Kampf um die Meyer-Werft führt nun auch zu politischen Verwerfungen in Hannover
Was gerade im emsländischen Papenburg läuft, dem Standort der weltbekannten Meyer-Werft, ist mit dem Begriff „Wirtschaftskrimi“ nur unzureichend beschrieben. Längst haben die Akteure auch die Landespolitik in Mitleidenschaft gezogen – und das ist in einem Landtagswahljahr wie diesem besonders prekär. Die traditionsreiche, 1795 gegründete Werft zählt rund 3500 Mitarbeiter, baut Luxus-Kreuzfahrtschiffe und kennt seit vielen Jahren eigentlich nur eine Entwicklung: aufwärts. Doch die Corona-Krise hat dem Kreuzfahrt-Tourismus einen Dämpfer verpasst, möglicherweise sogar einen dauerhaften. Schon 2020 plante die Geschäftsleitung einen Stellenabbau, der im ersten Corona-Jahr erst drastisch formuliert wurde, nach massiven Einwänden von Betriebsrat und IG Metall dann aber erheblich abgemildert wurde. Nur: Der Betriebsrat, der die Vereinbarung bei einem entscheidenden Treffen im Juli 2021 mitgetragen hatte, blockiert seither den Vollzug. Die Stimmung in der Werft ist bitter. Das bleibt politisch nicht folgenlos.
Fertigungsvolumen sinkt auf 4 Millionen Stunden
Die eine Seite repräsentiert Bernard Meyer, Senior-Chef des Unternehmens, ein Patriarch. Der 73-Jährige steht für den großen Erfolg des Unternehmens. Ihm gegenüber agiert Nico Bloem (27), der junge Chef des Betriebsrates mit politischen Ambitionen – gern möchte er im bisherigen Wahlkreis von Johanne Modder neuer SPD-Landtagsabgeordneter werden. Ihm zur Seite steht Thomas Gelder, der zuständige IG-Metall-Bevollmächtigte. Als beide Seiten sich einer Einigung sehr nah fühlten, im Juli 2021, war die Politik längst auch beteiligt. Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung hatten mehrere Treffen mit Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) geführt, dann wurde auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eingeschaltet, auf dessen Rat kam ein Vermittler zum Zuge, der frühere Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD), selbst seit 1963 IG-Metall-Mitglied.
Unter Schneiders Ägide kam ein Kompromiss zustande: Nicht 1800 Stellen, wie erst vorgesehen, sondern 450 sollen wegfallen, das ganze wird über 2021 und 2022 gestreckt, jeder Betroffene bekommt ein Freiwilligenangebot, er soll in eine Transfergesellschaft wechseln und dort sechs Monate lang 80 Prozent des Bruttolohns weiter bekommen. Ein guter Kompromiss, hieß es im Sommer – zumal die Bedingungen nach wie vor düster sind. Weil weniger neue Kreuzfahrtriesen bestellt werden, verringert sich das jährliche Fertigungsvolumen von 7 Millionen auf 4 Millionen Stunden, also um 40 Prozent. Und keiner weiß, ob sich die Branche je wieder richtig erholen wird. „Unsere Kunden kaufen Schiffe, die in den Häfen liegen und nur Kosten verursachen“, erklärt Senior-Chef Bernard Meyer im Rundblick-Gespräch.
Betriebsrat und Werft streiten um Freiwilligenprogramm
Aber trotzdem scheiterte die Umsetzung der Abmachung. Der Betriebsrat signalisierte einige Tage nach der Einigung, mit dieser Vereinbarung, die Punkt für Punkt besprochen und abgestimmt worden war, doch nicht leben zu können. Der Vorwurf kam, Meyer wolle doch nur die Stammbelegschaft schwächen und dann mit deren regulären Arbeiten auf günstigere Leiharbeiter ausweichen – eine Unterstellung, die Meyer vehement zurückweist. Der Konflikt kochte hoch, nebenbei verloren die politischen Spitzen Weil und Althusmann in der Sache an Autorität. Welches Gewicht haben sie noch, wenn sie einen solchen Kompromiss anbahnen und ihn am Ende dann nicht durchsetzen können?
Betriebsratschef Bloem sagt, konfrontiert mit dem Vorwurf, die eigene Vereinbarung gebrochen zu haben: „Ja, stimmt. Den Interessenausgleich habe ich unterschrieben. Aber da steht auch drin, dass Kündigungen in der Fertigung nur möglich sind, wenn der Betriebsrat zustimmt.“ Bernard Meyer meint: „Es geht um das Freiwilligenprogramm. Dazu hatte sich der Betriebsrat schriftlich bekannt – und dann alles unterlassen, es in der Praxis zu unterstützen.“ Bloem tritt nun auch mit dem Argument auf, derzeit gebe es auf der Werft doch mehr als genug Arbeit: „Sie müssen sich nur mal die Anträge auf Wochenendarbeit anschauen, die sich bei mir stapeln“, sagt Bloem. Nur: Gegenwärtig baut die Werft noch an den alten Aufträgen, das Auftragsbuch für die nächsten Jahre aber ist längst nicht so gefüllt wie früher. „Wir müssen doch sehen, dass wir auf Dauer zurecht kommen“, entgegnet Bernard Meyer.
