26. Juni 2023 · 
Bildung

In der Schule der Zukunft sollen sich die Kinder das Lernen selbst beibringen

Wie sieht die Schule der Zukunft aus? Der Pädagoge Prof. Olaf-Axel Burow aus Kassel hat in einer Bildungstagung des Niedersächsischen Beamtenbundes (NBB) am Montag eine gewagte These vertreten: Die Schule brauche einen radikalen Wandel und müsse sich abwenden von den alten Formen der Wissensvermittlung.

Foto: GettyImages/Smederevac

Dazu sollten die Schüler mehr Zeit für das selbstorganisierte Lernen bekommen, die Digitalisierung müsse genutzt und „künstliche Intelligenz“ einbezogen werden, es müsse ein angenehmes Lernumfeld geschaffen werden und die Lehrer sollten vor allem als Berater und Motivatoren aktiv werden. Der Kernsatz von Burow lautet: „Wir müssen die Talente und Neigungen der Schüler stärken.“ Forscher hätten herausgefunden, dass von 100 befragten Erwachsenen nur zwei angegeben haben, in der Schule von ihren Lehrern gefördert und in ihren Leidenschaften gezielt gestärkt worden zu sein. 

Burow erläuterte das Konzept der „Alemannenschulen Wutöschingen“ im baden-württembergischen Landkreis Waldshut. In dieser Hauptschule, die von der Schließung bedroht war, hatten die Lehrer ein radikales Reformkonzept umgesetzt: Die stupide wirkenden Klassenräume wurden umgestaltet in Wohlfühlzonen, die teilweise wie Wohnzimmer wirken. Das Prinzip der „Schmetterlingspädagogik“ wurde eingeführt. Die klassische Wissensvermittlung nimmt nur noch ein Drittel des Schulalltags ein (zwölf Unterrichtsstunden die Woche), im Wesentlichen sollen die Schüler sich die Fakten selbst beibringen. Stoßen sie an Grenzen, sollen sie nicht sofort den Lehrer rufen, sondern selbst im Netz nach Lösungen suchen. Das Ergebnis kann anschließend mit dem Lehrer besprochen und dokumentiert werden.



Prüfungen, Klassenarbeiten und Hausaufgaben sind abgeschafft, nachmittags gibt es keine Projektarbeit, sondern das Angebot von Clubs – also den Mathe-Club, den Musical-Club oder den Demokratie-Club. Die Schüler seien „Lernpartner“ und die Lehrer „Lernbegleiter“. Die Kinder werden eingestuft in Neustarter, Starter, Durchstarter und Experten. Die jahrgangsbezogene Wissensvermittlung wird gelockert, ältere Englisch-Schüler werden zuweilen als Berater der jüngeren Englisch-Schüler eingesetzt. Einmal wöchentlich gibt es ein viertelstündiges Coach-Gespräch mit jedem einzelnen Schüler, der dann die Möglichkeit haben soll, seine persönlichen Lernziele im eigenen Tempo zu erreichen. Je besser die Schüler in der Lage sind, sich selbst Wissen und Fähigkeiten anzueignen, desto geringer ausgeprägt ist dann ihre Anwesenheitspflicht in der Schule. Auf der anderen Seite stehen ihnen die Schulräume für das Lernen 24 Stunden und sieben Tage in der Woche zur Verfügung. 

„Das Verhältnis von drei zu eins, wenn es um positive und negative Botschaften geht, muss eingehalten werden, wenn man motivieren will.“

Prof. Olaf-Axel Burow

Nach den Worten von Burow müssen einige Grundprinzipien und Bedingungen berücksichtigt werden, wenn das Modell Erfolg haben soll. Die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Datenvernetzung müssten genutzt werden – um die Lehrer zu entlasten und um passgenaue Bildungsangebote für die Schüler zu entwickeln. Aktuelle politische und gesellschaftliche Probleme müssten im Schulalltag behandelt werden, die Verbindung von Schule und Gesellschaft müsse viel enger werden. Wenn man die Schüler motivieren wolle, müsse man sie emotional erreichen und die Begeisterung in ihnen wecken.

Prof. Olaf-Axel Burow | Foto: Klaus Wallbaum

Das könne gefördert werden durch das Schaffen einer „Wohlfühl-Umgebung“: „Das Verhältnis von drei zu eins, wenn es um positive und negative Botschaften geht, muss eingehalten werden, wenn man motivieren will“, sagt Prof. Burow. Es gehe darum, dem Schüler überwiegend lobende Rückmeldungen zu geben, damit er sich aufrafft und weiter lernt. Gelingen könne das nur, wenn auch die Lehrer mit einer positiven Grundstimmung ihren Job versehen – und leidenschaftlich, visionär und pragmatisch an die Sache herangehen. „Unter Stress zu arbeiten, kann sogar gesund sein – wenn man die Anstrengung als sinnvoll und bedeutsam ansieht“, betont Prof. Burow. Das gelte nicht zuletzt auch für die Schüler: „Wenn man selbstbestimmt etwas erreichen will, ist man darin nicht zu bremsen. Diese Erfahrung machen wir immer wieder.“

„Das ist eine Katastrophe“: In einer Podiumsdiskussion des NBB beklagten mehrere Politiker die Ankündigung der Bundesregierung, die Mittel des „Digitalpaktes II“ für die Kommunen als Schulträger nicht mehr zur Verfügung zu stellen. „Das wäre eine Katastrophe, da nicht mal die Mittel des Digitalpaktes I ausgeschöpft sind“, sagt der SPD-Bildungsexperte Stefan Politze. „Das können wir nicht einfach hinnehmen, da muss interveniert werden. Alles andere wäre unverantwortlich“, meint Christian Fühner (CDU).

„Wir müssen künftig in den Schulen mehr möglich machen, was in den Vorschriften nicht ausdrücklich geregelt ist.“

Stefan Politze

Was die Unterrichtsversorgung angeht, verteidigte Abteilungsleiter Carsten Milde den intensiven Dialog mit vielen Verbänden und Akteuren. „Manchmal geraten in diesem Prozess Dinge stärker in den Fokus, die anfangs gar nicht als wichtige Schritte angesehen wurden“, sagte er und verwies darauf, dass die Mindeststundentafel der KMK weniger Pflichtunterricht vorsehe als die in Niedersachsen. Pascal Mennen (Grüne) warb dafür, in der Schule nicht immer nur über die aktuellen Mängel zu reden – „wir müssen pädagogisch positiv aus der Lage herauskommen“. Das Geld für nicht besetzte Lehrerstellen solle verstärkt von den Schulen für Ausweich-Personal genutzt werden können. Der SPD-Politiker Politze sagte: „Wir müssen künftig in den Schulen mehr möglich machen, was in den Vorschriften nicht ausdrücklich geregelt ist.“ So könne man etwa die Bedingungen für Lehrer so verbessern, dass sie ihre Teilzeitverträge aufstocken.

Dieser Artikel erschien am 27.6.2023 in Ausgabe #117.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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