„Ihr entmachtet Euch“: Nach leidenschaftlicher Debatte führt die AfD das Delegiertenprinzip ein
Zur Begrüßung sagt der AfD-Landesvorsitzende Frank Rinck noch, fast beschwörend: „Wir sind einer der am meisten geschlossenen Landesverbände der AfD in Deutschland!“ Doch schon Minuten später wird beim Parteitag in der Celler Congress-Union, der wieder in Form einer Mitglieder-Vollversammlung stattfindet, das Gegenteil deutlich. Eine Gruppe von Mitgliedern aus unterschiedlichen Kreisverbänden stellt mehrere Anträge, die den vom Landesvorstand geplanten Ablauf torpedieren sollten.
Das gelingt am Ende zwar nicht, denn eine Mehrheit der 474 anwesenden Mitgliedern lässt die Initiativen prompt durchfallen. Eine heftige Debatte um die eigenen Verfahrensregeln schließt sich dann aber trotzdem noch an. Die AfD präsentiert sich bei ihrem Parteitag in Celle streit- und diskussionsfreudiger als je zuvor – und sie schlachtet eine bisher heilige Kuh. Künftig sind Parteitage auch als Delegiertentreffen möglich.
Seit gut einem Jahr sind Rinck, sein Vize Ansgar Schledde und der neue Landesvorstand im Amt. Der frühere Vorsitzende Jens Kestner, der dem „Flügel“ um Björn Höcke nahesteht, hat inzwischen den Landesverband verlassen und arbeitet in Sachsen-Anhalt. Andere Anhänger des alten Kestner-Vorstandes ließen in den vergangenen Monaten kaum noch etwas von sich hören. So war im Vorfeld von Rinck und anderen die Hoffnung gehegt worden, die AfD würde im Lichte der guten Umfrageergebnisse den alten Zwist zur Seite schieben und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Noch einmal bestärkt wurden sie Ende Juli nach dem Resultat des AfD-Bundestreffens zur Aufstellung der Europawahl-Liste. Dort hatte einer der langjährigen Gegner des aktuellen Landesvorstandes, der ehemalige Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel, aus eigenem Antrieb eine Bewerbung für die Europaliste versucht – auf Platz vier. Dafür hatte er zunächst sogar die Unterstützung seiner alten Getreuen aus Niedersachsen gefunden. Aber weil die meisten Europa-Delegierten damals mit „Nein“ votierten, war Hampel gescheitert.
Ist das Lager der Landesvorstands-Gegner zerbrochen?
Er versuchte es dann noch zweimal auf eigene Faust für weiter hinten folgende Plätze, gegen den ausdrücklichen Rat von Freunden – und unterlag wiederum. Am Ende, sagen Beobachter, sei die Belastungsprobe zwischen Hampel und seinen Anhängern Ende Juli offenkundig geworden. Würde das jetzt auch bedeuten, dass das gesamte Lager der Landesvorstands-Gegner in der AfD Niedersachsen zerbrochen ist?
Das ist offensichtlich nicht so, wie man in der Celler Congress-Union spürt. Zwar versäumt Hampel den Landesparteitag nicht, hält sich aber weitgehend im Hintergrund, obwohl er der prominenteste Name unter mehreren kritischen Anträgen ist. An seiner Stelle treten andere nach vorn – und es wird schnell klar, wie sich die innerverbandliche Opposition gegen den AfD-Landesvorstand neu formiert. Da sind zum einen die alten Hampel-Anhänger wie Maik Schmitz (Northeim), Andreas Iloff (Diepholz), Manfred Otto (Hameln) oder Uwe Wappler (Verden). Man kann sie dem „Flügel“ zuordnen, sie selbst reden vom „patriotischen Lager“.
