins Bett zu bringen oder gemeinsam mit ihnen zu essen – sogar dann, wenn die Kinder noch im Kindergartenalter sind. Allein das wirkt schon absurd, gelten doch in den allermeisten Corona-Verordnungen der Länder keine gesonderten Abstandsregeln für Mitglieder eines einzelnen Haushaltes. Die Argumentation auch in Niedersachsen lautete dazu immer: Wer in einem Haushalt lebt, ist eh gemeinsam krank. Gilt das nicht bei Infektionen von Kindern? Niedersachsens Sozialministerium verweist auf Rundblick-Anfrage darauf, dass es in die Verantwortung der kommunalen Gesundheitsämter falle, die Maßnahmen festzulegen. Daher wolle man das Vorgehen nicht bewerten. Das Land empfehle den Kommunen jedoch, auch mindestens für ein Elternteil eine Quarantäneanordnung auszusprechen.

Region drohte Eltern mit Kindesentzug

Doch für noch viel größere Verunsicherung sorgte ein anderer Passus des Schreibens der Region Hannover (Absender: „Der Regionspräsident“). Auf der dritten von vier Seiten folgte die Darlegung der Konsequenzen, sollte die Anordnung nicht eingehalten werden. Dort heißt es: „Sollten Sie oder Ihr Kind den die Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommen oder lässt das Verhalten darauf schließen, dass meinen Anordnungen nicht ausreichend Folge geleistet wird“, werde beim zuständigen Amtsgericht beantragt, das Kind „zwangsweise in einer geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abzusondern. Das Grundrecht der Freiheit der Person kann insoweit eingeschränkt werden.“ Den Eltern wurde also nicht nur jede körperliche Nähe zu den Kindern untersagt. Bei Verstößen dagegen drohte sogar eine Inobhutnahme der Kinder durch staatliche Einrichtungen. Zumindest entstand der Eindruck.

Denecke berichtet von einer Familie, die während der Quarantäne des Kindes permanent die Gardinen zugezogen hatte aus Angst, die Nachbarn könnten sie den Behörden melden, weil sie doch mit ihrem fünfjährigen Kind zusammen am Tisch saßen, um zu essen. Das Bündnis „Familien in der Krise“ kritisiert derartige Regelungen als „eine Form psychischer Gewalt“. Mit dieser Einschätzung schloss sich das Eltern-Bündnis dem Kinderschutzbund an. Dieser hatte erklärt: „Die Situation der Quarantäne ist für Familien, insbesondere für Kinder ohnehin sehr belastend. Kinder in dieser Phase von ihren Eltern und Geschwistern zu isolieren, ist eine Form psychischer Gewalt.“ Der Kinderschutzbund wertete diese Maßnahmen als „unverhältnismäßig und nicht hinnehmbar“.

950 Behördenschreiben mit Drohung

Insgesamt 950 Mal wurde dieses Schreiben in den vergangenen Wochen an Eltern in der Region Hannover verschickt. Davon allein knapp 130 Exemplare, nachdem Anfang August in den Medien erstmals über die Kritik betroffener Eltern berichtet wurde. Mehr als 14 Tage hat die Region Hannover also gebraucht, um eine neue Formulierung zu wählen. Seit gestern wird nun die neue Version des Standardformulars verwendet, in dem die entscheidenden zwei Passagen des Schreibens überarbeitet wurden. Nun heißt es dort auf der ersten Seite: „Die häusliche Absonderung bedeutet weiterhin, dass durch Sie als Elternteil Ihrem Kind in der Wohnung bzw. dem Haushalt altersentsprechend eine räumliche und zeitliche Trennung im Rahmen der Quarantäne ermöglicht wird.“ Bedeutsam ist dabei das eingefügte Wort „altersentsprechend“, das einen gewissen Spielraum eröffnet.

Den Passus auf Seite drei, in dem angedroht wurde, die Kinder „zwangsweise in einer geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abzusondern“, wurde gänzlich gestrichen. „Neben den weiterhin erforderlichen juristischen Aspekten im Sinne des Infektionsschutzgesetzes werden die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Möglichkeiten der Eltern, auf individuelle Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen, stärker betont“, erklärte eine Sprecherin der Regionsverwaltung auf Rundblick-Anfrage.

Mehr als zwei Wochen nach der ersten öffentlichen Kritik ist der Spuk mit den behördlichen Drohschreiben gegen Eltern in Ausnahmesituationen also nun vorüber. Denecke von „Familien in der Krise“ freut sich über diese Änderung, gibt aber auch zu bedenken, dass hier bei der Empathie noch „Luft nach oben“ sei. Nicht jeder habe die nötigen Ressourcen, um ein solches Behördenschreiben richtig einzuordnen, betont sie. Die Eltern-Initiative wünscht sich daher, dass die Behörden zu den Betroffenen doch persönlich Kontakt aufnehmen könnten, um auf Probleme einzugehen. Die Region Hannover sieht da allerdings eher eine Holschuld der Bürger: Bei persönlichem Klärungsbedarf stehe man zur Verfügung, stellte die Regions-Sprecherin klar.

Von Niklas Kleinwächter