Darum geht es: Die Landesregierung hat den Aktionsplan Inklusion vorgestellt. Er umfasst mehr als 200 Punkte, die in den kommenden beiden Jahren aktiv angegangen werden sollen. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Inklusion betrifft immer die anderen. Bei Diskussionen um die inklusive Schule hört man oftmals die Stimmen derjenigen, die keine Kinder mit Behinderungen haben, und beim Wohnungsbau geht es häufig um die Kosten der Barrierefreiheit statt um die Folgekosten, wenn zahlreiche Wohnungen später umgerüstet werden müssen. Mehr als 1,3 Millionen Menschen in Niedersachsen leben mit einer Behinderung. Inklusion ist kein Nischen-, sondern ein Massenthema. Und es reicht weit über den Bereich der Inklusion an Schulen hinaus, der in der öffentlichen Debatte allzu oft im Mittelpunkt steht.
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Es hat sehr lange gedauert, bis die Landesregierung den Aktionsplan Inklusion gestern nun endlich auf den Tisch legen konnte. Für die Behindertenverbände war es ein teils steiniger Weg, der Vorsitzende des Sozialverbandes in Niedersachsen spricht von einem „dicken Brett“. Der langwierige Prozess macht das Beharrungsvermögen vieler genauso deutlich wie die zeitliche Dimension, die der gewünschte Bewusstseinswandel noch in Anspruch nehmen wird. Am Ende werden aber wir alle die Profiteure dieses Umdenkens sein. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Mag der barrierefreie Bahnsteig für uns heute noch keine Bedeutung haben, in zwanzig oder dreißig Jahren sieht das vielleicht schon ganz anders aus. Auch eine barrierefreie Wohnung kann uns später einmal die Selbständigkeit im Leben erhalten, auch wenn wir uns das heute vielleicht noch nicht vorstellen können.
Sicherlich schießen einige der über 200 Punkte in dem Plan über das Ziel hinaus. Ob es nun wirklich eine zusätzliche Beschwerdestelle für den öffentlichen Nahverkehr braucht, oder ob man sich am Ende bei einer Vielzahl von Aktionsprogrammen nicht eher verzettelt, ist durchaus zu hinterfragen. Dennoch wird die gesamte Gesellschaft langfristig aus diesem Programm einen Vorteil ziehen. Dabei geht es nicht allein um die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen, denen die Möglichkeit zu einer freien Entwicklung gegeben werden sollte und deren Lebensqualität durch die Umsetzung des Aktionsplans steigen wird. Behörden und Unternehmen werden auch Potenziale entdecken, die ihnen bislang verborgen geblieben sind.
Übrigens: Wenn Broschüren der Landesregierung und „justizbezogene Texte“ künftig in einfacher Sprache verfasst werden, dürften auch davon alle Menschen in Niedersachsen profitieren. Denn der Bürokratenkauderwelsch in behördlichen Texten ist für eine Vielzahl von Menschen schwer verständlich, ob mit oder ohne Behinderung. Wenn sich Behörden mehr Mühe geben verstanden zu werden, ist das für alle ein mehr als positiver Nebeneffekt des Aktionsplans. Inklusion betrifft eben doch nicht immer die anderen.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #17.