28. Mai 2018 · Bildung

Immer mehr Kinder schwänzen die Schule

Die Kinder einen Tag die Schule schwänzen zu lassen, damit man früher in die Ferien starten kann, ist eine weit verbreitete Praxis, wie sich kürzlich wieder in Bayern gezeigt hat. Doch immer mehr niedersächsische Kinder bleiben auch der Schule fern, wenn keine Ferien anstehen. Eine Stichprobenabfrage des Politikjournals Rundblick in sechs Städten ergab, dass in vier Städten die Zahlen der Anzeigen wegen Schulabsentismus im vergangenen Jahr nach oben gegangen sind, in den anderen beiden Städten gab es keine Veränderung. Da allerdings der Umgang mit Schulabsentismus in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung fällt, reagieren die Städte sehr unterschiedlich auf die Entwicklungen.

Zahl der Schwänzer um fast ein Drittel gestiegen

Besonders viele Anzeigen sind in 2017 bei der Stadt Delmenhorst eingegangen. Hier bekamen Schwänzer im Schuljahr 2016/17 insgesamt 697 Anzeigen, 226 mehr als im Schuljahr zuvor. Viele von ihnen gehen an notorische Schwänzer, denn insgesamt blieben im vergangenen Jahr 320 schulpflichtige Kinder mehr als zehn Tage unentschuldigt der Schule fern. Im Jahr zuvor waren es noch 212. Die Stadt reagierte schon im Februar 2017 mit dem Projekt „Jugend stärken im Quartier“, das sich an Schüler richtet, die häufig schwänzen. „Darüber hinaus gab es im vergangenen November eine Fachtagung, auf der sich Arbeitskreise zusammenfanden, die nun ein neues Konzept gegen Schulabsentismus entwickeln“, sagt Stadtsprecher Timo Frers. https://soundcloud.com/user-385595761/zahl-der-schulschwanzer-steigt-teilweise-deutlich

Hannover verpflichtet erst seit 2018 zur Meldung

In Hildesheim ist die Zahl der Anzeigen weniger stark gestiegen, doch auch hier wurden im vergangenen Jahr 45 Verstöße mehr gezählt als im Jahr zuvor mit 225 Anzeigen. Wilhelmshaven schrieb im derzeit noch laufenden Schuljahr sogar schon 103 Anzeigen – 14 mehr als im vergangenen Schuljahr. In Hannover bewegen sich die jährlichen Verstöße um 500, belastbar ist die Zahl aber noch nicht. Denn erst seit Anfang 2018 sind die Schulen in der Region verpflichtet, bei längerfristigen, unentschuldigten Fehlzeiten eine Meldung bei der Stadt zu machen. „Vorher lag es im Ermessen der Schule, ob sie Schulschwänzer meldet und falls ja, nach wie vielen Fehltagen“, sagt Stadtsprecherin Susanne Stroppe.
"Repressive Maßnahmen sind für die Lösung des Problems nicht wirksam und recht eindimensional“ - Helge Miethe, Sprecher der Stadt Hildesheim
Wie auch Delmenhorst arbeitet Oldenburg gerade daran, sein Konzept für den Umgang mit Schulschwänzern zu überarbeiten. „Das jetzige Handlungskonzept, bei dem Schulpflichtverletzungen nach dem fünften unentschuldigtem Fehltag gemeldet werden müssen und sich dann das Jugendamtsteam ,Wendehafen‘ um die Schüler kümmert, soll ausgewertet werden“, sagt Stadtsprecherin Juliane Goldbeck. Dazu sind die Schulen aufgerufen, ihre Erfahrungen bei einer Konferenz im Herbst mit der Stadt zu teilen. „Im nächsten Jahr dann soll das aktualisierte Konzept verabschiedet werden.“ Bei der Stadt Hildesheim ist man ebenfalls der Ansicht, dass Sozialpädagogik das beste Mittel gegen Schulabstinenz ist. „Repressive Maßnahmen sind für die Lösung des Problems nicht wirksam und recht eindimensional“, sagt Stadtsprecher Helge Miethe. Deshalb sei die Meldung an die Bußgeldstelle auch das letzte Mittel, wenn Gespräche zwischen Schule, Eltern und Kind nicht fruchten. Stellt sich heraus, dass das Kind mit der Schule in ihrer klassischen Form nicht zurechtkommt, kann es die Schulpflicht im Projekt „Anstoß“ und der „Labora“ Jugendwerkstatt erfüllen. Auch die Stadt Hannover setzt auf intensive Gespräche mit der Schule und den Eltern. Dabei liegt der Fokus auf den Ursachen der Schulabstinenz. „Insbesondere an den Grundschulen steht das Thema häufig im Zusammenhang mit einer möglichen Kindeswohlgefährdung“, sagt Stadtsprecherin Stroppe.

100 Euro beim ersten Verfahren, 300 Euro ab dem zweiten

Delmenhorst dagegen setzt auch auf Abschreckung und hat im vergangenen Jahr die Bußgelder erhöht. Gab es zuvor noch eine Staffelung von 50 Euro pro Verstoß, sind seit vergangenem August 200 Euro ab dem ersten Verstoß fällig. Ist der Schulschwänzer älter als 13 Jahre, wird der Bußgeldbescheid ihm direkt zugesandt, ist er jünger, bekommen seine Eltern den Brief. Auch hier hat es einen signifikanten Anstieg gegeben. Gingen im Schuljahr 2015/16 noch 44 Bescheide an Eltern von Schulschwänzern, waren es im Schuljahr darauf schon 102. In Wilhelmshaven wird das Schwänzen sogar noch teurer. 100 Euro werden hier beim ersten Verfahren fällig, 300 Euro ab dem zweiten. Kann das Bußgeld nicht gezahlt werden, wird die Strafe in der Regel in gemeinnützige Arbeit umgewandelt. Leisten der Jugendliche oder die Eltern des Schwänzers die Arbeit nicht ab, wird Ersatzzwangshaft beantragt. „Das kommt aber selten vor“, sagt Delmenhorsts Sprecher Frers, „in der Regel wird das Bußgeld noch gezahlt oder die Arbeitsleistung erbracht.

In Wilhelmshaven gibt es Ersatzhaft nur für Eltern

Auch andere Städte haben diese Erfahrung gemacht. In Oldenburg werden etwa 300 Anzeigen pro Jahr verschickt, in zehn Fällen sitzen Jugendliche oder Eltern die Strafe im Arrest ab. In Braunschweig wurden 2017 insgesamt 265 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Schulschwänzens eingeleitet, 24 davon im Arrest abgegolten. Im Vorjahr gab es noch 261 Anzeigen, aber 44 vollstreckte Ersatzzwangshaftstrafen. In Wilhelmshaven gibt es die Ersatzzwangshaft nur für Eltern, insgesamt 90 mussten in den vergangenen dreieinhalb Jahren auf diese Weise für das Vergehen ihrer Kinder büßen. Die Jugendlichen selbst können nur zu Arbeitsauflagen verurteilt werden. (isc)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #99.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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