
SPD und Grüne bereiten gerade ihren Koalitionsvertrag für die nächste niedersächsische Landesregierung vor. Was soll dort drin stehen? Die Rundblick-Redaktion unterbreitet den Unterhändlern Vorschläge. Heute der sechste Teil: die Verwaltungsreform.
Wenn in den vergangenen Jahrzehnten von der Notwendigkeit einer Verwaltungsreform die Rede war, dann wurde das in erster Linie mit den Finanzen begründet: Der Staat könne nicht mehr über seine Verhältnisse leben, er müsse Verwaltungspersonal auf mittlere Sicht abbauen. Dazu wurden dann in der Regel immer zwei Schritte empfohlen: Erstens sollen die Aufgaben, die staatliche Stellen zu leisten haben, möglichst zusammengestrichen werden. Und zweitens soll perspektivisch die Zahl der Mitarbeiter in staatlichen Behörden sinken – über eine Zusammenlegung von Zuständigkeiten, eine Bündelung und Ausdünnung der Aufgaben. Genau das ist der Weg, den angesichts der inzwischen wieder angespannten Staatsfinanzen die neue Landesregierung wird gehen müssen – ob sie nun will oder nicht.
Bis 2020 allerdings war es um die Staatsfinanzen bestens bestellt, alle Argumente für eine Reform der Verwaltung wurden in der öffentlichen Debatte nicht geäußert – oder, wenn doch, dann eben nicht wirklich gehört. Derzeit nun ist die Lage eine andere, nach zweieinhalb Jahren Corona-Krise mit nahtlosem Übergang in die Ukraine-Krise ist der Landeshaushalt wieder enorm belastet. Noch spricht kein Politiker von Einsparungen oder Kürzungen, das mag auch an der Wahlkampfzeit in Niedersachsen gelegen haben und daran, dass viele Wahlkämpfer nicht müde wurden, auf einen „Investitionsstau“ hinzuweisen, also noch mehr staatliche Ausgaben zu fordern. Aber um die Konsolidierung der Haushalte führt kein Weg mehr vorbei. Wenn die Ausgaben für Zins und Tilgung überhand nehmen, muss der Staat den Rotstift ansetzen, will er bei den Banken weiter kreditwürdig erscheinen. Noch brisanter als das Problem der Überschuldung scheint jedoch ein anderer Aspekt geworden zu sein, der sich immer dann zum Problem entwickeln kann, wenn ein Beamter ausscheidet und ein qualifizierter Nachfolger gefunden werden muss: der Fachkräftemangel. Häufig können wichtige Stellen nicht besetzt werden, weil geeignete Bewerber fehlen. Dann muss es zwangsläufig, aus einer Not heraus, zu Umbesetzungen oder Vertretungsregeln kommen, die meist vom Provisorium zum Dauerzustand werden. Bestimmte Funktionsträger werden dann enorm überlastet.

Damit der Prozess der Personal-Auszehrung nicht von zufälligen Pensionierungen in den Behörden bestimmt wird, ist eine vorausschauende und konsequente Verwaltungsreform nötig, die grundsätzlich vier Ziele verfolgt. Erstens müssen viele einfache Vorgänge, die jetzt noch von Mitarbeitern bearbeitet werden, vollständig oder weitgehend digital erledigt werden. Das Online-Zugangsgesetz, das auch in Niedersachsen eher holprig eingeführt wird, liefert dazu Ansatzpunkte. Zweitens müssen Mehrfachinstanzen, Doppelzuständigkeiten und Kontrollvorgaben abgeschafft werden – übrigens auch in den Kommunen. Drittens muss das Tabu einer Neuordnung der Landkreise, das spätestens nach der Abschaffung der Bezirksregierungen vor 18 Jahren hätte fallen müssen, endlich beseitigt werden. Und viertens müssen mit der Reform auch Stellenabbau-Pläne verbunden werden, allen zu erwartenden energischen Protesten der Gewerkschaften zum Trotz. Richtig ist ja, dass niemand, der gegenwärtig seinen Arbeitsplatz beim Land hat, dessen Verlust befürchten soll. Aber wenn Stellen frei werden, muss das zur Verflachung von Hierarchien und zur Vereinfachung von Behördenabläufen genutzt werden. Auf die Dauer muss das Ziel sein, mit deutlich weniger Mitarbeitern im öffentlichen Dienst auskommen zu können.

Der schwierigste und vermutlich auch ergiebigste Ansatzpunkt ist die Kommunalreform: Brauchen wir 37 Landkreise und acht kreisfreie Städte – oder geht es mit etwas größeren und effektiveren Einheiten? In den vergangenen fünf Jahren ist diese Diskussion schlicht nicht geführt worden, sie wurde regelrecht verweigert, und zwar angeblich vor allem von der SPD. Die CDU verzichtete darauf, hier Druck zu machen. Dabei mangelt es an ausgearbeiteten Konzepten für diesen Weg nicht. Man könnte mehrere Kreise zu Regionen verbinden, so etwa Hameln-Pyrmont, Hildesheim und Holzminden – oder auch die sieben kommunalen Einheiten des Braunschweiger Landes. In Ostfriesland und im Oldenburger Umland sind ähnliche Schritte denkbar. Lüneburg, Uelzen und Lüchow-Dannenberg könnten ebenso fusionieren. Wenn auf diese Weise landesweit Kreisverwaltungen geschaffen würden, die alle etwa ähnlich stark und tatsächlich auch leistungsfähig wären, könnte der nächste Schritt folgen: Die Kreisverwaltungen übernehmen mehrere Fachaufgaben ihrer Mitgliedsgemeinden – zumindest in der administrativen Abwicklung, wenn auch nicht in der organisatorischen Verantwortung. Auf diese Weise könnte dem Fachkräftemangel in der Kommunalverwaltung sinnvoll begegnet werden – über den Weg einer Bündelung der Kräfte, begleitet im nächsten Schritt mit einer Verstärkung der digitalen und computer-gestützten Bearbeitung von Vorgängen. Ausreichend große und mit viel Fachwissen ausgestattete Kreisverwaltungen sind dann auch fit genug, Aufgaben vom Land zu übernehmen.
Zu diesem Modell gibt es allerdings noch eine Alternative, die zuweilen bei dem von Rot-Grün 2013 angeschobenen Konzept der „Ämter für regionale Landesentwicklung“ angeklungen ist und die viele Anhänger bei den Sozialdemokraten hat: Die kommunalen Strukturen könnten in ihrer bisherigen Form bestehen bleiben, daneben aber könnte eine staatliche Parallelverwaltung aufgebaut werden. Diese könnte überall dort, wo Kommunalverwaltungen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten, helfend und stützend einschreiten – oder sogar die Aufgabe ganz von den Kommunen übernehmen. Diese Variante hätte einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Der Vorteil wäre, dass sich die Kommunen quälende Debatten über den Neuzuschnitt ihrer Grenzen oder die Aufhebung der Selbstständigkeit kleiner Gemeinden oder Kreise sparen können. Die mit jeder Gebietsreform zwangsläufig verbundene Diskussion über die „lokale Identität“ ließe sich vermeiden. Der Nachteil jedoch wäre, dass dann eigenständige Kommunalverwaltungen nur noch zum äußeren Schein aufrecht bleiben würden – und in deren Schatten das Land die Entscheidungsgewalt an sich reißt. Ob das dann im Sinne einer Pflege der kommunalen Selbstverwaltung wäre, muss doch stark bezweifelt werden.