Pro & Contra: Ist Ursula von der Leyen die richtige Wahl?
Die aus Beinhorn bei Hannover stammende Ursula von der Leyen, bisher Verteidigungsministerin, soll neue Präsidentin der EU-Kommission werden – und Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker. Das haben die EU-Regierungschefs einmütig vorgeschlagen. Vor allem in Deutschland hat dieser Plan heftigen politischen Streit ausgelöst. Die Rundblick-Redaktion beleuchtet das Thema in einem Pro und Contra.
PRO: Die CDU-Politikerin mag in ihrem gegenwärtigen Amt als Bundesverteidigungsministerin ihre Schwächen zeigen – aber das ändert nichts an ihrer guten politischen Eignung und langen Erfahrung. Sie verdient jetzt eine geschlossene Unterstützung aus Deutschland, die teilweise ätzenden Vorwürfe ihrer Kritiker sind peinlich für die Bundesrepublik, meint Klaus Wallbaum.
Als Willy Brandt 1976 zum Präsidenten der Sozialistischen Internationale gewählt wurde, fielen die politischen Gegner – in der damals oppositionellen CDU/CSU – nicht über ihn her. Er konnte sich, allen heftigen tagespolitischen Konflikten zum Trotz, ihres Respekts sicher sein. Als Manfred Wörner 1988 neuer Nato-Generalsekretär wurde, war ihm die Anerkennung der damals oppositionellen SPD gewiss. Seine Qualifikation wurde nicht angezweifelt, man wünschte ihm parteiübergreifend viel Glück.
2005, als das Konklave den deutschen Kardinal Joseph Ratzinger zum neuen Papst bestimmte, kamen Gratulationen aus allen Lagern. Die Kritik daran, dass der neue Oberhirte der Katholiken vorher zum erzkonservativen Flügel der deutschen Kardinäle gehört hatte, war nicht mehr zu vernehmen. Und das alles aus gutem Grund: In dem Augenblick, in dem ein Deutscher die Chance erhält, einen verantwortungsvollen internationalen Posten auszufüllen, sollte das kleinliche politische Gezeter in den Hintergrund treten, er sollte auf ein gewisses Maß an nationaler Solidarität der demokratischen politischen Kräfte vertrauen können.
Niemand kann ihr ernsthaft eine hervorragende Eignung für das europäische Spitzenamt in Brüssel absprechen. Das wissen auch die Sozialdemokraten.
Dies ist jetzt offensichtlich nicht der Fall. Nun mag man über die aktuelle politische Gestaltungskraft der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen trefflich streiten. Die Liste der Vorwürfe, dass es in ihrem Ressort unter anderem bei Beraterverträgen, bei der Ausrüstung und in vielen alltäglichen Managementfragen zu Versäumnissen und Fehlern gekommen sei, ist recht lang.
Die CDU-Politikern ist in einer dauerhaften Schwächephase, aber niemand hat ihr bisher derart gravierende Pannen persönlich angelastet, dass sie ernsthaft in Schwierigkeiten gekommen wäre. Wahr ist auf der anderen Seite auch: Von der Leyen ist seit 16 Jahren in hohen politischen Ämtern, sie hat einiges zur Modernisierung ihrer CDU und der Bundespolitik beigetragen, man denke nur an die Frauenförderung. In verschiedenen Funktionen schärfte sich ihr Profil. Wirklich populär war sie in all den Jahren nie, aber respektiert sehr wohl. Niemand kann ihr ernsthaft eine hervorragende Eignung für das europäische Spitzenamt in Brüssel absprechen. Das wissen auch die Sozialdemokraten.
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Aber genau das geschieht jetzt, und die Debatte hat bereits peinliche Züge angenommen. Musste der frühere SPD-Chef Martin Schulz just am Tag der Entscheidung die Christdemokratin als „schwächste Ministerin“ angreifen, und später dann noch nachtreten? Wohlgemerkt: Schulz ist nicht mal in der Opposition, sondern er gehört im Gegenteil sogar zu den Koalitionspartnern in der gemeinsamen Bundesregierung. In der gibt es, weiß Gott, schwächere Minister als die für Verteidigung – übrigens auf der linken wie auf der rechten Seite.
