Hindenburgstraße: Der Sieg der Bilderstürmer
Nun ist es also geschehen, nach zweieinhalb Jahren intensiver Diskussion, mehreren Gutachten und wissenschaftlichen Publikationen, einigen Protestkundgebungen, mehreren eindeutigen Umfragen bei Anwohnern und etlichen Leserbriefen in den Lokalzeitungen. Der Stadtbezirksrat Mitte, ein doch eigentlich wenig aufregendes Gremium, hat vor wenigen Tagen entschieden, dass die Hindenburgstraße im Zooviertel, das früher auch gern im Volksmund „Hindenburgviertel“ hieß, nicht mehr so heißen darf. Die Straße trägt künftig den Namen des jüdischen Mädchens Lotte-Lore Loebenstein, die als Kind hier lebte und 1943 im Konzentrationslager von den Nazis ermordet wurde.
Es ist sehr lang und breit über die geplante Umbenennung diskutiert worden, auch im Politikjournal Rundblick. Es sind sehr viele Argumente genannt, abgewogen und verworfen worden. Die Befürworter der Aktion bezogen sich auf wissenschaftliche Expertisen. Es wurde von manchen Verfechtern so getan, als gebe es zur historischen Rolle von Hindenburg bahnbrechende neue Erkenntnisse. Doch davon kann keine Rede sein. Als vor Jahren der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem Landtag in Hannah-Arendt-Platz umgetauft wurde, ging dem ein verdienstvolles Buch einer jungen Historikerin voraus, die tatsächlich Anhaltspunkte für eine zweifelhafte Rolle von Kopf im „Dritten Reich“ gefunden hatte. Das war die nachvollziehbare Begründung für den Schritt. Im Fall der Hindenburgstraße sind derartige Voraussetzungen nicht zu erkennen, umso bemerkenswerter ist die Aggressivität, in der einzelne Kommunalpolitiker ihre Positionen vortrugen – einer hielt den Verteidigern des alten Namens vor, sie hätten „in brauner Suppe gebadet“. Er wurde von der Bürgermeisterin für den Ausdruck gerügt, immerhin.
Unsitte des Zeitgeistes
Leider passt das, was jetzt im hannoverschen Stadtbezirksrat Mitte geschehen ist, zum Zeitgeist. Genauer: zu einer Unsitte des Zeitgeistes, die derzeit in ganz vielen Diskussionen spürbar ist. Einer, der das jüngst deutlich geäußert hat und dafür von hochgestellten Parteifreunden gerügt wurde, ist der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse von der SPD. In einem längeren Aufsatz setzte sich der frühere Vorsitzende der SPD in der DDR mit der sogenannten Identitätspolitik auseinander – also mit verschiedenen Haltungen, die derzeit vor allem im Kulturbetrieb, aber zunehmend auch in der Politik spürbar sind. Nicht mehr Konfessionen oder Ideologien wie früher würden heute das verbale Schlachtfeld der Akteure beschreiben, sondern Identitäten.
Tatsächlich gibt es für Thierses Ansicht genügend aktuelle Beispiele: Die Debatte um das Gender-Sternchen, veränderten Sprachgebrauch in Amtssprachen, im Duden oder auch im „Heute-Journal“ des ZDF, künden vom Versuch, die gängige Kulturtechnik der Sprache neu zu bestimmen. Dabei geht es teilweise um die Betonung von Minderheiten oder von Gruppen, die als benachteiligt identifiziert werden – im Fall der Gender-Sprache sind das die Frauen oder die Geschlechtslosen. Eine andere, ebenfalls auf Identitätspolitik fußende Position lautet, dass die Identität derer, die an einer Debatte teilnehmen, bestimmend sein soll für die Frage, ob sie sich überhaupt beteiligen dürfen. So wird Menschen mit weißer Hautfarbe abgesprochen, die Situation von Farbigen beurteilen zu können. Sie sollen dann schweigen.
Wenn Vielfalt friedlich gelebt werden soll, dann muss diese Pluralität mehr sein als das bloße Nebeneinander sich voneinander nicht nur unterscheidender, sondern auch abgrenzender Minderheiten und Identitäten.
Wolfgang Thierse
Thierse hat sich von derlei Haltungen klar abgegrenzt und geschrieben: „Wenn Vielfalt friedlich gelebt werden soll, dann muss diese Pluralität mehr sein als das bloße Nebeneinander sich voneinander nicht nur unterscheidender, sondern auch abgrenzender Minderheiten und Identitäten.“ Bemerkenswert an den Ausführungen des früheren Bundestagspräsidenten ist auch seine Kritik an „neuen Bilderstürmen“, die man derzeit in Deutschland erlebe – mit Bezug auf Namen und Denkmälern. Es handele sich um „symbolische Befreiungsakte von lastender, lästiger, böser Geschichte“.
Dann führt er aus: „Weil mich der Name beleidigt und verletzt, muss er weg, das ist die fatale Handlungsmaxime.“ Und Thierse fügt hinzu: „Die Reinigung und Liquidation von Geschichte war bisher Sache von Diktatoren, autoritären Regimen, religiös-weltanschaulichen Fanatikern. Das darf nicht die Sache von Demokraten werden.“ Damit stellt der frühere Vorsitzende der Ost-SPD und spätere Bundestagspräsident die „Säuberungen“ in Diktaturen wie unter Stalin in eine Reihe mit der Welle an Umbenennungen, wie wir sie jetzt auch in Hannovers Hindenburgstraße sehen.
An dieser Stelle muss gesagt werden: Thierse hat vollkommen recht. In dem Viertel, durch das die Hindenburgstraße führt, hat der einstige Reichspräsident lange Zeit gewohnt und gewirkt, zu seinen Lebzeiten war das ein Wallfahrtsort für seine Anhänger. Wie widersprüchlich die historische Figur Hindenburg ist, lernt jedes Kind in der Schule, seit vielen Jahrzehnten schon. Vielleicht muss man den hannoverschen Stadtpolitikern den Vorwurf machen, dass sie den Ort bisher nicht dazu genutzt haben, näher über Hindenburgs Rolle, seine Versäumnisse, Fehler und auch seine guten Taten zu informieren.
Vergessen statt Diskurs
Nur: Genau dies zu tun, ist eben nicht der Antrieb derjenigen gewesen, die mit Vehemenz die Umbenennung durchgesetzt haben. Sie wollten ein symbolisches Zeichen setzen, sich befreien von einer historischen Last, die kein Deutscher einfach abstreifen kann. Diskussion über die Vergangenheit und Auseinandersetzung mit den Figuren der Vergangenheit ist gefordert, deshalb ist es so wichtig, dass die Hindenburgstraße in dem alten „Hindenburgviertel“ weiter so heißt.
Eine Umbenennung, bleibt noch hinzuzufügen, kann fatale Folgen haben. Denken wir an den einstigen Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem Landtag. Man hätte sich gewünscht, mit der Namensänderung wäre eine intensive Debatte darüber entstanden, wie man Kopfs Rolle bewerten soll. Passiert ist nichts, eher droht er ganz in Vergessenheit zu geraten. Ganz am Ende haben wir dann nur noch die guten, die vorbildlichen Namen auf den Schildern und auf den Säulen. Ob Deutschland dann eine reine Weste hat? (kw)