Auf dem Weg zu mehr Tierwohl im Stall versperren viele Hindernisse das rasche Fortkommen. Welche das sind, hat eine Kommission unter dem früheren Bundesagrarminister Jochen Borchert bekanntlich längst herausgearbeitet und sogar schon vorgeschlagen, wie man sie koordiniert aus dem Weg räumen könnte: Lockerungen bei Baurecht und Immissionsschutz, klare Kennzeichnung, gesicherte Finanzierung. Doch noch hat keine politische Kraft die Energie aufgebracht, den Knoten tatsächlich zu durchschlagen. Auch die eine Milliarde Euro, die Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) nun bereitstellen konnte, bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein. Statt des großen Wurfes gibt es nun seit Jahren Flickschusterei beim tierwohlgerechten Umbau der Nutztierhaltung.

Ein kleiner Flicken kommt nun bald hinzu: eine Erleichterung bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Stallumbauten. Seit 2018 arbeitet eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe von Bund und Ländern daran, Immissionsschutz und Tierwohl in Einklang zu bringen, was aufgrund bestehender Zielkonflikte nicht so einfach scheint: Politik und Gesellschaft wollen zwar Ställe, in denen sich die Tiere in ihrem kurzen Leben wohlfühlen. Die Belastungen in der Luft sollen aber möglichst gering gehalten werden. Eine Aufgabe der Arbeitsgruppe war es deshalb, den tierwohlgerechten Außenklimastall verwaltungskonform zu definieren, um im zweiten Schritt dann Erleichterungen bei der Genehmigung in die Wege zu leiten.
Zumindest in einem Teilbereich dieses weiten Feldes hat die Arbeitsgruppe nun ein Ergebnis erzielen können, wie die Leiterin des Tierwohl-Referats in Niedersachsens Agrarministerium, Iris Daseking, kürzlich im zuständigen Landtags-Ausschuss berichtete. Erarbeitet hat man in der Bund-Länder-Gruppe eine Vollzugshilfe für die sogenannte „TA Luft“, also die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft. In dieser Handreichung soll künftig festgehalten sein, welche Tierwohl-Maßnahmen entsprechende Abstriche bei den Luft-Reinhaltungsvorgaben rechtfertigen sollen.

Zu den wesentlichen Kriterien, die ein Tierwohl-Stall erfüllen muss, zählen ein erhöhtes Platzangebot, Auslauf und die Wahrnehmbarkeit von Außenreizen sowie Beschäftigungsmaterial und die Möglichkeit, dass sich die Tiere ihren Raum frei einteilen. Mussten die Landwirte bislang noch 70 Prozent der Immissionen aus der Stallluft filtern, soll das künftig nur noch für 33 Prozent vorgeschrieben werden, wenn die Ställe entsprechend offen gestaltet wurden. „Die Vollzugshilfe zur ‚TA Luft‘ soll den Genehmigungsbehörden an die Hand gegeben werden, damit sie zukünftig quasi auf einen Blick einschätzen können, welche Haltungsverfahren für die erwünschte Ausnahmeregelung infrage kommen“, konkretisiert das Agrarministerium auf Nachfrage.
Mit dem bislang noch internen Papier muss sich jetzt noch die Umwelt- sowie die Agrarministerkonferenz befassen und es in der jeweiligen Frühjahrstagung genehmigen. Das soll angeblich nur noch Formsache sein. Bald können sich dann die ersten Landwirte auf Erleichterungen beim Stallumbau einstellen, indem die Genehmigungen schneller und rechtssicherer erteilt werden. Allerdings gelten diese neuen Regeln vorerst nur für Mastschweine. Entsprechende Vorgaben für Sauen und Ferkel lägen zwar in der Schublade, seien auf Wunsch des Bundesagrarministeriums aber vorerst gestoppt worden, so Daseking. An den ganzen Bereich der Geflügelhaltung sei man hingegen noch nicht einmal herangetreten.
Dass künftig jeder Schweinemäster seinen Stall zum tierwohlgerechten Offenstall wird umbauen können, sei damit auch noch nicht gesagt, räumte Daseking ein. Es gebe auch Standorte, an denen „die Hintergrundbelastung mit Immission so hoch ist, dass es bei allem Wollen und Willen nicht an jedem Ort gelingen kann“, erläuterte die Referatsleiterin im Agrarausschuss und verwies auf die fortbestehende Einzelfallprüfung. „Es wird vielleicht eine Reduzierung der Tierzahlen erforderlich sein.“

Karin Logemann (SPD), Wortführerin der Agrarpolitiker der Koalitionsfraktionen, zeigte sich im Anschluss an die Unterrichtung prinzipiell zuversichtlich. „Wir sind in der Frage einen guten Schritt weitergekommen“, erklärte sie dem Politikjournal Rundblick auf Nachfrage. Ein großer Brocken bleibe aber immer noch zu klären. Es brauche „ein deutliches Entgegenkommen für die Landwirtschaft bei gleichzeitiger Einhaltung von mehr Tierwohl und mehr Immissionsschutz“, sagte die SPD-Politikerin.

Kritischer äußerte sich Marco Mohrmann, agrarpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Insbesondere das Tempo, mit dem die Arbeitsgruppe seit 2018 vorangeht, enttäusche ihn: „Unsere landwirtschaftlichen Nutztierhalter brauchen schnell Klarheit“, sagte Mohrmann. Zudem seien „die Widersprüche zwischen Bau- und Immissionsschutzrecht auf der einen Seite und dem gesellschaftlichen Anliegen des Tierwohls auf der anderen Seite nur sehr punktuell angegangen worden“, führte der CDU-Politiker weiter aus: „Von dem dringend benötigten Durchschlagen des ‚Gordischen Knotens‘ insbesondere in Bezug zum Baurecht scheint mir die AG sehr weit entfernt.“