26. Apr. 2020 · 
Kolumne

Influencer statt Influenza

Liebe Niedersachsen,

in allen Zeiten gab es Menschen, die Einfluss hatten. Picasso auf die Kunst, zum Beispiel. Oder Haydn und Mozart in Zeiten der Wiener Klassik. Damals nannte sie man allerdings noch nicht Influencer, den Marketing-Begriff gibt es erst seit gut 13 Jahren.

Auch die Ministerpräsidenten wollen natürlich Einfluss haben oder sich Einfluss sichern. In diesen Zeiten lautet das Motto in den Staatskanzleien: Besser Influencer als Influenza. Und da man naturgemäß nicht jeden Abend bei Markus Lanz sitzen kann, sind die MPs natürlich auch auf Instagram unterwegs. Der Sozialwissenschaftler Bendix Hügelmann sieht sich Insta-Steigerungsraten der Ministerpräsidenten jeden Tag ein wenig genauer an – hier die aktuelle Statistik:

https://twitter.com/liquid_wording/status/1254314020812861440

Die Zahlen zeigen schon: Die Union kommt an Markus Söder als Kanzlerkandidat kaum vorbei. Schließlich hat er ungefähr so viele Instagram-Follower wie die FDP aktuell potenzielle Wähler. Während Armin Laschet sich noch so einigermaßen annehmbar schlägt und die Staatskanzlei Hessen gerade kräftig aufholt, sind die Zahlen bei Ministerpräsident Stephan Weil noch ausbaufähig. Mit diesen Zahlen wird man – noch - nicht zum Niedersachsen-Picasso der Politik.

Instagram ist für die Politik als Medium natürlich ideal. Schließlich gibt es dort nicht wie bei Facebook traurige oder Wut-Emojis. Es gibt nur Herzchen. Einschränkung der Freiheitsrechte. Herzchen. Maskenpflicht. Herzchen.

Ein Nachteil ist allerdings, dass man speziell auf Instagram immer hübsche Fotos braucht. Das wird natürlich für den Kultusminister zum Problem. Welches Foto sollte man schon für den Rahmen-Hygieneplan in die Schulen auswählen? Einen Eimer mit Putzlappen? Herzchen.

[caption id="attachment_49771" align="alignnone" width="780"] Ob das wohl das passende Foto für Insta ist? - Foto: NikolayShubin[/caption] Die aktuellen Zahlen der niedersächsischen Industrie- und Handelskammer zur Lage der Wirtschaft taugen auch nicht für Instagram. Dort will niemand Statistiken mit abstürzenden Kurven sehen. Die Situation kann nur durch ein einziges Emoji deutlich gemacht werden: das mit dem vor Angst erstarrten Gesicht – zum besseren Verständnis habe ich das Emoji mal beim Konjunkturklimaindex gleich eingebaut. Kein Herzchen. Hinzu kommt noch der Ärger in Teilen der Wirtschaft über die 800-Quadratmeter-Regelung für den Handel. Auch IHKN-Chef Horst Schrage schiebt Frust und spricht von einer "unsäglichen Diskussion" - hier der O-Ton dazu: https://www.youtube.com/watch?v=kpZgKcuhuOE Schöne Urlaubsbilder sind derweil auf Instagram gerade auch Mangelware. Kein Wunder, wenn alle in ihren Wohnzimmern sitzen. Wir haben mit dem Chef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands in Niedersachsen, Rainer Balke, gesprochen, und er sagt im Rundblick-Interview:
„Der überwiegende Teil des Gewerbes steht mit dem Rücken an der Wand und stellt sich die Frage, ob der Gang zum Insolvenzgericht nötig ist.“
Und wie geht’s mit dem Krisenmodus jetzt weiter? Die Stimmen, die vorsichtig einen möglicherweise anderen Kurs vorschlagen, werden lauter. Aus niedersächsischen Regierungskreisen ist zu hören, dass inzwischen auch Marco Trips, seines Zeichens Präsident des Städte- und Gemeindebundes, offenbar für einen Strategiewechsel wirbt. Sprich: Die Beschränkungen für Wirtschaft, Schulen und Kindergärten weitgehend aufheben und stattdessen die sogenannten Risikogruppen konsequent schützen. Wie viele Herzchen Trips dafür wohl bekommt? Sehen wir in den nächsten Tagen.

Das Zitat der Woche...

...kommt von Julia Hamburg, Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion. Sie hat sich darin mit der Politik des Ministerpräsidenten befasst. Mehr dazu lesen Sie hier.


Herz statt Herzchen zeigt derweil der Bürgermeister der Gemeinde Lehre, Andreas Busch. Er fordert den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister in einem Brief dazu auf, am Autohof Wendhausen an der A2 die LKW-Fahrer ihr Essen im Restaurant einnehmen zu lassen. Busch schreibt:
„Diese Menschen werden von so vielen als Heldinnen und Helden der Krise bezeichnet, aber wenn es um den Feierabend geht, dann gibt es diese Wertschätzung nicht.“

Das ist gut gemeint, aber wohl nicht mal eben so gemacht, denkt der Helmstedter SPD-Landtagsabgeordnete Jörn Domeier. Wo der Haken ist, lesen Sie hier.

Für alle, die gerne Selfies auf Instagram stellen und mit den Jahren und den Widrigkeiten des Alters hadern, kommt heute das beruhigende Zitat des Tages von Hans-Joachim Kulenkampff, der heute 99 Jahre alt geworden wäre:

„Mein Maskenbildner hat mir gesagt: ‚Du siehst immer gleich aus. Nur dauert es jetzt etwas länger, bis es soweit ist.‘“

Herzchen.

Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Start in die Woche

Martin Brüning

Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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