Vermittlungsversuch im November scheiterte ebenfalls
Im November gab es nach Rundblick-Informationen einen neuen Vermittlungsversuch, auch Schneider soll wieder dabei gewesen sein. Statt von 450 Stellen peilte die Werftleitung jetzt noch weniger an, von zunächst 250 war die Rede. Wenn 100 in das Freiwilligenprogramm einwilligen, wie geschehen, könne man die betriebsbedingten Kündigungen auf 150 begrenzen. Der Betriebsrat sollte sich im Gegenzug einverstanden erklären, dass die Sonntagsarbeit ausnahmsweise fortgesetzt werden kann. Dieses November-Gespräch endete hoffnungsfroh, man vertagte sich um wenige Tage zur dann fälligen Festlegung der Details. Aber wieder kam am nächsten Morgen das Nein von der Arbeitnehmerseite. Will Bloem gar keine Einigung? „Aber doch, klar. Wir haben auch einiges angeboten – Zuschläge für die Mehrarbeit weiterhin erst ab der 40. und nicht der 35. Stunde zu leisten, beispielsweise“, verteidigt sich der Betriebsratschef. Von der anderen Seite heißt es, die Gewerkschaft sei eben nicht entgegenkommend, sondern baue immer neue Hürden auf. Ein für eine Verständigung notwendiges vertrauensvolles Einvernehmen fehle. Dass auch dieser November-Termin so enttäuschend verlief, alarmierte auch die Politik in Hannover.
Politik mischt sich ein und sorgt für Ärger
So kam es zwischen Weihnachten und Neujahr zu Aktivitäten von SPD-Landtagsfraktionschefin Johanne Modder, deren Wahlkreis nebenan liegt, und Umweltminister Olaf Lies (SPD), dem die Lösung des Konflikts „ein großes Anliegen“ sei, wie es heißt. Daraufhin, heißt es, soll Bernard Meyer verstimmt reagiert und eine weitere Einigung abgelehnt haben – denn vermittelnd sei vor allem Lies nicht aufgetreten. Seine auffällige Nähe zur Gewerkschaft und das Auftreten des Betriebsrates, das in der Geschäftsführung wie eine Kampagne empfunden wird, irritiert die Geschäftsführung. In der Chefetage der Werft sieht man sich von Scharfmachern umgeben. Die Stimmung heizte sich weiter auf. Es gibt Berichte über fragwürdige Vorschläge aus dem Gewerkschaftslager, die auch Lies gestützt haben soll – etwa die Nicht-Übernahme von Lehrlingen. Das ist ein Schritt, den eingefleischte Arbeitnehmervertreter als „Todsünde“ bezeichnen – denn es wäre eine Verständigung zu Lasten des Nachwuchses.
Parallel haben sowohl der Betriebsrat als auch Landespolitiker, so die Grünen-Abgeordnete Meta Janssen-Kucz, in anderer Hinsicht Öl ins Feuer gegossen: Die mindestens 12 Millionen Euro schwere Corona-Härtefallhilfe aus Bundes- und Landesmitteln, die Meyer beantragt hat, solle nicht fließen, sofern Meyer tatsächlich die im Juli vereinbarten Kündigungen von Stellen der Stammbelegschaft vornimmt. Bloem betont das gegenüber dem Politikjournal Rundblick noch einmal: „Das muss die Bedingung sein.“ Olaf Lies sagt dazu: „Ich habe schon sehr früh sehr deutlich gesagt, dass wir nicht erklären könnten, dass auf der einen Seite Kolleginnen und Kollegen betriebsbedingt gekündigt werden und auf der anderen Seite die Arbeit über Werkverträge übernommen wird. Das kann ich nicht akzeptieren. Dann hätte ich auch große Probleme, eine finanzielle Unterstützung erklären zu müssen.“ Zuständig für die Gewährung des Zuschusses ist aber Wirtschaftsminister Althusmann – und bei der N-Bank liegt der Fall noch zur Prüfung. Althusmann müsste das „landespolitische Interesse“ an der Förderung feststellen, und will dies vermutlich wohl auch tun. Immerhin hatte Meyer wegen der Corona-bedingten verspäteten Auslieferung eines Kreuzfahrtschiffes erhebliche Verluste hinzunehmen, die ein Mehrfaches von 12 Millionen Euro ausmachen. Das Ja-Wort des Kabinetts und von seinem Kollegen Lies bräuchte Althusmann für die Entscheidung nicht.
Werft-Streit erreicht nun auch die Landesregierung
Aus Althusmanns Umfeld hört man, Lies‘ Auftreten im Fall Meyer, vor allem sein Agieren zwischen den Feiertagen, werde als „unangenehm und unkollegial“ empfunden. In IG-Metall-Kreisen vor Ort hingegen erlebt man den sozialdemokratischen Minister als derzeit engsten Verbündeten der mächtigen mitgliederstarken Gewerkschaft. Dabei wäre Lies auch in anderer Hinsicht gefordert, denn in einem „Standortsicherungsvertrag“ von 2015, den Lies damals noch als Wirtschaftsminister unterschrieben hat, heißt es: „Das Land unterstützt und begleitet aktiv alle Entwicklungen, die den Standort in Papenburg in jedweder Weise stärken.“ Noch immer aber ist es nicht gelungen, einige Strommasten an der Ems zu erhöhen, damit die Schornsteine der Kreuzfahrtriesen für die Überführung Richtung Nordsee nicht ständig abmontiert werden müssen. Auch die Gebühren für das Anstauen der Ems, die Meyer zahlen muss, sind enorm – seit Jahren wird, bisher ohne Ergebnis, über deren Absenkung gesprochen. Zuständig für diese Fragen wäre in erster Linie wohl der niedersächsische Umweltminister. Und der heißt Olaf Lies.
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