Die Lage am deutschen Wohnungsmarkt lässt sich eigentlich schnell in vier Worten beschreiben. „Es ist ein Desaster“, sagt Christian Palis, Geschäftsführer des Maklerunternehmens „Engel & Völkers Commercial Hannover“. Mit seiner Positionsbestimmung zum Start der Immobilienmesse „Real Estate Arena“ sorgt der Investmentexperte zwar nicht gerade für gute Laune, spricht aber vielen Branchenvertretern aus der Seele. „Es ist nicht verwunderlich, dass viele Mieter, Vermieter und Investoren zurzeit höchst verunsichert sind. Der Markt hat sich abgekühlt und das Transaktionsgeschehen ist stark zurückgegangen“, berichtet Palis.

Explodierende Baukosten, steigende Bauzinsen, immer weniger Baumaßnahmen und eine zunehmende Urbanisierung treffen aufeinander. „Die logische Folge dieser Marktgegebenheiten ist, dass die Mieten noch weiter steigen werden und dass es für Interessenten immer schwieriger wird, eine Mietwohnung zu finden“, sagt der Immobilienfachmann. Im jüngsten Deutschland-Marktbericht habe „Engel & Völkers“ (E&V) insgesamt 61 Städte untersucht. Das Ergebnis: „In keiner einzigen Stadt gab es eine negative Mietpreisentwicklung.“ Stattdessen zogen die Mietpreise zur zweiten Jahreshälfte 2022 innerhalb von nur zwölf Monaten teilweise deutlich um bis zu 20 Prozent an. In den in Niedersachsen untersuchten Städten schwankte der Preisanstieg bei den Angebotsmieten von 2,3 Prozent in Göttingen bis 8,9 Prozent in Emden. Dazwischen liegen Celle (+3,5%), Hannover (+3,6%), Oldenburg (+3,9%), Braunschweig (+4,1%), Osnabrück (+5,6%) und Hildesheim (+5,8%).

Schuld an der Misere hat laut Palis aber nicht nur die weltwirtschaftliche Lage. „Dass sich der Markt abkühlt liegt auch ein bisschen an den Banken, weil die Kreditvergabe zurzeit wirklich restriktiv ist“, sagt der E&V-Geschäftsführer. Die Städte und Kommunen würden sogar schon seit Längerem zur Verschärfung der Lage beitragen. „Die Bauland-Preise sind mittlerweile dreimal so hoch wie vor 20 Jahren. Und das liegt nicht nur an privaten Grundstücksspekulanten, sondern auch kommunale Baugrundstücke kosten heute ein Vielfaches mehr als vor zehn Jahren“, sagt Palis. Und auch die Bundesregierung trage nicht zur Beruhigung der Lage bei – im Gegenteil: „Mit dem geplanten Gebäudeenergiegesetz wird im Moment dafür gesorgt, dass die Verunsicherung bei Käufern und Verkäufern von Bestandsimmobilien größer nicht sein könnte.“

Dass sich die Situation für Mieter in nächster Zeit verbessern wird, glaubt Palis nicht, zumal das Eigenheim für immer mehr Menschen unerschwinglich wird. „Viele Mieter bleiben Mieter. Und wenn sie sich verändern, verändern sie sich in einer Mietwohnung“, sagt der E&V-Manager. Deswegen werden seiner Einschätzung nach Investitionen in Betongold wieder attraktiver. „Weniger Baugenehmigungen und aufgeschobene Projekte werden zu einer weiteren Anspannung der Mietmärkte führen. Angespannte Mietmärkte werden wiederum die Kaufpreise stabilisieren und das wird Investoren natürlich interessieren“, sagt der Immobilienexperte.
An die Adresse der Politik richtet Palis folgenden Appell: „Wir sollten das Wohnungsangebot in deutschen Städten unbedingt erhöhen. Eine große Chance wird sich aus der Umwandlung von innerstädtischen Gewerbeimmobilien ergeben, die man so in einigen Jahren vielleicht gar nicht mehr nutzen kann und die durch Abriss, Neubau oder Umwandlung einer wohnwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden können. Aber auch der Neubau muss für Bauträger wieder wirtschaftlich sinnvoll sein.“

Unter welchen Voraussetzungen sich Bau- und Sanierungsvorhaben finanziell lohnen oder überhaupt finanziert werden können, ist ein zentrales Thema bei der hannoverschen Fachmesse. „Wenn man sich die Gesamtinvestitionen in den deutschen Wohnungsmarkt anguckt, sind das zwischen 50 und 55 Milliarden Euro jährlich. Wir schaffen aber gerade mal eine Sanierungsquote von einem Prozent und in der Politik wird über zwei oder drei Prozent diskutiert“, sagt Ingeborg Esser.
Für die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) ist klar: „Diese unglaublichen Investitionsvolumina können nicht alle mit Eigen- oder Fremdkapital finanziert werden, sondern irgendwie wird da auch der Staat unterstützen müssen – zumindest dann, wenn dieser Prozess sozial abgefedert werden soll.“ Esser hält eine turbomäßige Sanierung des deutschen Wohnungsbestands aber nicht nur aufgrund fehlender Geldmittel für unrealistisch. „Da fehlen die Handwerker. Da fehlen die Kapazitäten. Da ist gar kein System da, das das auffangen könnte“, betont Esser.