Was müssen die Europäer von der nationalen Solidarität in der Regierung des größten Mitgliedslandes halten, wenn führende Politiker in solchen Momenten übereinander herfallen? Dass die Deutschen aus Neid einander nichts mehr gönnen? Ob Schulz, die kommissarische SPD-Spitze, die Grünen-Politikerin Ska Keller oder auch CSU-Chef Markus Söder: Sie alle schimpften auf eine angebliche „Hinterzimmerpolitik“, die „die Demokratie ersetzt“ habe. Das ist absoluter Unsinn und populistisches Gewäsch, und wer sich so äußert, liefert den Radikalen von Rechtsaußen Munition für ihre Kampagnen. Aufgabe der Politiker sollte es vielmehr sein, den Menschen das komplizierte politische System der EU zu erklären, statt auf Verdummung zu setzen. Es handelt sich eben nicht um eine reine parlamentarische Demokratie, in der das Parlament den Kommissionspräsidenten als Regierungschef auswählt und bestimmt. Vielmehr ist es Sache der Regierungschefs der Mitgliedsländer, einen Kandidaten vorzuschlagen, den das Parlament dann bestätigen muss.
Und weil vor allem aus Frankreich massiver Widerstand gegen das Modell der Spitzenkandidaten als Bewerber für die Kommissionsführung kam, verständigte man sich in zähen Sitzungen auf eine Ausweichkandidatin – also von der Leyen. Dieser Vorschlag war so überzeugend, dass 27 von 28 EU-Regierungschefs zustimmten. Nur die deutsche Kanzlerin musste sich enthalten, da die SPD ihr das Okay dafür verweigerte. Das wirkt kleinlich. Und musste nun ausgerechnet noch Ministerpräsident Stephan Weil in Hannover seinen Senf dazugeben, indem er – getragen von einer gefühlten Protestwelle gegen von der Leyen – von einem „schweren politischen Fehler“ sprach? Auch das ist kleinlich.
Sicher mag man bedauern, dass keiner der Spitzenkandidaten der EU-Wahl zum Zuge kam, aber dies angesichts der komplizierten Entscheidungswege in der EU als „schweren politischen Fehler“ zu brandmarken, ist wahrlich übertrieben. Weil hätte besser geschwiegen. Denn klar ist auch: Hätten Sozialdemokraten und Liberale im EU-Parlament den Bewerber der stärksten Fraktion, Manfred Weber, einmütig als Kandidaten unterstützt, dann hätten sich die EU-Regierungschefs darüber vermutlich schlecht hinwegsetzen können. Aber das Parlament war ja selber uneinig und hatte sich damit schon geschwächt.
Übrigens hätten manche von denen, die jetzt im Brustton der Überzeugung nach einem rein parlamentarischen Modell für die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten rufen, wohl lauthals gejubelt, wenn an die Stelle von Weber der Sozialdemokrat Frans Timmermans nominiert worden wäre. Dabei wäre dessen Kür demokratietheoretisch tatsächlich problematisch gewesen – denn Timmermans war Spitzenkandidat nur der zweitstärksten Fraktion im EU-Parlament, damit ein Wahlverlierer. Die EVP als stärkste Fraktion hat den Anspruch auf den Regierungschef, nicht der Bewerber der zweitstärksten Fraktion. Von der Leyen zählt übrigens zur EVP.
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CONTRA: Die CDU hat die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Wenn eine Europa-Personalie den Eindruck erweckt, dass die Rochade auch Motive einer innenpolitischen Entlastung in sich tragen könnte, ist sie ein Fehler, meint Martin Brüning
Die gute Nachricht zuerst. Für die Bundeswehr ist die mögliche Beförderung Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin eine Erleichterung. Dabei geht es nicht allein um die offensichtlichen Missstände in der Truppe, für die nach sechsjähriger Amtszeit niemand anderes als die Ministerin selbst die Verantwortung zu tragen hat.
Die Mängelliste ist lang: das Kostendesaster bei der Gorch Fock, die peinlichen Ausfälle bei der Flugbereitschaft, fehlende Ersatzteile für Waffensysteme. Der Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels zählte in seinem Bericht im Januar zudem noch nicht einsatzbereite Tanker und U-Boote, kaum einsetzbare Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 und Eurofighter und Tornados auf, von denen weniger als die Hälfte derzeit flugfähig sei. Von der Leyen hinterlässt eine frustrierte Trümmertruppe, die den Abschied der Ministerin mit einem Aufatmen quittieren dürfte.
