„Ich bin wie der Bürgermeister einer kleinen Ortschaft“
Von Martin Brüning
Plenarsitzung im Niedersächsischen Landtag. Unter Tagesordnungspunkt 21 sprechen die Abgeordneten am Donnerstag über die Zukunft der Pflege. Sozialministerin Cornelia Rundt lobt unter anderem den Plan der sogenannten generalistischen Ausbildung, also der einheitlichen Ausbildung von Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflegern. Von einer zukunftsfesten Grundlage ist die Rede.
Zur gleichen Zeit, sieben Kilometer weiter westlich, ein Altenpflegeheim in Hannover-Davenstedt. Bunte Girlanden in der Vorhalle des Pflegewohnstifts. Morgen wird in dem Haus mit 130 Bewohnern ein Sommerfest gefeiert. Was bewegt die Menschen, die in der Pflege arbeiten?
Die Pflegefachkraft: Nicole Willing arbeitet seit zehn Jahren in der Altenpflege. Der Beruf interessierte sie schon als Jugendliche. Die heute 27-Jährige machte Praktika in der Pflege und im Krankenhaus und fuhr dann in Hannover auf die Altenpflegemesse. Das war der Einstieg, sie bekam einen Ausbildungsplatz. Heute leitet Willing den Wohnbereich 3 des Pflegeheims in Davenstedt. Mindestens vier Mitarbeiter kümmern sich dort um 35 Anwohner.
Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich aus ihrer Sicht viel verändert. Der Beruf sei professioneller geworden. Früher lief alles über den Hausarzt, heute arbeiten die Pflegeheime mit zahlreichen Spezialisten zusammen. Ob Wundversorgung oder Inkontinenz – zahlreiche Kooperationspartner unterstützen die Pflegefachkräfte in ihrer Arbeit. Auch beim Gehalt habe sich viel getan, berichtet Willing. „Allein durch die Zuschläge kann man inzwischen schon einiges in der Pflege verdienen“, sagt sie.
Nach wie vor sei es aber ein harter Beruf. Schichtdienst, Wochenendarbeit, die physischen und psychischen Belastungen: Gerade für die Pflegeassistenten gelte: „Du kannst den Beruf nicht 50 Jahre ‚am Bett‘ ausüben. Das hält man körperlich nicht durch“, so Willing. Deshalb sollten gerade sie Weiterbildungen nutzen.
Freunde und Bekannte können ihre Berufswahl oft nicht verstehen: „Wie schaffst Du das nur? Also ich könnte das ja nicht!“ Das sei der typische Spruch, der ihr immer wieder begegne. Gerade jungen Leuten müsse man ein realistisches Bild davon vermitteln, was in dem Beruf auf sie zukäme. Denn viele Azubis in der Altenpflege brechen ihre Ausbildung ab, weil sie falsche Vorstellungen haben. Nicole Willings Tipp: Ein Praktikum ist nie verkehrt, und man sollte sich wirklich gerade mit diesem Beruf auseinandersetzen, bevor man ihn ergreift.
Willing ist glücklich mit ihrem Beruf: Man opfere zwar sein Wochenende, aber man werde dafür finanziell auch gut entlohnt. Man gebe viel – aber man bekomme auch viel zurück. Entweder von den Bewohnern oder auch von den Angehörigen. „Wir sind manchmal der beste Freund, und wir haben die Schulter zum Anlehnen“, sagt sie und ist überzeugt: „Ich möchte keinen Beruf haben, in dem ich den ganzen Tag alleine an einem Schreibtisch sitze.“
Der Heimleiter: Klaus Janitschek muss sich tief bücken, um seine Bürotür zu öffnen. Die Türgriffe im Pflegeheim sind für Rollstuhlfahrer konzipiert. Barrierefrei nennt sich das. Für die Bewohner ist aber gerade das die Barriere, denn die meisten von ihnen sitzen nicht im Rollstuhl. So müssen viele genau das tun, was sie nicht mehr so gut können, um ihre Zimmertüren aufzuschließen: sich tief bücken. Der vermeintlich barrierefreie Einbau war eine Forderung des lokalen Bauamts. Nur ein Beispiel, wo Bürokratie auf Realität trifft.
