2030 soll es losgehen mit der Rückholung der 1301 schwach und mittelradioaktiven Fässer aus dem Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel. Doch bis dahin ist noch viel zu tun. Bei einem Besuch unter Tage machte sich Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies gestern ein Bild von den Arbeiten und ließ sich erklären, wie sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) als Betreiberin die Rückholung und anschließende Stilllegung des ehemaligen Kali- und Salzbergwerks vorstellt.

Thomas Lantsch, Technischer Geschäftsführer der BGE, machte deutlich, dass in den kommenden Jahren viel geschehen müsse, um den Termin der Rückholung einhalten zu können. Hinauszögern könne man die Rückholung nicht, denn der Berg drücke auf die Kammern. Dadurch bestehe nicht nur Einsturzgefahr, es entstünden auch Risse in Wänden und Decken, durch die Wasser in die Kammern läuft. Das wiederum lasse die Fässer rosten und im schlimmsten Fall könne mit Strahlung kontaminierte Lauge ins Grund- oder Oberflächenwasser gelangen. Deshalb fordern Bürgerinitiativen und die Grünen, die Fässer noch vor 2030 zurückzuholen.

Doch die Schilderungen von Lantsch legen nahe, dass das schwer zu machen ist. So müsse etwa ein neuer Schacht gebaut werden, um die Fässer zurück an die Oberfläche zu transportieren, denn die noch bestehenden Schächte zwei und vier seien dafür nicht geeignet. Außerdem müsse eine komplexe Infrastruktur als fernsteuerbaren Robotern entwickelt werden, um die Fässer zu bergen. „Jedem hier, sowohl in der Geschäftsführung als auch bei den Mitarbeitern ist klar, dass niemand in die Kammern mit dem Atommüll geht, wenn die erst einmal geöffnet sind“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Holger Domke.

In der Entwicklung der dafür benötigten Technik sieht Lies allerdings einen Vorteil für die Wirtschaft der Region um die Asse. „Es wird sowohl Elektrotechnik, Robotik und Hydraulik wie auch Maschinenbau benötigt, um diese Infrastruktur zu schaffen. Das verschafft den Firmen in der Region Aufträge.“ Bis Ende 2019 will Lies einen detaillierten Plan vorgelegt bekommen, wie die BGE den Schachtbau, die Bergung der Fässer und den weiteren Umgang mit dem Atommüll angehen will, welche Alternativen es im Falle von Rückschlägen gibt und welche Zeitpläne realistisch sind.

Experten fürchten, dass Radioaktivität frei wird

Aber wie sieht es derzeit unter Tage aus? Ein ehemaliger Blindschacht, eine Verbindung zwischen zwei Ebenen, verdeutlicht die Kräfte, die auf das Bergwerk wirken. Wo früher noch ein Fahrstuhl durchgepasst hat, ragen nur noch die Stahlseile aus dem Gestein. Der Berg hat den Schacht zugeschoben. Diese Kräfte werden auch auf der 750-Meter-Sohle, dem ältesten Bereich des Bergwerks, deutlich. Sichtbare Risse durchziehen hier Wände und Decken der Stollen, Netze verhindern, dass Gesteinsbrocken herunterfallen. Doch das Wasser können sie nicht aufhalten.

In etwa 600 Metern Tiefe steht ein großes Becken, dort hinein läuft Wasser aus einer früheren Salzkammer. Insgesamt 12,5 Kubikmeter Wasser fließen täglich durch das Bergwerk. Der Druck des Gesteins hat zwar in den vergangenen Jahren abgenommen, doch noch immer verändern sich dadurch die Wasserwege. Auch vor den Kammern, in denen in den sechziger und siebziger Jahren die Atommüllfässer eingelagert wurden, macht das Wasser nicht Halt. Sowohl Aktivisten wie auch die BGE befürchten, dass dadurch schon Fässer rosten und Radioaktivität frei wird.

Die BGE plant nun, durch einen neuen Schacht auf der Ostseite des Bergwerks auf die Bodenebene der Kammern mit den Fässern zu kommen. „Im Westen können wir den Schacht nicht bauen, dort befindet sich das abgesoffene Bergwerk Asse I“, sagt Lantsch. Auch der Norden und der Süden sind durch die Tektonik nicht als Standort denkbar. Deshalb hat man in einer Entfernung von knapp 150 Metern vom Ostteil des Geländes Probebohrungen gemacht. „Bisher haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen einen Schacht dort sprechen“, betont Lantsch. Und die Hoffnung ist groß, dass das so bleibt. „Wenn wir 2030 mit der Rückholung beginnen wollen, muss der neue Schacht in den kommenden ein bis zwei Jahren in die Genehmigungsphase kommen und spätestens in sechs Jahren müssen die Bauarbeiten beginnen.“

Lies: Arbeiten für die Rückholung machen Fortschritte

Stehen der Stollen und die nötige Infrastruktur, soll mit der Öffnung der Kammern begonnen werden. „Bevor wir aber die letzten Meter Gestein durchschlagen, soll gemessen werden, inwieweit die Salze in der Kammer radioaktiv belastet sind“, sagt Lantsch. Über jedes Körnchen wolle man Bescheid wissen, bevor die Kammer geöffnet werde. Ist es dann so weit, bestehe das vorrangige Ziel darin, erst einmal die Wände und Decken abzustützen, damit nichts einstürzen könne. Und dann sollten ferngesteuerte Roboter die Fässer aufladen und abtransportieren. „Da wir nicht genau wissen, in welchem Zustand die Fässer sind – schließlich wurden sie damals teilweise auch einfach von oben in die Kammern fallen gelassen – brauchen wir ein robustes, aber auch flexibles System zur Bergung“, erläutert Lantsch.

Lies betonte seinen Eindruck, die Arbeiten für die Rückholung machten Fortschritte. „Aber jedem muss klar sein, dass das ein Projekt ist, das mehr als ein paar Jahre dauert.“ Auch er wolle, dass der Atommüll so schnell wie möglich aus der Asse verschwinde und dieser historische Fehler der versuchten Endlagerung korrigiert werde. „Aber mir geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.“ Man müsse deshalb bemüht sein, die gesteckten Zeit-Ziele einzuhalten und die Bürger mit größtmöglicher Transparenz über die Fortschritte zu informieren.

Aus Sicht der Bürgerinitiative „Aufpassen“ jedoch könnte der bürokratische Prozess trotzdem schneller gehen. „Wir warten nun schon lange auf den Beginn der Bauarbeiten für den Schacht fünf. Aber bisher gab und gibt es immer nur Konzepte“, sagt Heike Wiegel, Vorstandmitglied des Vereins. Darüber hinaus blieben Politik und Betreibergesellschaft immer noch Antworten auf die Fragen schuldig, was mit dem Atommüll passiere, wenn er erst einmal zurück an die Erdoberfläche geholt wurde.

Von Isabel Christian