18. Nov. 2021 · 
Inneres

Im Interview: Niedersachsens Chief Information Officer erklärt Plan zur Digitalisierung

Für ein Mega-Projekt der Zukunft gibt es einen Verantwortlichen in der Landesregierung: Horst Baier (59) leitet seit anderthalb Jahren die Stabsstelle für Informationstechnik der Landesverwaltung im Innenministerium – und ist damit der Hauptansprechpartner für die Digitalisierung der Landes- und Kommunalverwaltung. Er ist optimistisch, dass schon im nächsten Jahr ein großer Schub an Reformen erkennbar wird, und zwar für jeden Bürger im Land. Wichtige Finanzierungsfragen müssen allerdings noch geklärt werden. Baier äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Rundblick-Chefredakteur Klaus Wallbaum mit Horst Baier, Chief Information Officer (CIO) im Niedersächsischen Innenministerium. | Foto: privat

Rundblick: Herr Baier, das Online-Zugangsgesetz (OZG) des Bundes legt fest, dass bis Ende 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen digital angeboten werden müssen. Wer möchte, muss das dann am Computer erledigen können. Da bleibt nur noch rund ein Jahr Zeit. Schaffen wir das?

Baier: Hinter diesen 575 Dienstleistungen verbergen sich mehr als 6000 Einzelprozesse. Es geht also um einen riesigen Bereich. 360 der 575 Vorgänge betreffen die Länder und die Kommunen. Augenblicklich laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren – und die Zuständigkeiten für Themenfelder der Verwaltung sind auf die Länder verteilt. Ich bin mir sicher, dass ein großer Teil der Onlinedienste bis Ende 2022 für den Einsatz in der Landesverwaltung und den Kommunen verfügbar sein wird – die Gesundheitsleistungen in der Verantwortung von Niedersachsen werden auf jeden Fall rechtzeitig bereitstehen. Allerdings sind wir hier auch von den Entwicklungen in den anderen Bundesländern abhängig. Verzögerungen lassen sich bei einem solchen Mammut-Projekt nie verhindern. Sie entstehen im Bereich der Onlinedienste zum Beispiel dadurch, dass die Anwendbarkeit einzelner Leistungen in allen Ländern noch zusätzlicher Vorbereitungen bedarf. Eine elektronische Baugenehmigung, die in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert, kann oft nicht problemlos auf Niedersachsen oder Bayern übertragen werden, da jedes Bundesland sein eigenes Baurecht hat. Die Software muss dann jeweils an die bestehenden Besonderheiten angepasst werden.  

Rundblick: Wie wird das OZG am Ende angewendet? Die Leute brauchen doch technische Hilfe…

Baier: Wir werden Ende 2022 eine Kampagne starten und die Menschen bitten, sich ein Servicekonto anzulegen. Jeder Bürger und jedes Unternehmen erhält damit eine Identifikationsnummer und ein Postfach. Genutzt wird dabei die Steuer-ID, also jene Nummernkombination, die schon heute angelegt ist. Auf dem Handy kann dann über die Ausweis-App eine Identifikation mit dem Personalausweis geschehen – und schon ist die Nutzung der Verwaltungsdienste online möglich. Notwendige Nachweise können hochgeladen werden, der Bescheid kommt anschließend in das elektronische Postfach. In Deutschland gibt es derzeit mehrere Anbieter von Servicekonten. Niedersachsen nutzt ein Servicekonto gemeinsam mit Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Bremen. Der Plan ist, dass bundesweit die Servicekonten bis Ende 2021 miteinander vernetzt werden. Wer als Niedersachse etwas in Bayern regeln will, soll das selbstverständlich genauso online machen können.

Klaus Baier | Foto: IT Niedersachsen

Rundblick: Welche Vorteile sind damit verknüpft?

Baier: Die Idee ist, dass die Bürger ihre Daten nur einmal eingeben müssen und die Onlinedienste dann auf vorhandene Daten zugreifen. Beispielsweise soll beim Elterngeldantrag auf Daten des Standesamtes und den Krankenkassen zugegriffen werden. Den Namen des Kindes kann man elektronisch festlegen. Oder die „Verwaltung der Zukunft“ meldet sich nach der Geburt des Kindes automatisch bei den Eltern und weist auf die Möglichkeit des Elterngeldes hin.  Ein ganz elementarer Punk bei der Digitalisierung ist natürlich der Datenschutz, der gerade bei der Fülle der in den Verwaltungen vorliegenden Informationen zurecht eine hohe Priorität hat und berücksichtigt werden muss. Hier wird es sicherlich, gerade auch bei zunehmender Vernetzung von Daten, zu Diskussionen kommen. Diesen Diskussionen müssen wir uns stellen. Ein wesentlicher Aspekt bei der Digitalisierung und der Frage, ob Daten vernetzt werden können, ist aus meiner Sicht die Datensouveränität. Eine Möglichkeit für die Sicherung der Hoheit über die eigenen Daten wäre, dass jeder Bürger zunächst um ihr bzw. sein Einverständnis gebeten wird, bevor auf vorhandene Daten zugegriffen wird und diese vernetzt werden. Es muss dann auch insbesondere aufgeklärt werden, welche vorhandenen Informationen zu welchen Zwecken miteinander verknüpft werden. Ganz klar: Wenn das Einverständnis nicht gegeben wird, werden die Daten auch nicht miteinander vernetzt. Das hat dann jedoch zur Folge, dass gewisse Automatismen – zum Beispiel der Antragsvordruck, der bereits alle notwendigen und vorliegenden Informationen enthält – nicht greifen und die Daten dann durch die Bürger selbst online manuell eingegeben werden müssen. Fortgeschrittene Länder bei der Digitalisierung wie Estland oder Dänemark zum Beispiel zeichnen sich durch eine umfassende Vernetzung von Daten aus. Dort besteht in der Bevölkerung aber auch eine andere Haltung zum Datenschutz als bei uns. 