Zu den massiven Ausrüstungsmängeln kommt auch noch die Freunderlwirtschaft im Verteidigungsministerium. Zuletzt stand von der Leyen im Untersuchungsausschuss mit dem Rücken zur Wand. Dort kam ans Licht, dass sich ein Berater der Firma Accenture, der mit Vertretern des Ministeriums privat Freundschaften pflegte, im Haus wie ein Chef aufführte. Das sorgt einmal mehr nicht nur für ungläubiges Staunen, sondern auch für Unmut in der Bundeswehr, weil es schwer erklärbar ist, in der Truppe auf die Einhaltung der Regeln zu drängen und im Ministerium den Vorwurf der Vetternwirtschaft nicht abschütteln zu können.
Trotz aller politischen Kompromiss-Notwendigkeiten war es keine gute Idee, ausgerechnet die unter Dauerdruck stehende Ministerin als Lösungsmöglichkeit anzubieten.
Diese Ministerin hat in den vergangenen Jahren kein glanzvolles Bild abgegeben. Und so ist es wenig überraschend, dass einer Umfrage zufolge nur etwas mehr als ein Drittel der Deutschen gut fände, wenn von der Leyen das Amt der EU-Kommissionspräsidentin übernähme. 46 Prozent halten sie nicht für geeignet. Der Brüssel-Aufstieg der Ministerin ist Max Mustermann, dem deutschen Durchschnittswähler, nicht nur nicht erklärbar, weil dieser in seinem Alltag für schlechte Arbeit in der Regel nicht befördert, sondern abgestraft wird.
Es ist auch erneut ein fatales politisches Signal und ein klarer Hinweis darauf, dass die CDU die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt hat. Die Grünen auf der einen und die AfD auf der anderen Seite dürften sich schon die Hände reiben, weil die Partei von Angela Merkel ihre Quittung für das Gemauschel noch bekommen dürfte.
Trotz aller politischen Kompromiss-Notwendigkeiten war es keine gute Idee, ausgerechnet die unter Dauerdruck stehende Ministerin als deutsche Kandidatin und Lösungsmöglichkeit anzubieten. Was für ein Symbol soll das sein? Es geht nicht allein um den Eindruck, dass die Politik wieder etwas hingemauschelt hat, sondern auch um die Qualität des Personalvorschlags. Wer lange genug schlechte Arbeit leistet, wird am Ende dafür belohnt.
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An dieser Stelle geht es allerdings nicht um die Frage, ob es falsch war, eine Kandidatin für das Präsidentenamt vorzuschlagen, die nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten war. Das europäische System ist komplex, es muss ein Ausgleich zwischen Ländern und EU-Parlament gefunden werden. Die sogenannte Hinterzimmerpolitik ist nichts anderes als der Versuch, einen Ausgleich dieser komplizierten Interessenlage zu finden, und sie ist auch nicht undemokratisch, weil auch die Staats- und Regierungschefs demokratisch gewählt wurden.
Dennoch stellt der Vorgang natürlich die Entscheidung für europäische Spitzenkandidaten in Frage, weil der Personalpoker für die Wähler nur schwer verständlich ist. Und gerade weil es um eine heikle Personalie geht, sollte die Kompromiss-Kandidatin genügend Reputation besitzen, auch Zweifler zu besänftigen. Wenn aber die Personalie den Eindruck erweckt, dass die Rochade auch Motive einer innenpolitischen Entlastung in sich tragen könnte, ist sie ein politischer Fehler.
Die SPD dürfte davon allerdings ein weiteres Mal nicht profitieren, weil auch ihre Empörung etwas Unehrliches hat, zu sehr spricht aus ihr die Enttäuschung, dass Frans Timmermans nicht nominiert wurde. Dabei hatte sich die Kanzlerin zunächst durchaus noch für Timmermans engagiert, sich aber nicht durchsetzen können. Auch die europäischen Sozialdemokraten haben sich schlicht und einfach verzockt. Wie sehr die Partei außer Rand und Band ist, machen die Reaktionen von Kevin Kühnert und Sigmar Gabriel deutlich. Der Juso-Vorsitzende mokierte sich auf Twitter über die Kritik von Markus Söder aus Bayern, dieser wolle diejenigen, die von der Leyen nicht unterstützen, eigentlich „vaterlandslose Gesellen“ rufen.
https://twitter.com/KuehniKev/status/1146663487667675141
Und von Gabriel kam die inzwischen ermüdende Forderung, die SPD möge nun die Große Koalition verlassen. Inzwischen möchte man rufen: Ja, dann geht doch endlich. Auf dem politischen Punktekonto wird sich das jedenfalls nicht positiv auswirken. So könnte nicht nur die CDU als Verlierer vom Platz gehen.