2. Juni 2022 · Wirtschaft

Industrie präsentiert bei Hannover-Messe die Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit

Die Hannover-Messe 2022 hat nach vier Tagen insgesamt 75.000 Besucher vor Ort vermelden können. | Foto: Link

Nach der Pandemie ist die Hannover-Messe so besucherschwach wie lange nicht. Nur 75.000 Menschen waren in den vergangenen vier Tagen bei der weltweit größten Industrieausstellung auf dem Messegelände vor Ort, weitere 15.000 schauten online zu. Vor Corona lag das Besucheraufkommen noch bei mehr als 200.000. Der Unmut unter den 2500 Ausstellern hält sich angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen allerdings in Grenzen. „Der Neustart der Hannover-Messe ist geglückt und genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgt“, sagt Gunter Kegel, Vorsitzender des Ausstellerbeirats. Der Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) tröstet sich damit, dass im kommenden Jahr voraussichtlich wieder mehr Gäste aus dem Ausland in die niedersächsische Landeshauptstadt strömen werden. Dafür sprechen sowohl das Partnerland Indonesien wie auch die zu erwartende Rückkehr der chinesischen Wirtschaft, die die Industrieschau in diesem Jahr wegen Reisebeschränkungen weitgehend ausgesessen hat. Zudem vermeldet Messe-Chef Jochen Köckler schon jetzt ein großes Interesse an der nächsten Hannover-Messe, die vom 17. bis 21. April 2023 stattfinden wird. „Nahezu alle Aussteller haben bereits jetzt angekündigt, im kommenden Jahr wieder dabei zu sein“, sagt Köckler.

Während das Messe-Fazit bei den Veranstaltern ein bisschen nach Zweckoptimismus klingt, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein starkes Argument für den Erfolg der Industrieschau genannt: „Mit den Technologien, die auf der Messe gezeigt werden, können wir auf jede der aktuellen Krisen eine Antwort geben“, lobte der Grünen-Politiker, dem gerade die Ausrichtung hin zu Resilienz, Nachhaltigkeit und Klimaneutralität gefallen hat. So umweltfreundlich war die Hannover-Messe noch nie. Die Besucher erfuhren, wie Automation und Digitalisierung den Energieverbrauch von Fabriken und Produktionsanlagen reduzieren. Wie sie ihre Produktion mit Strom aus Wasserstoff betreiben oder wie sie ihre Lieferketten so ausbauen, dass sie nicht mehr so leicht gestört werden können. Carlo Velten, CEO der Beratungsfirma Atlantic-Ventures, sieht vor allem einen Trend bei der Hannover-Messe bestätigt. „Wir stehen in der Industrie vor einem neuen Umbruch und der lautet: Von der Automatisierung zur autonomen Fertigung“, sagt Velten und ergänzt: „Wir haben es in der Covid-Zeit gesehen: Wir brauchen eine hochgradig autonome, flexible Fertigung, um mit den Veränderungen da draußen am Markt klar zu kommen. Und da müssen wir uns von der Digitalisierungs- und Technologieseite rüsten.“

Wie das aussehen kann, machte Branchenriese Microsoft an seinem Stand in Halle 4 deutlich. Der Tech-Riese aus den USA präsentierte zahlreiche Ideen für die Fertigungstechnik der Zukunft und dürfte zu den meistbesuchten Ausstellern dieser Messe gehören. Vor allem Cloud-Dienste, Mietmodelle und Servicemodelle liegen im digitalen Bereich im Trend, wie der Weltmarktführer klar macht. Aber auch der deutsche Branchen-Primus SAP muss sich hier nicht verstecken. Das Software-Unternehmen aus Baden-Württemberg zeigte sich in Hannover mindestens genauso innovativ wie die US-Amerikaner.



