15. Jan. 2024 · 
Wirtschaft

IGBCE-Chef Vassiliadis verzweifelt an der Ampel: Scholz agiert ohne Konzept in der Krise

Die Ampel-Koalition steht mit ihrer Industriepolitik inzwischen allein auf weiter Flur. Selbst die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) kann dem Kurs der Bundesregierung kaum noch etwas Positives abgewinnen. „Wer das Narrativ so anhebt und von einer Lage spricht, die dramatischer ist als jede andere, muss sich auch so verhalten“, forderte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis – immerhin seit 1981 treues SPD-Mitglied – am Montag bei der Jahrespressekonferenz seiner Gewerkschaft in Berlin.

Unzufrieden mit dem Kurs der Bundesregierung: IGBCE-Chef Michael Vassiliadis bei der Jahrespressekonferenz für 2024. | Foto: IGBCE

Anstatt sich jedoch mit der Herausforderung der „Zeitenwende“ angemessen auseinanderzusetzen, agiere die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz konzeptlos und verheddere sich in den Verwaltungsvorschriften der Finanzverwaltung. Hart ging Vassiliadis auch mit dem Kommunikationsstil der Ampel-Koalition ins Gericht. „Was da wirklich los ist, was ein echtes Problem darstellt und was Kleinkram ist – das ist schwer zu erkennen. Der Austausch passiert auf Überschriftenniveau“, schimpfte Vassiliadis und warf der Bundesregierung eine völlig falsche Prioritätensetzung vor: „Das zerfrisst das Bild, wie die Regierung das Land führt, jede Woche.“

Bei der Union wiederum sei der Unterschied zwischen Opposition und Stimmungsmache nicht immer klar zu erkennen. „Die Opposition braucht auch noch ein bisschen Zeit, bis sie auf Betriebstemperatur ist. Aus den interessanten Ansätzen des Grundsatzprogramms muss man jetzt Schritte für Deutschland machen“, sagte der Gewerkschafter.

Über ein paar gute Ansätze sei die Ampel-Koalition nicht hinausgekommen. „Das Strompreispaket enthält viele wichtige und interessante Punkte – es kann die Schieflage aber nicht beheben. Unterm Strich hat sich für unsere energieintensive Industrie die Lage nicht verbessert, sondern hier und da zugespitzt“, sagte Vassiliadis, der immer wieder einen „Brückenstrompreis“ für das energieintensive produzierende Gewerbe gefordert hatte.

Als größtes Problem nannte er den Mangel an Ökostrom zu wettbewerbsfähigen Preisen. Deutschland habe zwar den Ausstieg aus den fossilen Energien minutiös geregelt, jedoch den Einstieg in die Erneuerbaren nur abstrakt umrissen. In den Branchen Grundstoffchemie, Metalle, Papier, Glas und Reifen führe diese Strategie nun zu immer mehr Anlagen- und Standortschließungen. „Jeder Vierte bezweifelt, dass seine Branche in zehn Jahren noch in Deutschland produziert“, betonte der IGBCE-Chef und verwies auf eine aktuelle Mitgliederbefragung. Dabei handele es sich zwar nur um eine rein gefühlsmäßige Einschätzung, die aber nicht aus der Luft gegriffen sei. „Es droht der Exodus entscheidender Produktionsstufen am Beginn der Wertschöpfungskette. Insbesondere in Chemieparks droht ein Domino-Effekt“, warnte er.

Völlig falsch habe die Bundesregierung bei der Versteigerung von Offshore-Windpark-Flächen in Nord- und Ostsee gehandelt. Dass die Auktion insgesamt 12,6 Milliarden Euro gebracht habe, sei zwar ein schönes Ergebnis. Dadurch seien die Offshore-Standorte aber so unwirtschaftlich geworden, dass man dort kaum noch grünen Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren könne. „Wir irrlichtern bei der Energiewende von einer Verwerfung zur anderen. Die Bundesregierung gibt die falschen Antworten“, sagte Vassiliadis. Während andere Industrienationen auf eine expansive Wirtschaftspolitik setzten, habe man in Deutschland das AAA-Rating und die Schuldenbremse zum Fetisch gemacht.

Vom Grundsatz her schloss sich der IGBCE-Vorsitzende der Forderung von IG-Metall-Chefin Christiane Benner an, die ein Sondervermögen von bis zu 600 Milliarden Euro für die Transformation der Industrie bis 2030 vorgeschlagen hatte. „Das ist auf keinen Fall zu viel“, sagte Vassiliadis. Er kritisierte, dass die Politik derzeit nur von der Ausgabenseite getrieben werde. Man müsse aber auch die Staatseinnahmen der Zukunft vor Augen haben. „Zukunftsinvestitionen müssen von der Schuldenbremse ausgenommen werden“, forderte Vassiliadis und sagte: „Der Staat muss die Transformation in der Breite fördern. Ein paar überteuerte Leuchtturmprojekte sind nicht mehr als Symbolpolitik.“

Der IGBCE-Chef sprach sich zudem für einen staatlich abgesicherten Finanzpool zum Bau von neuen Ökostrom-Anlagen, eine finanzielle Beteiligung des Bundes bei den Netzbetreibern und eine neue Kraftwerkstrategie aus. Vassiliadis: „Ohne H2-ready-Gaskraftwerke als Rückfalloption wird die Energiewende nicht bis 2030 funktionieren.“

Für das Tarifjahr 2024, in dem in den Branchen Chemie, Papier und Energie verhandelt werden, kündigte der IGBCE-Vorsitzende erneut hohe Lohnforderungen an. „Die Inflation hat Tariferfolge eines ganzen Jahrzehnts aufgefressen, das kann und soll nicht so bleiben“, sagte Vassiliadis. Zudem habe die Politik der Ampel neue Kostentreiber geschaffen. Der Gewerkschafter nannte hier die gestiegenen CO2-Abgaben für Öl und Gas, die Rückkehr zum erhöhten Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent bei Gas, Fernwärme und Gastronomie sowie die Streichung der Unterstützung bei Netzentgelten. „Entlastungen wie das Klimageld sind dagegen ausgeblieben“, stellte Vassiliadis fest.

Dieser Artikel erschien am 16.1.2024 in Ausgabe #7.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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