„ESG-Konformität, Finanzierung, Handwerkermangel und die Zufriedenheit der Bewohner sind momentan die vier großen Herausforderungen“, bestätigt auch Karin Shalev Shogol von der Software-Firma Plentific aus Berlin, die digitale Lösungen für die Immobilienwirtschaft entwickelt. Die Digitalisierung sei zwar kein Allheilmittel, könne aber bestehende Prozesse deutlich effizienter machen. „Die Verwalter müssen sich nicht die Finger wund wählen und jeden einzelnen Handwerker abklappern, um jemanden zu finden, der dann aber erst in zwei Monaten Zeit hat. Über digitale Prozesse funktioniert das automatisch und der Auftrag geht nur an die Handwerker, die jetzt Kapazitäten frei haben“, schildert Shalev Shogol ein Beispiel aus der Praxis. Sehr erfolgreich sei auch ein digitales Pilotprojekt zum Leerstandsmanagement verlaufen, das die Leerstandzeit um 52 Prozent reduziert und die Mieteinnahmen um 3,5 Prozent pro Jahr gesteigert habe. „Und das ist nur dadurch passiert, dass alles digital im Hintergrund geschehen ist. Die Immobilie und der Verwalter sind die gleichen geblieben.“

Die beiden Expertinnen warnen zudem vor zu hohen Modernisierungsstandards. Besonders kritisch blickt GdW-Hauptgeschäftsführerin Esser auf den auf EU-Ebene diskutierten Sanierungszwang, nach dem bis 2030 alle Gebäude mindestens auf den Effizienzstandard D gebracht werden müssen. „Das ist ein völlig aussichtsloses Unterfangen, das wir weder bezahlen noch abarbeiten können. Und manchmal ist es auch einfach nicht sinnvoll“, sagt Esser. Bei vielen denkmalgeschützten Häusern sei eine derartige Sanierung sogar unmöglich. Außerdem weist sie darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten der EU den Effizienzstandard D unterschiedlich definieren – je nachdem, wie energieeffizient der Wohnungsbestand des Landes insgesamt ist. „Wenn wir in Deutschland auf das Niveau D sanieren, ist das anders als bei den Kollegen in den Niederlanden. Die dürfen dann doppelt so viel Endenergie verbrauchen wie wir“, erklärt die GdW-Hauptgeschäftsführerin und sagt zumindest aus Sicht der 3000 Mitgliedsunternehmen mit ihren sechs Millionen Wohnungen: „Wir würden die Ziele bis 2045 auf jeden Fall schaffen – aber anders und ohne staatlichen Zwang.“
Auch Karin Shalev Shogol hält die Idee, dass man den gesamten deutschen Wohnungsbestand oder zumindest einen überwiegenden Teil innerhalb kürzester Zeit auf einen hohen Effizienzstandard bringt für „utopisch“. Deswegen müsse man aber nicht untätig bleiben. Die Digital- und Datenexpertin schlägt vor, dass Immobilienbesitzer für die Modernisierungsmaßnahmen, die sie ohnehin regelmäßig durchführen, digitale „ESG-Punkte“ sammeln, die ihnen beim Erreichen der Klimaziele angerechnet werden. „Dadurch kann man Schritt für Schritt in diese Richtung gehen“, sagt Shalev Shogol. Esser schlägt folgendes Vorgehen vor: „Wir müssen für jedes Gebäude genau den CO2-Ausstoß berechnen und schauen, wohin ich es mit welchen Kosten baulich entwickeln kann. Dann muss die Investition ausgelöst werden und der Rest muss durch fossilfreie Wärme abgedeckt werden.“
Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft hat allerdings den Eindruck, dass die Vorschläge der Branche in Berlin nur mit einem Ohr wahrgenommen werden. „Wir schreiben Robert Habeck und Klara Geywitz mehrfach die Woche. Auf der einen Seite werden wir aber eher gehört als auf der anderen. Es macht uns schon betroffen, dass das, was momentan im Klimaministerium umgesetzt wird, häufig nicht aufnimmt, was Fachleute erzählen“, beklagt Esser. Dass das Habeck-Ministerium nicht jeden Impuls der Wohnungswirtschaft aufnimmt, kann die GdW-Hauptgeschäftsführerin zwar nachvollziehen. Aber auch Handwerk, Bauunternehmen und Bauindustrie blieben dort ungehört. „Wenn alle das gleiche erzählen, müsste man sich zumindest mal Gedanken machen, ob der Weg, den man eingeschlagen hat, der richtige ist“, sagt Esser und meint damit vor allem das umstrittene Gebäudeenergiegesetz (GEG).

Für die Branchenvertreterin steht fest: „Es muss erst eine kommunale Wärmeplanung kommen und dann eine Austauschpflicht für Heizungen. Denn was macht das denn für einen Sinn, jetzt eine Wärmepumpe einzubauen, wenn man in fünf Jahren an der Fernwärme hängt.“ Andererseits müsse die Politik auch viel mehr den Fokus auf den Wohnungsbestand richten, wenn sie die Klimaziele im Wohnungssektor einhalten will. „Wir können auch nicht immer sagen: Der Neubau wird’s schon richten, wenn wir nicht einmal 300.000 Wohnungen im Jahr neu bauen“, sagt Esser.
Bei der Hälfte der insgesamt 40 Millionen Wohnungen in Deutschland handele es sich um Ein- und Zweifamilienhäuser, von denen wiederum 25 Prozent sehr, sehr schlecht energetisch ertüchtigt seien und häufig von älteren Menschen bewohnt würden, die wenig motiviert seien, ihr Haus zu sanieren. „Man wird wahrscheinlich nicht alle Ein- und Zweifamilienhäuser in den schlechten Lagen dauerhaft erhalten können. Da wird irgendwann auch mal was abgerissen werden müssen“, stellt die GdW-Hauptgeschäftsführerin klar und fordert von der Politik insgesamt mehr Ehrlichkeit, wenn es um die Dekarbonisierung des Wohnungssektors geht: „Man muss endlich mal einen realistischen Blick drauf setzen, aber dann auch nicht nur reden, sondern auch machen.“