Rundblick: Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Probleme?

Baier: Wir kommen mit der Digitalisierung der Verwaltung nur dann voran, wenn die Bürger diese auch annehmen und umsetzen können. Kurz gesagt: Die Menschen müssen Vertrauen in die Sicherheit ihrer Daten haben. Gerade in Zeiten vermehrter Cyberangriffe auf öffentliche Institutionen kommt dem Schutz dieser Daten daher eine umso größere Rolle zu. Und wirklich nutzen werden die Bürger unsere Onlinedienste nur dann, wenn sie in Ihrer Bedienung einfach und verständlich sind.  Das gilt es, bei jedem einzelnen Onlinedienst mit den formalen und rechtlichen Voraussetzungen in Einklang zu bringen.

„Bis Ende 2022 dürften alle Kommunen in der Lage sein, die Onlinedienste technisch umzusetzen.“

Horst Baier, IT-Bevollmächtigter der Landesregierung

Rundblick: Ziehen die Kommunen dabei mit?

Baier: Aus meinen zahlreichen Gesprächen mit kommunalen Vertretern weiß ich, dass die Kommunen grundsätzlich gewillt sind, die Digitalisierung voranzubringen. Derzeit würde ich schätzen, dass zwei Drittel der rund 450 niedersächsischen Kommunen sich bereits sehr zielstrebig auf die Implementierung der Onlinedienste vorbereiten. Bis Ende 2022 dürften alle Kommunen in der Lage sein, die Onlinedienste auch technisch umzusetzen. Das Land unterstützt dabei mit Informationen und technischen Lösungen. Im Übrigen engagiert sich das Land bei der kommunalen IT-Gesellschaft GovConnect-GmbH. Bei der Gelegenheit möchte ich zugleich Befürchtungen zerstreuen, das Land habe irgendeine Absicht, den kommunalen IT-Dienstleistern durch den Landesbetrieb IT.Niedersachsen Konkurrenz machen zu wollen – das ist ganz klar nicht der Fall. Die Digitalisierung wird nur in Zusammenarbeit mit allen Akteuren gelingen.

Rundblick: Schön und gut – aber Kosten entstehen ja auch, und die sind nicht zu gering, oder?

Baier: Natürlich entstehen mit der Digitalisierung auch zunächst erhebliche Kosten. Wir stellen den Kommunen die entwickelten Dienste deshalb kostenfrei zur Verfügung. Für die Betriebskosten bei der Nutzung der Software müssen die Kommunen jedoch selbst aufkommen. Zurzeit arbeiten wir daran, die genauen Kosten zu ermitteln. Ein vollständiges Bild hierüber wird jedoch erst möglich sein, wenn auch die Leistungen aller Bundesländer vorliegen. Als Beispiel für Kostendimensionen kann ich die Onlinedienste für Ausländerbehörden nennen. Der Softwareanbieter kalkuliert derzeit mit landesweit jährlich 500.000 Euro, die auf 46 kommunale Behörden verteilt werden müssten.

Rundblick: Der Städte- und Gemeindebund hatte mal 180 Millionen Euro für alle niedersächsischen Kommunen verlangt…

Baier: Wie schon gesagt, wie hoch genau die Kosten werden, lässt sich noch nicht valide abschätzen. Auf Bundesebene wird jedoch intensiv darüber gesprochen, inwieweit vielleicht der Bund den Kommunen direkt oder aber über die Länder helfen kann. Derzeit ist es rechtlich nicht möglich, die Konjunkturmittel des Bundes an die Kommunen weiterzuleiten. Die Digitalisierung der Verwaltung ist jedenfalls eine Gemeinschaftsaufgabe, die Hauptlast tragen davon aber nun mal die Kommunen. Neben den reinen Kosten sind jedoch zumindest mittelfristig auch die Entlastungen, die mit der Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen einhergehen werden, zu berücksichtigen. Was zum Beispiel die Erfassung von Anträgen und die Kontrolle der Vollständigkeit angeht, werden wir über die Digitalisierung viele Arbeitsprozesse in den Behörden wesentlich einfacher und effizienter gestalten können. 

Rundblick: Bei der Landesverwaltung stehen auch größere Umwälzungen bevor, oder?

Baier: Ja, derzeit haben wir 25 unterschiedliche Stellen in der Landesverwaltung, die IT-Dienstleistungen vornehmen. Die Justiz, das Landwirtschaftsministerium, die Steuerverwaltung und die Polizei, um mal vier herauszugreifen, haben ihre eigenen Systeme und IT-Betriebe. Es gibt in den Landesbehörden etwa 1800 Vollzeitstellen für IT-Personal, davon gehören rund 1000 zum Landesbetrieb IT.Niedersachsen. Von 86.000 mit IT ausgestatteten Büroarbeitsplätzen werden bisher 30.000 zentral von IT.Niedersachsen betreut. Gern möchte ich diese Zahl auf 45.000 erhöhen – mehr Zentralisierung führt zu einem günstigeren Betrieb und einer höheren Sicherheit. Dies gilt auch für eine stärkere Nutzung unseres neuen Rechenzentrums durch weitere Bereiche der Landesverwaltung. 

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #204.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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