Der klimaneutrale Umbau des deutschen Gebäudebestands droht für viele Hand- und Heimwerker zu einer ernsten Gesundheitsgefahr zu werden. Grund dafür ist die riesige Asbest-Belastung in mehreren Millionen Wohngebäuden, die zwar derzeit kein Problem darstellt. Weil in den kommenden Jahrzehnten aber so viele Wohnungen wie nie zuvor energetisch saniert und umgebaut werden müssen, werden vermutlich auch große Mengen des krebserregenden Stoffes wieder freigesetzt werden. „Mit der Sanierungswelle droht deshalb jetzt eine ‚Asbest-Welle‘ auf dem Bau. Sie ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, sagte gestern Carsten Burckhardt, Arbeitsschutzexperte im Bundesvorstand der IG Bau.

Wenn in einem Gebäude Asbest verbaut wurde, kann der krebserregende Stoff bei Umbauarbeiten wieder freigesetzt werden. | Foto: GettyImages/Vesnaandjic

Dabei hätten die Betroffenen kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen. Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Schon jetzt ist Asbest die tödlichste Gefahr in der Bauwirtschaft: Im Jahr 2022 verzeichnete die BG Bau insgesamt 431 Todesfälle, von denen 320 durch Asbest verursacht wurden. Arbeitsunfälle (74 Tote) und Wegeunfälle (27 Tote) forderten deutlich weniger Opfer. In den vergangenen zehn Jahren sind damit bereits 3.376 Versicherte der Berufsgenossenschaft infolge einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben.

„Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in diesen vier Jahrzehnten gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt.“

Asbest war über viele Jahrzehnte ein äußerst beliebter Baustoff – bis er 1993 in Deutschland wegen seiner krebserzeugenden Wirkung komplett verboten wurde. Allein zwischen 1950 und 1990 wurden rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest nach Deutschland importiert und größtenteils im Baubereich verwendet. „73 Prozent des Asbestes gingen in die Produktion von Asbest-Zementprodukten: Aus rund 32 Millionen Tonnen Asbest-Zement entstanden vor allem Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen – die alten Eternitplatten“, berichtet Burckhardt. Laut einer aktuellen Studie des hannoverschen Pestel-Instituts sind in dieser Zeit bundesweit gut 9,4 Millionen Wohnhäuser entstanden, darunter knapp 1,2 Millionen Ein- und Mehrfamilienhäuser in Niedersachsen.

„Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in diesen vier Jahrzehnten gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt. Mal mehr, mal weniger“, sagt der IG-Bau-Experte. Die größte Gefahr liege im Spritzasbest, der insbesondere bei Aufzugs- und Versorgungsschächten in größeren Gebäuden verwendet wurde. Burckhardt: „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden.“



Michael Kirsch von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) gibt zwar grundsätzlich Entwarnung. „Ein praxistauglicher Schutz vor Asbest beim Bauen im Bestand ist möglich – durch staubfreies Arbeiten“, sagt der Diplom-Bauingenieur und Arbeitsschutz-Experte. Schutzanzüge, Masken, Luftreiniger, Absauger, Bauentstauber, Staubschutztüren und Personenschleusen könnten die Asbestgefährdung gegen Null reduzieren.

Doch die beste Schutzausrüstung hilft nicht, wenn sie gar nicht erst zum Einsatz kommt. „Trotz einer breiten Diskussion, auch in den Fachkreisen, ist es im Handwerk nicht durchgängig bekannt, dass in zahlreichen Baustoffen Asbest enthalten ist“, beklagt Kirsch. Der Vize-Hauptgeschäftsführer der BG Bau erinnert die Arbeitgeber im Handwerk deswegen daran, dass sie vor Arbeitsbeginn eine Gefährdungsbeurteilung erstellen und Schutzmaßnahmen feststellen müssen. „Solange Arbeiten im Bestand stattfinden, braucht es eine genaue Recherche: Womit habe ich es überhaupt zu tun – also eine Analyse von Materialproben“, sagt Kirsch.

IG Bau fordert staatliche Sanierungsprämie

Die Bau-Gewerkschaft fordert deswegen einen Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“, sagt Burckhardt. Außerdem drängt er auf intensivere Arbeitsschutzkontrollen durch die Länder. „Die Berufsgenossenschaft Bau hat ihren Außendienst vergrößert und erweitert. Der staatliche Arbeitsschutz müsste sich daran ein Beispiel nehmen.

Es kann nicht sein, dass ein staatlicher Kontrolleur in diesem Land 23.085 Beschäftigte kontrolliert“, kritisiert Burckhardt. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen sei eine Quote von einem Kontrolleur pro 10.000 Beschäftigten angemessen. „Das ist ein Riesen-Gap. Wir brauchen mehr Kontrolleure auf den Baustellen“, so der Gewerkschafter. Eine weitere Forderung der IG Bau ist die Einführung einer staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbest-Sanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer – beispielsweise energetischen oder altersgerechten – Gebäudesanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich entstehen. Außerdem ließe sich damit auch eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbest-Baustoffen sicherstellen“, sagt Burckhardt.