IHK-Chef in großer Sorge: Überleben die Innenstädte die Corona-Krise?
Die Corona-bedingte Wirtschaftskrise könnte nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers der IHK Niedersachsen (IHKN), Horst Schrage, das Gesicht der Innenstädte negativ verändern. „Wir haben die große Befürchtung, dass die Innenstädte mit all ihrer Vitalität diese Krise möglicherweise nicht überstehen“, sagte Schrage am Freitag bei der Vorstellung der aktuellen Konjunkturumfrage der Kammer. Im Einzelhandel haben demnach die Sortimente und Fachgeschäfte in den Städten besonders zu kämpfen. Die Kundenfrequenz sei deutlich geringer, die Lust auf Shopping sei nur sehr eingeschränkt, sagte Schrage.
Jedes fünfte Fachgeschäft sehe sich in seiner Existenz gefährdet, die Gastronomie kämpft mit Umsatzrückgängen von 70 Prozent. Hinzu kommen noch Marktverschiebungen durch den Boom beim Internethandel. Die Corona-Krise hat der Abwanderung von Kunden ins Internet noch einmal einen Schub gegeben. Laut Statistischem Bundesamt verzeichnete der Internethandel im Mai einen Zuwachs von 29 Prozent, der Innenstadthandel ging im gleichen Zeitraum um 22,5 Prozent zurück. Schrage befürchtet, dass diejenigen, die erst einmal im Online-Handel gelandet sind, nicht so schnell wieder zurückzugewinnen sein könnten.
[caption id="attachment_52455" align="alignnone" width="780"] Foto: MB.[/caption]
Auch abseits des Handels ist die Lage in der niedersächsischen Wirtschaft düster, und es gibt keine Hoffnung auf eine schnelle Änderung. Die Wirtschaft hat sich in einem historischen Tief verfestigt, sagte Schrage und bezog sich die Umfrage, an der sich mehr als 1900 Unternehmen im Land beteiligt hatten. „Der Aufholprozess wird mühsam und schwierig“, zeigte sich der IHKN-Chef überzeugt. Die Wirtschaftsleistung in Niedersachsen dürfte in diesem Jahr um 25 Milliarden Euro geringer sein als im Vorjahr. Jedes fünfte Unternehmen rechnet für 2020 mit einem Umsatzrückgang von mehr als 25 Prozent. Gegen eine schnelle Besserung spricht, dass die Industrie als das üblich Zugpferd erst einmal ausfällt.
Laut IHKN hat sie den Tiefpunkt noch nicht einmal erreicht, zwei Drittel der Unternehmen gehen immer noch von rückläufigen Umsätzen aus. „Wenn hier keine Talsohle in Sicht ist, müssen wir für das dritte und vierte Quartal weiter mit ungünstigen Nachrichten rechnen“, formulierte Schrage vorsichtig. „Ein erneuter Lockdown wäre für uns schlichtweg nicht vorstellbar. Wir sind weit weg von der Normalität und haben nach wie vor sehr kritische Lage“, mahnte Schrage. Sorgen bereitet dem Kammer-Chef auch das Ausbleiben von Investitionen, was sich mittelfristig auch negativ auszuwirken drohe. Die Unternehmen stellten mittelfristige Planungen zurück. „Die Unsicherheit ist groß, sie fahren auf Sicht“, sagte Schrage, der das für rational hält, auch wenn es für die gesamte Wirtschaft später zu einer Belastung wird. Dadurch werde deutlich, dass man so schnell nicht aus der Krise herauskommen werde.
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Zwei einigermaßen gute Nachrichten gab es dann allerdings doch: Zum einen sind die Auftragsbücher im Bauhauptgewerbe immer noch prall gefüllt, was laut Schrage auch im kommenden Jahr in der Branche noch für genügend Arbeit sorgen wird. Die Kopfschmerzen kommen auf dem Bau dann vielleicht nachgelagert 2022, weil sich die jetzt unterlassenen Investitionen dann in der Branche negativ auswirken werden. Und auf dem Ausbildungsmarkt ist die Lage nicht so schlimm wie erwartet. Schrage geht bei den neuen Ausbildungsverträgen zwar von einem Minus von zehn bis 15 Prozent aus. Das liege aber nicht an zu wenig Ausbildungsplätzen. Vielmehr gebe es in diesem Jahr deutlich weniger Bewerber, zum einen durch den wegfallenden Abiturjahrgang, zum anderen, weil sich viele Jugendliche in der Corona-Krise noch nicht damit beschäftigt haben, wie es weitergeht und offensichtlich noch zögern. „Der Rückgang der Bewerber ist höher als der Rückgang der Ausbildungsplätze“, stellte Schrage fest.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #136.