Hinzu gesellen sich einige Mitglieder aus Hannover, und dann ist da noch eine Gruppe, die vor Jahren zu den Anhängern der damaligen AfD-Vorsitzenden, der inzwischen ausgetretenen Dana Guth gerechnet wurde. Das sind etwa Siegfried Reichert aus Sehnde (Region Hannover) oder Friedrich Witerzens (Hannover). Von alten Flügel-Leuten rechts bis zu einstigen Mitstreitern von Dana Guth links reicht also die Gruppe der Kritiker des Rinck-Vorstandes.
Sie wagen in Celle die Kraftprobe, und die hat nun mehrere Ansatzpunkte. Der erste Versuch ist der Ruf nach einer „unabhängigen Satzungskommission“, die die Statuten überarbeiten soll. Das richtet sich gegen den Plan des Landesvorstandes, die Satzung schon beim jetzigen Parteitag zu reformieren. Die Mehrheit entscheidet „Nichtbefassung“. Der zweite Versuch ist ein Antrag, im Voraus eine große Halle für bevorstehende Parteitage zu reservieren. „Das haben wir schon versucht, hat aber nicht geklappt“, entgegnet der Landesvorstand. Auch hier votiert die Mehrheit für „Nichtbefassung“.
Dann liegt noch ein Antrag vor, den Landesvorstand dafür zu missbilligen, dass die Strategie zur Platzierung des Bewerbers Micha Fehre auf der Europa-Wahlliste gescheitert war. Der Grund sei nämlich das „Agieren im Hinterzimmer“ gewesen, heißt es in der Begründung. Doch als dieser Antrag in Celle aufgerufen wird, meldet sich Mit-Antragsteller Witerzens und erklärt: „Unsere Botschaft ist mit der Veröffentlichung dieses Antrags schon angekommen.“ Da eine Diskussion darüber „den innerparteilichen Graben vertiefen würde“, ziehe man den Antrag jetzt lieber zurück.
Doch die Gräben zwischen den verschiedenen Gruppen bei der AfD treten wenig später dann doch offen zutage. Auslöser ist die vom Vorstand beantragte Änderung der Landessatzung, wonach künftig Parteitage nicht mehr Mitglieder-Vollversammlungen sein müssen, sondern auch Delegiertentreffen mit 181 Delegierten sein können. Neben Niedersachsen hat nur noch die AfD Sachsen-Anhalt die Mitgliederversammlungen als verbindliche Vorgabe, alle anderen Landesverbände lassen schon das Vertreterprinzip zu.
#noAfD: Demo gegen Landesparteitag in Celle
In Celle bricht ein heftiger Streit darüber aus, die Anwesenden liefern sich eine leidenschaftliche Debatte. Reichert sagt, die Mitglieder-Vollversammlung zähle „zur DNA der AfD“. Nur auf diesem Weg könnten die Mitglieder „als den Souverän der Partei“ tätig werden. Mit der beantragten Satzungsänderung würden sich „die Mitglieder selbst entmachten“. Rinck und Parteivize Stephan Bothe halten dagegen: „Es geht um die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Partei und die Handlungsfähigkeit“.
Der Landtagsabgeordnete Jens Brockmann meint, bei einer möglichen vorgezogenen Bundestagswahl müsse die AfD binnen acht Wochen eine Landesliste aufstellen. „Wir haben bald 3500 Mitglieder landesweit. Wir schaffen es nicht mal in zwei Monaten, eine ausreichend große Halle zu buchen“.
Peer Lilienthal ergänzt, es gebe auch von den anderen Parteien öffentlichen Druck auf Hallen-Betreiber mit dem Ziel, der AfD keine Versammlungsstätte zu geben. „Das ist der einzige Weg der Alt-Parteien, uns noch zu stoppen.“ Der Ausweg könne nur ein Delegierten-Prinzip sein, das Sitzungen in kleineren Hallen ermögliche.
Andreas Iloff, einer der Gegner der Satzungsänderung, hält die von Lilienthal und anderen vorgetragenen Argumente nur für vorgeschoben: „Wer eine ausreichend große Halle finden will, der findet auch eine.“ In Wirklichkeit wolle der Vorstand mit dem Delegiertenprinzip nur die Machtverhältnisse in der Partei ändern. Iloffs Vorwurf wird mit Buh-Rufen quittiert.