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So stellte SAP etwa eine Kooperation mit „Team Viewer“ vor, um nach den Büros nun auch den Produktionsbereich in den Unternehmen zu digitalisieren. Mit Tablets und Smart Glasses ausgestattet, die einen mobilen Videochat mit Kollegen ermöglichen, soll die Digitalisierung künftig auch im sogenannten „Shopfloor“ ankommen. Zudem setzt das Unternehmen verstärkt auf eine vernetzte Produktwelt für die Industrie, in der vom Produktdesign über die Produktion bis hin zur Lagerung und dem Transport alles mit SAP-Software betrieben werden kann. Dass das schon heute funktioniert gab es gleich auf der Messe zu sehen, wo das in Zusammenarbeit mit Anlagenbauer Kones und dem Industrieroboterhersteller Kuka beispielhaft vorgeführt wurde.

SAP zeigt bei der Hannover-Messe in Halle 4 seine Software-Lösungen für die Industrie. | Foto: Link

Neben den großen Industrie- und Technikfirmen ist die Hannover-Messe auch immer ein Treffpunkt für die kleinen und mittleren Unternehmen. Dort geht der Trend zur additiven Fertigung oder einfacher gesagt: zum 3D-Druck. Warum das gerade bei der Ersatzteilbeschaffung und Lieferengpässen sinnvoll ist, erklärte Melanie-Sofie Fitzek vom Naturkosmetikhersteller Laverana aus Hannover. „Wenn eine Anlage ausfällt, steht die Produktion still. Bei kleineren Bauteilen können wir aber selbst für Ersatz sorgen und nach drei bis vier Stunden die Anlagen wieder hochfahren“, berichtet Fitzek nach einem Testprogramm mit dem Laserzentrum Hannover. Zudem sei es viel günstiger, kleinere Einzelteile selbst zu fertigen. So koste ein Flaschenzentrierer im Versand etwa 180 Euro, im 3D-Druck unter fünf Euro. Und auch bei Steigrohrhalter oder Deckelgreifer kann man laut Fitzek das 10- bis 20-fache sparen.

Mathias Rechel (links) und sein Kollege Piriya Taptimthong werden von Bettina Stark-Watzinger mit dem Hermes Startup Award 2022 geehrt. | Foto: Link

Bei der Automation von Produktionsprozessen will auch Mathias Rechel mithelfen. Der Geschäftsführer von MIP Technology präsentierte auf der Hannover-Messe schon 2019 seine Innovation, für die er nun mit dem „Hermes Startup Award“ von Bundeswissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger ausgezeichnet wurde. Damals konnte der Ingenieur am Stand der Leibniz-Universität Hannover noch nicht viel mehr vorzeigen als einen Magnetstreifen und einen Sensor, der an einem Kabel baumelte. Inzwischen ist seine magnetische Identifikationslösung für den Industriebetrieb bereit. „Wir testen das seit anderthalb Jahren bei der Kautschukindustrie in Hannover“, verrät Rechel. Zudem werde die Erfindung im Spritzgussbereich in Süddeutschland erprobt, um künftig auch Temperaturen bis zu 400 Grad Celsius zu widerstehen.

Auch wenn die Oberfläche verkratzt ist, wird der magnetische ID-Tag darunter noch erkannt. | Foto: Link

Bei der Erfindung handelt es sich um eine Art magnetischen QR-Code, der durch Aufschweißen, Einvulkanisieren oder Einspritzen in ein Produkt integriert werden kann. Dort kann der Code zwar per Scanner ausgelesen, aber nicht mehr verändert werden. „Insbesondere die Robustheit der Datenträger im Hinblick auf thermische und chemische Beständigkeit ist ein großer Vorteil in der industriellen Anwendung, da Produktionsmittel automatisch identifiziert und erfasst werden können“, lobt die Hermes-Award-Jury. Zudem bietet die hannoversche Erfindung noch eine andere Einsatzmöglichkeit. „Wir können uns vorstellen, dass das für den Plagiatschutz interessant ist“, sagt Rechel. Der ID-Tag könnte zum Beispiel auch in Markenkleidung, teuren Accessoires oder Tickets und Dokumenten zum Einsatz kommen.

Dieser Artikel erschien am 3.6.2022 in Ausgabe #104.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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