Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hat am Montag die aktuellen Zahlen zur Kriminalität des vergangenen Jahres vorgestellt. Dabei betonte sie, dass die Statistik vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie differenziert zu betrachten sei. Zur Erinnerung: Noch bis Ende März 2022 galten in Niedersachsen zahlreiche Beschränkungen zum Schutz vor einer rasanten Ausbreitung des Corona-Virus, doch ab April nahm das gesellschaftliche Leben wieder an Fahrt auf. Das spiegele sich auch in der Kriminalstatistik wider, meinte Behrens. Die Gesamtkriminalität habe demnach wieder zugenommen.

Mit insgesamt rund 524.000 Fällen überragte dieser Wert sogar den sinnvollerweise zu betrachtenden Referenzwert von 2019, also dem letzten normalen Jahr vor der Pandemie. Damals hat die Statistik gerundet 507.000 Kriminalfälle für Niedersachsen ausgewiesen. Ministerin Behrens und Landespolizeipräsident Axel Brockmann sprachen von zahlreichen „Nachholeffekten“. In einer Langzeitbetrachtung wird deutlich, dass die Fallzahlen im vergangenen Jahr nicht ungewöhnlich hoch lagen. Mitte der 2000er-Jahre beispielsweise wurde die 600.000-Marke überschritten, die Höchstwerte der jüngeren Vergangenheit lagen 2015 und 2016 bei über 550.000 Fällen. Mit 6528 Fällen je 100.000 Einwohner liege man unter dem Zehnjahresschnitt von 6644 Fällen.

Der Corona-Effekt wird insbesondere beim Vergleich der Fallzahlen von 2022 mit 2019 auf der einen und von 2022 mit 2021 auf der anderen Seite verdeutlicht. Im Vergleich zu 2019 ist beispielsweise die Zahl der Rohheitsdelikte 2022 nur um rund 12 Prozent angestiegen, im Vergleich zum Corona-Vorjahr allerdings um mehr als 20 Prozent. Beim Diebstahl ist der Effekt noch deutlicher zu erkennen. Zwischen 2019 und 2022 ist hier die Fallzahl sogar ganz gering rückläufig, während der Vergleich zur Corona-Zeit einen Anstieg um fast ein Viertel aufzeigt. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Wenn wieder mehr Menschen in Kneipen oder auf Volksfeste gehen, erhöht sich die Gefahr für körperliche Auseinandersetzungen oder Diebstahl. Wenn die Menschen dann auch wieder häufiger das eigene Zuhause verlassen, zur Arbeit gehen oder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, schafft das Gelegenheiten für Wohnungseinbrüche, die es während der Corona-Phase kaum noch gegeben hatte.
Insgesamt 6510 Einbrüche hat die Polizei 2022 registriert, im Jahr davor waren es nur 5175, was ein Allzeittief war. Allerdings, betont Landespolizeipräsident Brockmann mit Blick auf die Arbeit seiner Kollegen, sei die Zahl der versuchten Einbrüche auf 47 Prozent gestiegen. Seit 2012 habe man diese Verhinderungsquote um 11 Prozent steigern können – ganz wesentlich über eine gute polizeiliche Präventionsarbeit.

Fallzahlen und Aufklärungsquote von 2013 bis 2022. | Quelle: MI
Steigende Fallzahlen bei Kinderpornographie: Der Blick in die Kriminalstatistik erweckt den Eindruck, der Missbrauch von Kindern nehme von Jahr zu Jahr zu. Richtig ist aber, dass die Ermittlungen in Fällen von Kinder- und Jugendpornographie auch im vergangenen Jahr noch einmal stark angestiegen sind, weil Behörden aus den USA ihren deutschen Kollegen wichtige Informationen liefern konnten. Über 4100 Fälle führt die Statistik für 2022 auf; zudem werden mehr als 1800 Missbrauchsfälle aufgeführt.
Mehr minderjährige Tatverdächtige: Wenn Kinder andere Kinder verletzen, schockiert das die Bevölkerung in ganz besonderer Weise. Jüngst ist eine Häufung derartiger Vorfälle zumindest medial festzustellen. Brockmann warnte davor, voreilig zu verallgemeinern, sagte aber auch, dass die Entwicklung genau beobachtet werde. Für Niedersachsen weist die Kriminalstatistik im Jahr 2022 rund 65.000 Fälle mit jugendlichen Tatverdächtigen aus, was allerdings nur im Vergleich zu den Corona-Vorjahren einen Anstieg ausmacht, aber knapp unterhalb des Niveaus von 2019 liegt. Meist geht es dabei um Körperverletzung, Raub und Diebstahl – begangen von Kindern unter 14 Jahren.

Mit guten Kontakten gegen häusliche Gewalt: Wenn die Gefahr für Leib und Leben in den eigenen vier Wänden lauert, ist es ausgesprochen schwierig, in Sicherheit zu kommen. Niedersachsens Polizeipräsident lobt deshalb das gute Netzwerk bestehend aus Polizei, Staatsanwaltschaft, Opferberatung und Jugendamt, das es den Betroffenen erleichtern soll, sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien. Fast 27.000 Fälle listet die Statistik, in fast zwei Dritteln der Fälle handelt es sich um Körperverletzungen.
Immer mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte: Nicht nur in der Silvesternacht sehen sich Polizei und Rettungskräfte zunehmend selbst Gefahren ausgesetzt. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl auf 4277, wobei fast 9800 Polizeibeamte zu den Opfern zählten. Bei den Feuerwehr- und Rettungskräften stieg die Zahl von 241 auf 283 Fälle bei 428 Opfern.

Mit Farbe gegen Automatensprenger: Nach Nordrhein-Westfalen steht Niedersachsen auf Platz zwei der Länder, in denen kriminelle Banden geschäftsmäßig Geldautomaten in Bankfilialen sprengen. Innenministerin Behrens setzt darauf, dass es sich nicht mehr lohnen darf, die Automaten mit Gewalt – und häufig ohne Rücksicht auf die Sicherheit unbeteiligter Dritter – zu knacken. Bei den 68 Fällen des vergangenen Jahres blieb es immerhin 28-mal beim Versuch. Diese Zahl der erfolglosen Tagen soll steigen, weshalb die Ministerin auf die Bankenwirtschaft setzt, die versprochen hat, technisch nachzurüsten. Ob die Geldscheine dabei verklebt oder verfärbt werden sollen, sei ihr egal, sagte Behrens.

AfD fordert Programm zum Schutz von Frauen: Die AfD-Politikerin Jessica Schülke erläuterte am Montag einen Entschließungsantrag ihrer Fraktion zu einem besseren Schutz von Frauen im öffentlichen Raum. Die Landesregierung solle sich bundesweit für die Verschärfung des Sexualstrafrechts einsetzen, damit Vergewaltiger nicht mehr wegen einer „günstigen Prognose“ straffrei bleiben können. Es solle mehr Frauen-Parkplätze an Bahnhöfen geben, zudem solle vorgeschrieben werden, dass sogenannte „K.O.-Tropfen“ nicht mehr geruchs- und geschmacksneutral hergestellt werden dürfen. Auf diese Weise könne die Gefahr sinken, dass Frauen mit diesen Tropfen betäubt und belästigt werden.