75 Prozent stimmen für Delegiertenprinzip
Kurz danach dann folgt die Abstimmung, nachdem zuvor ein Geschäftsordnungsantrag der Vorstandsgegner, dies geheim vorzunehmen, mehrheitlich abgelehnt wurde. Der Vorgang muss zweimal wiederholt und beim dritten Mal von Stimmzählern ausgezählt werden, da der Tagungsleitung eine Einschätzung schwer fällt. Unruhe kommt auf, weitere Mitglieder kommen zur Tür hinein. Am Ende steht die Mehrheit für die Satzungsänderung doch klarer als zunächst angenommen und größer als die nötigen 66,6 Prozent. 316 der 474 Mitglieder sind für die Einführung des Delegiertenprinzips, 118 sind dagegen – das ist eine Ja-Quote von 75,05 Prozent. Der Landesvorstand hat also einen klaren Sieg errungen.
Mitgliedseinnahmen fließen nun direkt an Kreisverbände
Die nächste Satzungsänderung steht noch an, die Finanzordnung soll neu formuliert werden. Schatzmeister Lilienthal schlägt vor, dass die Mitgliedseinnahmen künftig direkt an die Kreisverbände fließen und dort auch bleiben. Bisher gab es ein aufwendiges Verrechnen zwischen Landes- und Kreisverbänden. Die Mandatsträgereinnahmen, die bisher an die Kreisverbände gingen, sollen nach Lilienthals Vorstellungen künftig direkt dem Landesverband zufließen. Auch über diese Idee wird in Celle heftig diskutiert, wenn auch nicht so leidenschaftlich wie vorher über das Delegiertenprinzip. Am Ende steht auch hier die Mehrheit dafür. Der Vorstand hat den zweiten Sieg errungen.
Der nächste Streitpunkt kommt wenig später, als die Partei über die Entlastung des Vorstandes entscheiden soll – des alten, im Mai 2022 abgelösten Vorstandes und des neuen für sein erstes Amtsjahr. Dabei trägt die Rechnungsprüferin Evelyn Witerzens vor, dass der alte, 2022 abgelöste Vorstand sich noch kurz vor der Wahl eine kräftige Reisekostenerstattung bewilligt habe. Das sei nicht rechtswidrig, aber merkwürdig. Weitere Unregelmäßigkeiten in der Kasse des alten Landesvorstandes kämen noch hinzu. Doch Rinck mahnt: „Wir wollen hier keine schmutzige Wäsche waschen.“ Die breite Mehrheit des Parteitags erteilt daraufhin beiden Landesvorständen mit großer Mehrheit die Entlastung.
Chrupalla nennt von der Leyen „korrupt bis unters Dach“
Da die AfD bei ihrem Landesparteitag sehr intensiv mit sich selbst beschäftigt ist, gerät die Rede des aus Berlin angereisten Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla fast zur Nebensache. Er wird allerdings mit stehendem Applaus empfangen und lässt die scharfen Angriffe auf die anderen Parteien, die man von ihm erwartete, auch nicht vermissen. Die CDU, sagt Chrupalla, müsse „halbiert werden“ und „die Grünen müssen verschwinden als gefährliche Partei“. Stürmischer Applaus der Mitglieder ist die Reaktion.
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei „korrupt bis unters Dach“, sie dürfe „nicht Spitzenkandidatin werden, sondern gehört auf die Anklagebank“. Solche Attacken, vom Bundesvorsitzenden in gewohnter Manier vorgetragen, heizen die Stimmung der AfD-Mitglieder noch zusätzlich an. So endet der Landesparteitag mit einer Erleichterung des Vorstandes, den Kritikern fehlt die Mehrheit für einen erfolgreichen Aufstand. Die Machtverhältnisse sind geklärt, große Geschlossenheit indes gibt es immer noch nicht.
Dieser Artikel erschien am 21.08.2023 in der Ausgabe #140.
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