22. Apr. 2024 · 
Kultur

„Kein Bischof wird mit einem AfD-Politiker aufs Podium gehen“

Heiner Wilmer ist seit 2018 Bischof von Hildesheim. Im Gespräch mit den Rundblick-Redakteuren Anne Beelte-Altwig und Niklas Kleinwächter erzählt er von seinen Erlebnissen in Israel kurz nach dem Überfall der Hamas, verteidigt das Bischofswort zur AfD und verrät, was ihn trotz aktueller Krisen hoffnungsfroh auf die Zukunft der Kirche blicken lässt.

Rundblick-Redakteurin Anne Beelte-Altwig im Gespräch mit Bischof Heiner Wilmer | Foto: Kleinwächter

Rundblick: Herr Bischof, mehr als sechs Monate liegt der Angriff der Hamas auf Israel nun zurück und der Konflikt verschärft sich immer weiter. Sie sind im November, nur vier Wochen nach dem Massaker vom 7. Oktober, nach Israel gereist. Was haben Sie da erlebt?

Bischof Wilmer: Wir waren eine sehr kleine Delegation von nur vier Leuten und ich war der erste katholische Bischof, der Israel nach dem Angriff besuchen konnte. Es gab Bedenken wegen der Sicherheit, aber es war uns wichtig, ein Zeichen der Solidarität mit Israel zu setzen. Für mich war es eine besondere Erfahrung, dass uns gleich nach unserer Ankunft direkt der nächstgelegene Bunker gezeigt und gesagt wurde: Wenn wir die Sirene hören, bleiben uns noch 90 Sekunden, um uns in Sicherheit zu bringen. Da wurde deutlich, wie ernst die Lage ist. Israel wird zwar durch den Raketenabwehrschirm „Iron Dome“ gut geschützt, aber am 7. Oktober hatte man nicht alle Raketen der Hamas abwehren können.

Rundblick: Wie erlebten Sie die Stimmung unter den Menschen?

Bischof Wilmer: Es gab eine spürbare Angst in den Gassen. Wenn sich zwei Menschen begegnet sind, haben sie sich gemustert. Ich sah einen Familienvater, der mitten in der Innenstadt eine Schnellfeuerwaffe mit sich führte, um seine Kinder notfalls beschützen zu können. Einst belebte Orte wie die Grabeskirche waren menschenleer, weil die Menschen aus Angst zuhause blieben. Wir waren am 9. November, dem Gedenktag der Pogrome, in der Gedenkstätte Yad Vashem, die sonst immer zahlreiche Besucher hatte. An diesem Tag waren es höchstens zehn. Auf dem Weg dahin wurde ich allerdings aufgehalten und kam eine halbe Stunde zu spät. Das lag daran, dass tausende Menschen im Autokorso auf dem Weg waren zu einem städtischen Friedhof ganz in der Nähe. Dort wurde eine junge Soldatin beigesetzt, die wenige Tage zuvor erstochen worden war.

Rundblick: Noch immer sind nicht alle Geiseln befreit, im Gazastreifen kann derweil von einer humanitären Katastrophe gesprochen werden. Wie kann es weitergehen?

Bischof Wilmer: Ich habe es damals gesagt und bleibe dabei: Ich bin kein Politiker und maße mir nicht an, eine Antwort darauf zu haben. Es darf jedenfalls nicht vergessen werden, dass die Situation hochkomplex ist. Ich habe Palästinenser getroffen, die mir sagten: „Wir sind nicht alle Hamas!“ Und genauso traf ich Israelis, die versicherten: „Wir denken nicht alle wie Netanjahu!“ Auch der Staat Israel ist gespalten. Was es nun aber dringend braucht, sind drei Dinge: einen sofortigen Waffenstillstand, die bedingungslose Freilassung aller Geiseln – und dann müssen alle an einen Tisch kommen, auch die großen Mächte, die im Hintergrund agieren. Mir ist auch klargeworden, dass der Satz, man müsse die Hamas vernichten, damit man zum Frieden kommen kann, nicht funktionieren wird. Mir kommt der Römerbrief in den Sinn, in dem Paulus schreibt: Sofern möglich, haltet Frieden! Außerdem erinnere ich an Kant, der sagte: Das Ziel muss Frieden sein, auch im Krieg muss der Frieden vorbereitet werden. Dazu gehört auch, dass man in Kriegszeiten ein gewisses Maß an Vertrauen in die Denkungsart des Feindes haben muss, weil sonst kein Friede abgeschlossen werden kann. Das gilt auch für den Krieg in der Ukraine.

Rundblick: Was heißt es angesichts dieser hochkomplexen Gemengelage, an Israels Seite zu stehen?

Bischof Wilmer: Wir stehen klar an der Seite Israels. Israel hat ein Recht auf Existenz. Da müssen wir eine deutliche Sprache sprechen. Es ist unerträglich, dass auch hierzulande der Antisemitismus zunimmt. Wir erleben das, wenn Grabsteine umgestoßen werden, beim Anschlag auf die Synagoge in Oldenburg oder wenn man einem Juden rät, in Berlin auf der Straße nicht Hebräisch zu sprechen. Auch das ist Antisemitismus.

