29. Jan. 2024 · Wirtschaft

Keine Stellplatzpflicht für Neubauten? Lies‘ Vorstoß irritiert auch die SPD

Der Wohnungsbau in Niedersachsen liegt am Boden. Während die Zahl der Bauvorhaben im vergangenen Jahr dramatisch eingebrochen ist, steigt der Bedarf nach Wohnraum bis 2040 immer weiter an. Die bereits im rot-grünen Koalitionsvertrag angekündigte „Umbauordnung“ für Niedersachsen kommt da genau zum richtigen Zeitpunkt, um das Modernisieren und Aufstocken des veralteten Wohnungsbestands attraktiver zu machen. „Wir brauchen nicht alle Standards, die wir heute haben. Ein Gebäude muss nach dem Umbau nicht mehr können als vor dem Umbau – außer beim Klimaschutz“, erläuterte Stefanie Nöthel, Abteilungsleiterin für Städtebau und Wohnen im Wirtschaftsministerium, die Philosophie hinter der neuen Umbauordnung. „Heute sind wir in einer Situation, in der Bezahlbarkeit und Klimaschutz dieselbe Wichtigkeit haben wie die Sicherheit. Man kann dieses Gewicht ein stückweit verschieben, ohne dass ein Sicherheitsverlust eintritt, den man nicht vertreten kann“, sagte Nöthel im Wirtschaftsausschuss des Landtags.

Unter dem Vorsitz von Reinhold Hilbers tagt der Wirtschaftsausschuss im Forum des Landtags. Die Bauexperten aus dem Wirtschaftsministerium stellen den Abgeordneten die neue Umbauordnung vor. | Foto: Link

Nöthel stellte ein typisches Beispiel für die Unsinnigkeit der aktuell geltenden Regeln vor, die nun vereinfacht werden sollen: Ausgangspunkt ist ein Bestandsgebäude, dessen Wände und Decken nach ehemaligen Standards einem Feuer bis zu 30 Minuten standhalten können. Wenn der Eigentümer dieses Gebäude heutzutage aufstocken will, muss er in den oberen Etagen die modernen Standards einhalten, wonach die Wände bis zu 90 Minuten feuerfest sind.

„Diese Feuerfestigkeit hilft aber nicht viel, denn nach 31 Minuten fällt unten alles zusammen“, sagte Nöthel. Nach der Novelle der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) soll dagegen folgende Regel gelten: „Wenn das Gebäude irgendwann den geltenden Sicherheitsstandards entsprach, reicht es aus, nach diesen Standards zu bauen.“ Natürlich könne der Eigentümer auch die neuesten Standards anwenden, sei dazu aber nicht länger verpflichtet, betonte die Abteilungsleiterin.

„Grundsätzlich befürworten wir diese Überlegungen, aber wir wissen alle: Die Probleme entstehen, wenn es in die Details geht“, sagte Christian Frölich (CDU). So müsse dringend geklärt werden, wie die Bauherren an die zum Zeitpunkt des ursprünglichen Baujahres gültigen Standards kommen. Problematisch sieht Frölich auch den geplanten Verzicht auf den Bau eines zweiten Rettungsweges, wenn dieser über Rettungsgeräte der Feuerwehr herbeigeführt werden kann.

Christian Frölich | Foto: CDU

„Weisen wir damit nicht nur den Kommunen eine neue Aufgabe zu, die dann entsprechende Ausrüstung für ihre Feuerwehren anschaffen müssen – zum Beispiel Leiterwagen?“, fragte der Landtags- und Kommunalpolitiker aus Rosdorf (Kreis Göttingen). Gleiches gelte für den Verzicht auf die Stellplatzpflicht bei Neubauten, die den Parkdruck im öffentlichen Raum erhöhe. „Das wird zu einer Mehrbelastung der Kommunen führen“, warnte Frölich.

Durch den Wegfall der Stellplatzpflicht für Neubauten könnte sich der Parkdruck auf den Straßen erhöhen. | Foto: GettyImages/Ocskaymark

Einigen Sozialdemokraten bereitet der von Wirtschafts- und Bauminister Olaf Lies (SPD) vorgeschlagene Stellplatzpflichtverzicht ebenfalls Kopfschmerzen. „Das wird bei uns in der Fraktion durchaus kontrovers diskutiert“, verriet der SPD-Fraktionsvize Christoph Bratmann. Er erwarte deswegen gespannt die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände, die laut Wirtschaftsministerium aber noch nicht vorliegen. „Es darf nicht zu einer Verdrängung im öffentlichen Raum kommen“, betonte auch Stephan Christ (Grüne).

Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Henning sieht die Sache dagegen entspannt: „Die einzigen, die damit Probleme haben werden, sind die Kämmerer der Städte, die auf die Ablösebeträge für die Stellplätze verzichten müssen.“ Beim Osnabrücker Baugipfel habe er jüngst von den Bauunternehmern nicht nur großen Zuspruch zur geplanten Genehmigungsfiktion bei Bauanträgen, sondern auch für den Stellplatzpflichtverzicht erfahren. „Lasst die Unternehmen selbst entscheiden, die wissen am besten, was sie für eine Klientel haben“, forderte Henning.

Frank Henning | Foto: Lukas Gruenke

Im Wirtschaftsministerium sieht man das ähnlich. Nöthel geht davon aus, dass viele Bauunternehmer auch ohne Pflicht zu Stellplätzen tendieren werden. Zudem hätten einige Kommunen signalisiert, dass sie die Stellplatzpflicht gerne selbst regeln möchten. „Ich habe da großes Vertrauen, dass die unteren Bauaufsichtsbehörden das richtig beurteilen können“, sagte die Abteilungsleiterin. An einen Kompromiss glaubt Nöthel nicht: „Da gibt es Grundüberzeugungen, die sehr weit auseinanderliegen. Es wird schwierig sein, da einen Brückenschlag hinzubekommen. Am Ende wird man wohl einen Tod sterben müssen.“

Dieser Artikel erschien am 30.1.2024 in Ausgabe #017.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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