Zu Beginn ihrer „persönlichen Erklärung“ am Freitag vor der Landespressekonferenz hat Frauke Heiligenstadt erst einmal eine Leistungsbilanz vorgelegt. Lauter gelungene Projekte zählte sie auf, von der Abschaffung des Turbo-Abis über den Ausbau der Gesamtschulen bis zu Lehrerstellen und Inklusion. Doch nach fünf Minuten dann die Aussage, dass es an ihrer Arbeit und auch ihrer Person „harte Kritik“ gegeben habe, und das gehe „nicht spurlos an einem vorbei“. Deshalb habe sie Ministerpräsident Stephan Weil vergangenen Mittwoch mitgeteilt, für das nächste Kabinett nicht mehr zur Verfügung zu stehen. „Er hat das bedauert, aber akzeptiert“, fügte Heiligenstadt hinzu.

Frauke Heiligenstadt am Freitag vor der Landespresekonferenz – Foto: isc

Hier zieht sich nun eine 51-jährige SPD-Politikerin zurück, die keineswegs amtsmüde ist. Sie ist als Direktkandidatin wieder einmal in ihrem Wahlkreis Northeim bestätigt worden, und unter anderen Umständen hätte sie sicher gern weiter das Ministeramt, das sie nun fünf Jahre ausübt, behalten. Doch Heiligenstadt nimmt mit ihrer Verzichtserklärung eine Entwicklung vorweg, die sich in den vergangenen Tagen immer klarer angedeutet hatte: Schon vor dem Wahltag war auch intern, sogar aus dem Kabinett, heftige Kritik an der Amtsführung der Schulministerin laut geworden.

Manche auch hochgestellte Genossen fluchten auf die Ministerin, da sie keine Führungsstärke gezeigt habe. Der Druck wurde noch größer, als in den vergangenen Tagen über Bemühungen der SPD berichtet wurde, der FDP mit dem Angebot des Kultusministeriums den Einstieg in eine Ampelkoalition schmackhaft zu machen. Zwar hat das bisher nicht gewirkt, die FDP sperrt sich weiter. Aber Heiligenstadt musste in verschiedenen Medien lesen und hören, dass eigentlich alle in der Landespolitik davon ausgingen, ihre Zeit als Ministerin werde nun bald enden. Keiner hätte mehr auf ihrem Verbleib im Job gewettet.

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So erkannte sie, dass es vermutlich jetzt am sinnvollsten ist, die Reißleine zu ziehen. Für die ersten Schnupper-Gespräche zwischen SPD und Grünen, SPD und FDP, sowie SPD und CDU, die am 24., 25. und 26. Oktober folgen, hat der Heiligenstadt-Verzicht keinerlei Bedeutung. Mit ihr als Machtfaktor hatte ohnehin keiner mehr gerechnet. Und in der SPD ist ein sonst immer möglicher Ausweg für abgängige Minister, nämlich Landtagspräsident werden zu können, auch bereits versperrt. Dieses Amt läuft ziemlich sicher auf Gabriele Andretta aus Göttingen zu, die wie Heiligenstadt aus Südniedersachsen kommt und als bewährte Vizepräsidentin die höheren Ansprüche geltend machen kann, und es intern wohl auch schon getan hat.

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Was wird nun aus Heiligenstadt? Wenn manche in der SPD womöglich gehofft hatten, sie würde gleich ihr Mandat zurückgeben und damit der ersten Nachrückerin Petra Tiemann aus Stade den Weg ins Parlament ebnen, so werden diese Vorstellungen enttäuscht. So sehr sich die SPD nach Tiemann sehnt, die als Fraktionsvize bisher für das Binnenklima der SPD-Fraktion eine große Bedeutung hatte, so energisch sperrt sich Heiligenstadt, ganz herausgedrängt zu werden. Sie wolle nicht mehr in der Bildungspolitik wirken, sagt die frühere Verwaltungsangestellte, und die neue Aufgabe im Landtag sei auch noch nicht klar. Wenig später meint sie aber, sich „sehr gut mit Zahlen auszukennen“. Das kann als Wink verstanden werden, denn nachdem die langjährige Abgeordnete und Finanzexpertin Renate Geuter den Wiedereinzug in den Landtag verpasst hat, braucht die SPD-Fraktion dringend einen neuen Haushaltsfachmann. Heiligenstadt steht zur Stelle.

Ohnehin klingt ihr Abschied merkwürdig, nicht wirklich überzeugt. Sie berichtet immer wieder von der gelungenen Bilanz ihrer Tätigkeit, betont: „das Feld ist bestellt“. Sie sei „sehr stolz“ auf ihre Arbeit, sei oft angefeindet worden, habe sich aber „immer Mühe gegeben, den Kurs zu halten“: „Ich habe mich nie im Hauseingang verkrochen, wenn der Wind von vorn geblasen hat“. Die heftige Kritik, meint sie auf Nachfragen, sei aber nicht der Grund für den Rückzug, und vor vier Monaten habe sie dem Ministerpräsidenten auch signalisiert, eigentlich weitermachen zu wollen.

Wieso sie dann jetzt aufhört, sagt Heiligenstadt nicht. Sie meint nur: „Es ist ein schönes Gefühl, selbst entscheiden zu können, wann man geht“. Diesbezüglich seien „Frauen anders als Männer“, fügt sie hinzu. Die Erklärung klingt ganz so, als wolle sie nicht deutlich sagen, dass es der schwindende Rückhalt in den eigenen Reihen ist, der sie nun zu Fall bringt. Für die nächste Regierung wünscht sich Heiligenstadt „einen Sozialdemokraten oder eine Sozialdemokratin als Kultusminister“. Wer das sein könnte? „Das muss die Fraktion entscheiden.“ In ihrem Dank an alle, die Genossen, den Koalitionspartner und die Medien, schließt die 51-Jährige die bisherige Opposition von CDU und FDP nicht ein: „Die Sitzungen mit der Opposition waren nicht vergnügungssteuerpflichtig“, sagt sie auf Nachfragen.