Dass Janitschek heute ein Pflegeheim leitet, hätte er vor rund 30 Jahren selbst nicht gedacht. Der heute 51-Jährige hatte ursprünglich Modellschlosser gelernt und später über Umwege dann Sozialpädagogik studiert. In den 90er Jahren arbeitete er unter anderem in einem Seniorenwohnheim in Hannover-Wülfel. Seine Chefin: die jetzige Sozialministerin Cornelia Rundt. Heute wirkt Janitschek ein wenig wie der Akademiker im Blaumann – einer, der die Ärmel hochkrempelt und anpackt, gleichzeitig aber etwas von Teambildung und Management versteht.
„Ich bin wie der Bürgermeister einer kleinen Ortschaft“, erzählt er lachend. „Ich bin für die Müllabfuhr oder die Energieversorgung genauso zuständig wie für die Einhaltung aller Richtlinien.“ Ja, die Bürokratie sei oft ein Problem. Man könne aber durch eine gute Organisation viel auffangen. Da ist er wieder, der Macher. Nicht jammern, sondern organisieren. In Davenstedt arbeiten die Wohnbereichsleiter sehr eigenverantwortlich. So erstellen sie zum Beispiel die Dienstpläne selbst, keine Selbstverständlichkeit in anderen Pflegeheimen.
An der Organisation kann die Politik nichts ändern, sagt Janitschek, wohl aber am Personalschlüssel. Der sei in Niedersachsen schlechter als in anderen Bundesländern. „Wenn ich das Haus hier abbaue, und in einem anderen Bundesland wieder aufbaue, habe ich plötzlich drei Stellen mehr. Warum eigentlich?“, fragt Janitschek. „In der Pflege wurschteln 16 Länder jeweils für sich“. Sinnvoll sei das nicht.
Der Geschäftsführer: Über den Föderalismus kann auch Frank Steinhoff ein Klagelied singen. Er ist Geschäftsführer der Deutschen Seniorenstift Gesellschaft (DSG). Das Pflegewohnheim in Hannover-Davenstedt ist eine Einrichtung der DSG. „Der Föderalismus lähmt bundesweite Anbieter, weil jedes Land seine eigenen Regelungen hat“, schimpft Steinhoff. Jeder koche seine eigene Suppe.
Steinhoff macht der Fachkräftemangel Sorgen. So manches Problem ist aber auch hausgemacht. In einem sind sich nämlich Geschäftsführer Steinhoff, Heimleiter Janitschek und Pflegefachkraft Willing einig: Die sogenannte Fachkraftquote von 50 Prozent ist unsinnig und willkürlich. Jede zweite Kraft eines Pflegeheims muss eine examinierte Krankenschwester oder Altenpflegerin sein. „Es gibt aber sehr gute Hilfskräfte“, erklärt Steinhoff. Sein Vorschlag: Man sollte guten Mitarbeitern, die seit 10 Jahren Hilfskraft sind, ermöglichen, mit einer kleinen Prüfung als Fachkraft anerkannt zu werden. Das sei auch gut für die berufliche Perspektive der Mitarbeiter.
Darüber hinaus plädiert Steinhoff dafür, den Zuzug ausländischer Pflegekräfte zu vereinfachen, auch für Mitarbeiter außerhalb der EU. Beispiel Asien: Auf den Philippinen werde über Bedarf ausgebildet. „Dort gibt es viele potentielle Arbeitskräfte, die in Deutschland mit gutem Gehalt arbeiten könnten“, meint Steinhoff.
Weniger Bürokratie, flexiblere und vor allem bundesweite Regelungen: Laut Steinhoff gibt es viele Lösungen, um die Pflege in Niedersachsen voranzubringen. Die Sozialministerin kümmere sich derweil um eine Zwangs-Pflegekammer, die niemand wolle, selbst die Mitarbeiter nicht. Und sie wolle die generalistische Ausbildung, durch die eher Mitarbeiter an die Krankenhäuser verloren gingen. Es klingt so, als gebe es in der Pflege und in der Politik zum Teil unterschiedliche Auffassungen, was zu einer „zukunftsfesten Grundlage“ führt.