26. Juni 2022 · 
Wirtschaft

Honorarkonsul Bürkle fordert: Deutschland darf Großbritannien nicht vernachlässigen

Sprechen bei einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft über den Brexit und seine Folgen (von links): Stefan Schröder, Thomas Bürkle, Matthias Wunderling-Weilbier und Alptekin Kirci. | Foto: Deutsche Atlantische Gesellschaft

Der aktuelle Konflikt zwischen Großbritannien und der EU zum „Nordirland-Protokoll“ darf nach Ansicht des britischen Honorarkonsuls Thomas Bürkle nicht überbewertet werden. „Ob es wirklich zu den Plänen kommt, die Premierminister Boris Johnson vorgeschlagen hat, bezweifele ich“, sagte Bürkle in einer Veranstaltung der „Deutschen Atlantischen Gesellschaft“ in Hannover. Tatsächlich könne der sachliche Konflikt aber „bei zwei Gläsern Guinness geklärt werden“, ein wirkliches Interesse an einer Eskalation der Beziehungen zwischen London und Brüssel habe niemand. Wichtiger ist für Bürkle die Erkenntnis, dass in der geopolitischen Lage eine enge Kooperation zwischen der EU und Großbritannien wichtiger denn je ist. „Wir dürfen uns beim Wiederaufbau der guten Beziehungen nicht beirren lassen, Deutschland muss sich auch bewegen“, sagte Bürkle.

Die „Deutsche Atlantische Gesellschaft“ hatte zur Diskussion über die Folgen des Brexit eingeladen – und das geschah just zum Zeitpunkt einer sich zuspitzenden Krise zwischen Großbritannien und der EU, in der manche schon Vorboten eines neuen Handelskrieges sehen. Premierminister Johnson will die mühsam zwischen EU und London ausgehandelten Bedingungen des „Nordirland-Protokolls“ einseitig außer Kraft setzen und so die vereinbarten Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich aufheben. Damit sieht die EU die Gefahr verbunden, dass der Binnenmarkt auf dem Umweg über Großbritannien von Billigprodukten überschwemmt wird.

„Die Grenzkontrollen werden praktisch aufgekündigt, das gefährdet die Grundlagen der EU“, sagte Stefan Schröder, Chef der Firma Logistic-Network LNC in Hannover. Matthias Wunderling-Weilbier (SPD), Staatssekretär im Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten, sprach von einem „fatalen Zeichen“, wenn die britische Regierung „die Verletzung des Völkerrechts ankündigt“. Hier sei von Johnson „eine rote Linie überschritten“ worden. Bürkle räumte ein, das Vorgehen sei „nicht vertretbar“. Was ihn zuversichtlich stimme sei aber, dass niemand in Großbritannien eine Zuspitzung des Konflikts zwischen Nordirland und Irland hinnehmen wolle. Auch den Einsatz eines Vermittlers könne er sich vorstellen, es müsse eine international anerkannte Persönlichkeit sein.

 Was den Brexit anbelangt, räumte Wunderling-Weilbier ein, die wirtschaftlichen Folgen seien für Großbritannien weit schlimmer als für die EU. Deutsche Unternehmen hätten sich frühzeitig neu orientiert – nach Osteuropa, aber auch nach Russland, was jetzt eine erneute Änderung der Handelsströme nötig machen könne. Es gebe allerdings noch einige Branchen, etwa die Fischerei, die immer noch erhebliche ungelöste Schwierigkeiten hätten. Stefan Schröder sieht sogar Chancen für deutsche Firmen, wenn in Großbritannien beispielsweise Branchen mit hoher staatlicher Hilfe gefördert würden und Innovationen hervorbringen, die wiederum im internationalen Firmenverbund auch außerhalb des Vereinigten Königreiches nutzbringend sein könnten – etwa bei der Produktion von modernen Flugzeugflügeln im Airbus-Konzern. Bürkle betonte, die Europäer würden „mit dem Brexit leben müssen“.

Für die Briten seien nicht die wirtschaftlichen Umstände entscheidend, sondern der Wert der nationalen Souveränität, die sich nicht durch Brüssel eingeschränkt sehen wollten. Diesen Trend sehe er auch in anderen Ländern, etwa Dänemark, weshalb er die Vision von „Vereinigten Staaten von Europa“ eher skeptisch einschätze. Bürkle kritisierte, dass der deutsche Kanzler und die deutsche Außenministerin sich sehr distanziert zur britischen Regierung verhielten. Auf der anderen Seite hätten sich die Briten weitaus stärker als Unterstützer der Ukraine gegen den russischen Aggressor erwiesen als andere, auch Deutschland. Wunderling-Weilbier ergänzte, es gebe in einer Hinsicht sehr gute Zukunftsperspektiven für die Kontakte zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich: Großbritannien sei der größte Erzeuger von Windenergie, Deutschland werde umweltfreundlich erzeugte Energie verstärkt importieren. Dies habe bei der jüngsten Reise von Ministerpräsident Stephan Weil nach Schottland auch eine große Rolle gespielt.

Dieser Artikel erschien am 27.6.2022 in Ausgabe #119.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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