Bischof Heiner Wilmer beim Interview mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter | Foto: Beelte-Altwig

Rundblick: Deutliche Worte findet die Deutsche Bischofskonferenz auch mit Blick auf die AfD. In einer Stellungnahme heißt es nun sinngemäß: Wer Christ ist, kann nicht die AfD wählen. Wie kommen Sie darauf?

Bischof Wilmer: Die Beratungen dazu sind sehr eindeutig verlaufen. Diese Eindeutigkeit freut mich. Inhaltlich begründet ist diese Stellungnahme aufgrund der völkischen Tendenzen in der AfD. Uns Bischöfe empört, wenn ein prominenter Vertreter dieser Partei davon spricht, dass wir auf 20 bis 30 Prozent der Menschen in Deutschland verzichten könnten, wenn offen über Deportationen nachgedacht und über „deutsches Blut auf deutschem Boden“ geredet wird. Das erinnert mich an die dunkelste Zeit unserer deutschen Geschichte. Wer völkische Positionen übernimmt und Menschen mit Migrationshintergrund ausgrenzt, hat im Übrigen auch keinen Platz in verantwortlicher Position im Bistum Hildesheim.

Rundblick: Es gibt aber auch Katholiken, die dieses Bischofswort nun kritisieren und meinen, die AfD sei immerhin eine Partei, die den Lebensschutz hochhält. Diese Menschen wünschen sich eher eine Absage an all jene Parteien, die Abtreibungen legalisieren wollen.

Bischof Wilmer: Wir stehen für den Schutz des Lebens – von seinem Anfang bis zum Ende. Wie Vertreter der AfD gegen die Abtreibung argumentieren, pervertiert die Grundüberzeugung von der gleichen Würde aller Menschen. Das hat mit der Bibel nichts zu tun. Das ist rein völkisches Denken, weil es hier nicht um den Schutz des Lebens an sich geht, sondern um den Schutz einer definierten Gruppe von Menschen.

Rundblick: Würden Sie einen AfD-Politiker zum Katholikentag einladen?

Bischof Wilmer: Kein Bischof wird mit einem Vertreter der AfD auf ein Podium gehen. Wir empfehlen aber ausdrücklich, vor Ort das Gespräch zu suchen. Außerdem ist es wichtig, die Nöte der Menschen zu sehen. Wenn es etwa darum geht, dass in einer Kleinstadt der letzte Allgemeinarzt weggezogen ist, die letzte Apotheke geschlossen wurde, es keine weiterführende Schule gibt und kein Bus mehr fährt, dann läuft da etwas schief. Es gibt Menschen in diesem Land, die sich abgehängt und von der Politik verlassen fühlen, die dadurch eine tiefe Kränkung empfinden. Da haben wir als Gesellschaft Aufgaben zu lösen, und ich wünsche mir hier auch mehr Engagement der etablierten Parteien.

Rundblick: Die Kirche hat versagt, als es um den Schutz der Schwächsten ging. Die Ermöglichung und systematische Vertuschung von sexuellem Missbrauch hat der Kirche schweren Schaden zugefügt. Sie wollen die Aufarbeitung nun weiter vorantreiben.

Bischof Wilmer: Das Bistum Hildesheim hat die dritte Studie zu diesem Themenkomplex ausgeschrieben. Neu ist, dass nun erstmals Betroffene an der Ausschreibung beteiligt wurden. Es wird einen multiprofessionellen Ansatz geben, und wir werden mit dieser neuen Studie den kritischen Blick bis in die Gegenwart richten. Wir werden alles anschauen und Tiefenbohrungen durchführen lassen.

Bischof Heiner Wilmer mit den Rundblick-Redakteuren Anne Beelte-Altwig und Niklas Kleinwächter | Foto: Volker Bauerfeld

Rundblick: Im vergangenen Herbst fand in Hannover die „Dennoch-Konferenz“ der katholischen Kirche statt. Das klingt ein bisschen so, als wolle man allen Widrigkeiten zum Trotz einen positiven Spirit verbreiten.

Bischof Wilmer: Sprachlich haben wir uns bewusst für das „dennoch“ entschieden und nicht für das „trotzdem“. Die Kirche ist in der Krise, und dennoch sehen wir eine Chance, sind kreativ und hoffnungsfroh. Das drückt das neue Klima, den neuen Ton aus, den wir mit vielen hochkreativen Menschen aus aller Welt angeschlagen haben. Es ist eine Melodie, die wir so nicht kannten und die zukunftsverheißend ist. Es geht um Menschen, die auf der Suche sind nach Gott, nach Gebet, nach großer Tiefe; und die merken, dass sie das nicht allein tun wollen, sondern spüren, dass es größer und schöner wird, wenn man sich mit anderen zusammentut. Das sind Menschen, die einen Sinn haben für Schönheit und eine Kirche, die nach draußen geht: Wir verlassen die Sakristei als Binnenraum der Kirche und gehen im Namen Gottes auf die Straße zu den Menschen, für die Menschen!

Dieser Artikel erschien am 23.4.2024 in Ausgabe #075.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig

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